Adelheid Duvanel: Nah bei Dir

Ausschnitt aus einer vom 19. Juli 1990 stammenden Schwarz-weiß-Fotografie der Autorin Adelheid Duvanel (Fotografin: Yvonne Böhler): Ein aufgeschlagenes Schulheft, ein paar Finger der linken Hand Duvanels, die das Papier festhalten; die rechte Hand ist daran, mit einem Stift ins Heft zu schreiben.

Im Jahr 2021 erschien beim Limmat-Verlag in Zürich das Buch Fern von hier (von uns dann im folgenden Jahr vorgestellt). Es enthält sämtliche Erzählungen der Schweizer Autorin Adelheid Duvanel (1936-1996) – also de facto ihr Gesamtwerk, denn sie hat, von ein paar Gedichten meist für private Anlässe abgesehen, nur Erzählungen geschrieben. Letztes Jahr (2024) erschien dann im gleichen Verlag das vorliegende Buch.

Dieses nun enthält Briefe von und an Adelheid Duvanel aus den Jahren 1978-1996. Zu Beginn sind die Adressaten noch etwas gemischter, mehr und mehr aber konzentriert sich das Buch auf deren zwei. Da ist einmal beim ihr von Otto F. Walter vermittelten Verlag Luchterhand, wo sie in der Folge alle ihre Bücher veröffentlichen wird, der für sie zuständige Lektor Klaus Siblewski. Zunächst war Duvanel dem neuen Mann gegenüber misstrauisch, sie hatte gehofft und geglaubt, sie würde von Otto F. Walter persönlich betreut werden, dem sie vertraute. Doch der verließ zu jener Zeit gerade Luchterhand. Sie fasst aber sehr rasch Vertrauen zu Siblewski, der sich in der Folge auch (wie man so schön sagt) rührend um sie kümmerte. Auf der privaten Ebene rücken – neben ein paar Briefen an ihren Mann aus der Zeit, als ihre Ehe noch in Ordnung war (oder ihr zumindest so schien) – rasch ihre Briefe an die gleichaltrige Schriftstellerkollegin Maja Beutler (1936-2021) in den Vordergrund. Während im Verlagsarchiv (heute in Marbach) auch die meisten Briefe Siblewskis an Duvanel in Kopie erhalten sind und so in dieses Buch aufgenommen werden konnten, gingen Beutlers Briefe an Duvanel offenbar bei einem Umzug verloren, wie Duvanel einmal schreibt. Dieser Briefwechsel ist also sehr einseitig.

Das Buch, ich sage es gleich, ist keine leichte Kost, und ich habe es lange hier liegen gehabt, bevor ich den Mut aufbrachte, es zu lesen. Denn Adelheid Duvanel führte alles andere als ein schönes Leben. Kluges und aufmüpfiges Kind, brach sie schon früh mit ihrem streng katholischen Elternhaus. Ihr Leben war in der Folge geprägt von immer wiederkehrenden und lange anhaltenden Depressionen. Sie nahm Medikamente dagegen und verbrachte auch immer wieder kürzere oder längere Perioden in der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Klinik, weil sie nicht mehr in der Lage war, ihr Leben selbständig zu führen. Die längste Periode dauerte immerhin drei Jahre.

Sie war verheiratet, aber die Zeit ehelichen Glücks währte nur kurz. Ihr Mann gehörte zu der besitzergreifenden und dominierenden Sorte, und wenn er offenbar auch physisch nicht gewalttätig wurde, so doch um so mehr psychisch. Er kontrollierte alle ihre Einnahmen (ich hätte fast geschrieben „konfiszierte“, aber er war nach damaliger Gesetzgebung sogar im Recht!). Einmal – das Paar lebte unterdessen getrennt – brach er in ihre Wohnung ein und entwendete sämtliche ihrer Zeichnungen, von deren Verkauf sie einen Teil ihres Lebensunterhaltes bestritt. Sie war – technisch gesehen – arbeitslos und ohne brauchbare Ausbildung. Sie erhielt eine mickrige Invalidenrente, mit der sie kaum ihre Miete zahlen konnte. Ihr Mann verstieß die gemeinsame Tochter, als diese – wohl auch auf Grund der seltsamen Verhältnisse im Elternhaus – in die Drogensucht abrutschte. Er lebte noch verheiratet mit einer neuen Gefährtin zusammen – zeitweise im selben Haus wie Adelheid.

Diese wiederum war eine jener Frauen, die man so gerne „hörig“ nennt, was völlig an der Sache vorbei geht, wie man auch merken kann, wenn man Adelheid Duvanels Briefe liest. Sie liebte ihn und nannte ihn auch nach der Scheidung noch mein Mann, denn sie war einer jener Menschen, die jemanden lieben müssen, um existieren zu können. Sie war sich seiner Vertrauensbrüche, seines psychischen Missbrauchs durchaus bewusst. Sie glaubte auch nicht daran, dass er sich je bessern oder ändern würde. Aber sie liebte ihn. Sie war einer jener Charaktere, die gefallen wollen und ihren Wert letzten Endes nur daraus ziehen, wie sie bei anderen ‚ankommen‘. Nichts belastete sie mehr als der Eindruck, aus der Gunst ihrer Briefpartner:innen gefallen zu sein, wenn sie eine Zeitlang nichts mehr von ihnen gehört hatte. Sie fürchtet dann jedes Mal, sie irgendwie beleidigt zu haben. (Tatsächlich war sie relativ früh einmal bei einer Lesung zum Ingeborg-Bachmann-Preis mit dem Starkritiker Reich-Ranicki aneinander geraten, der sich in der Folge für beleidigt erklärt hatte. Das hätte Duvanel schon so belastet; zusätzlich aber wusste sie, dass ihre literarische Laufbahn dadurch schwer kompromittiert war, denn dass Reich-Ranicki nachtragend war, wusste man in den schreibenden Kreisen.)

Ihr Mann, selber Künstler, war ja auch nicht ohne Probleme und beging schlussendlich Selbstmord. Hatte Adelheid Duvanel schon vorher ihre unbedingte Liebe auch auf ihre Tochter erstreckt, so war es nach dem Tod des Vaters nun nur noch diese, später zusätzlich die Enkelin. Drogensüchtig und an AIDS erkrankt (damals noch unheilbar!), hatte die Tochter offenbar den Egoismus des Vaters geerbt. Wenn ihre Mutter – was selten genug der Fall war – einmal etwas Geld zur Verfügung hatte, war es nur eine Frage der Zeit, bis alles bei der Tochter gelandet war, die damit ihrer Sucht finanzierte. Wenn die Mutter kein Geld hatte, dealte die Tochter. Nicht auf der Straße sondern in der engen Einzimmerwohnung, die sie mit ihrer Mutter und ihrer Tochter teilte, und wo zeitweise auch noch ihr Dealer wohnte. Süchtige, die bei der Tochter der Schriftsstellerin ihren Stoff kauften, gingen in deren Wohnung ein und aus. Dass sie unter diesen Umständen überhaupt schreiben konnte, grenzt an ein Wunder.

Wir sehen: kein schönes Leben. Duvanel berichtet vor allem ihrer Freundin Maja Beutler gegenüber auch sehr offen von all ihren Problemen. An sie schreibt sie viel und häufig. (So häufig in der Tat, dass die Herausgeberin des Briefwechsels, Angelica Blum, meint, man könnte diesen Briefwechsel auch als Duvanels Tagebuch betrachten. Er hat in der Tat zumindest streckenweise einen tagebuchartigen Charakter angenommen.

Die Briefe an Klaus Siblewski sind – zumindest zu Beginn der ‚Beziehung‘ – distanzierter. Es geht darin immer wieder um ihre Bücher. Und ums Geld. Es ist tatsächlich Siblewski, der sie regelmäßig auf diese oder jene Möglichkeit aufmerksam macht, sich für ein Stipendium oder einen Preis zu bewerben. In den meisten Fällen kriegt sie denn auch das Geld – was beweist, dass die Fachwelt den Wert ihrer Erzählungen durchaus hoch einschätzte. In der Schweiz war einer ihrer bekanntesten Gönner Peter von Matt (den Siblewski – man glaubt es als Schweizer kaum – zunächst gar nicht kannte).

Trotz ihrer Behinderung durch die regelmäßige Einnahme von Medikamenten, zusätzlich auch von Alkohol und Kokain (sie fiel um ihre Tochter herum in eine, wie man das wohl nennt, Co-Abhängigkeit, nahm also ebenfalls Drogen), ihrer Depressionen und ihrer Schüchternheit, nahm Duvanel auch an Lesungen teil – damals schon ein wichtiger Bestandteil eines Autor:innen-Lebens. Dafür reiste sie bis nach Winterthur oder gar Kopenhagen. (Ihr – und ihrer Tochter – Traumziel war allerdings Fuerteventura, wo sie einstmals, als die Tochter noch ganz klein war, glückliche Tage als Familie zugebracht hatten.)

Summa summarum: Starker Tobak, dieses Buch. Aber man wird Duvanels Erzählungen noch besser verstehen, wenn man es gelesen hat.


Adelheid Duvanel: Nah bei Dir. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Angelica Blum. Zürich: Limmat Verlag, 2024.

[Nebenbemerkung die erste: Die Titel der beiden im Limmat-Verlag erschienen Bücher Duvanels reimen sich und klingen, als ob sie zusammen gehörten und aus ein und demselben Gedicht stammten. Die beiden Bücher geben aber keine Information dazu, wenn ich das richtig sehe.]

[Nebenbemerkung die zweite: Duvanel ging hin und wieder zur Ablenkung ins Kino. Auch hörte sie gern klassische Musik (Frank Martin, Robert Schumann, Johannes Brahms, Frédéric Chopin, Franz Liszt, Franz Schubert, um nur die zu nennen, die sie in den Briefen an Beutler erwähnt). Dafür hat sie sich auch Kassetten gekauft, und ich frage mich, ob man das System der Kassetten und die ständigen technischen Pannen, denen das System ausgesetzt war und unter denen Duvanel so oft litt, heute nicht schon den jüngeren Lesenden erklären müsste.]

[Nebenbemerkung die dritte: Adelheid Duvanel liest auch, wenn sie Zeit und Konzentration aufzubringen vermag. Sie mag Kafka und Canetti; bei Musils Mann ohne Eigenschaften zweifelt sie daran, ob sie das Buch fertig lesen wird (wir erfahren es nie); auch schreibende Frauen werden von ihr erwähnt (Bettina von Armin, Virginia Woolf) und natürlich einige Schweizer Autor:innen, die sie meist von der Gruppe Olten her kennt, deren Mitglied sie war, oder von Lesungen (Franz Hohler, Peter Bichsel, Peter Noll, Fritz Zorn, um nur ein paar zu nennen). Eigentliche Literaturkritik schreibt sie aber keine.]

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