Die einzige Ausnahme bezüglich der Texte betrifft jenen von Charles Taylor (das ist nicht derjenige mit den „Blutdiamanten“). Taylor ist Hegelianer, Hermeneutiker (und bekennender Katholik, wie mir die Wiki mitteilt) – und sein Beitrag spiegelt diese krude Mischung (leider) wider. Ein unglaubliches Sammelsurium von Trivialitäten (er behandelt den hermeneutischen Zirkel wie eine Wunderwaffe, die er nicht nur im künstlerischen sondern auch im wissenschaftstheoretischen Bereich eingesetzt wissen will). Nun ist gegen den prinzipiellen Ansatz gar nichts einzuwenden: Der Leser bzw. Interpret wird mit einer bestimmten Haltung an einen Text herangehen, diesen zu verstehen versuchen und dieses Verstehen wird hinwiederum die Person und die weitere Interpretation beeinflussen. Denn dieser Zirkel besagt im Grunde nichts anderes, als dass wir einerseits die Intentionen anderer Menschen (bzw. von Texten) nie völlig verstehen können und dass andererseits jedwede Erfahrung, alles Tun, Handeln, Denken in irgendeiner Form wieder auf den Handelnden und Denkenden zurückwirkt. Das ist alles so richtig wie trivial und erhält bestenfalls vor dem Hintergrund einer versuchten Letztbegründung (auf die seit langem nun schon verzichtet wird) eine gewissen Berechtigung. Diesen hermeneutischen Zirkel wendet Taylor nun statt auf Texte auf das Verhalten von Menschen an und kommt zu ganz ähnlichen Schlüssen wie etwa Dilthey mit seinem Ansatz des „Verstehens“. Allerdings ergeht er sich in mühsam gedrechselten Wendungen, schwafelt tiefsinnig vom Subjekt (das genau zu definieren er sich für später vorgenommen hat, ein Unterfangen, von dem er sofort behauptet, dass es mit großen Schwierigkeit verbunden sei) und kommt schließlich zum Schluss, dass halt alles ein bissi kompliziert sei. Versetzt mit hegelianisch-hermeneutischer Terminologie klingt das natürlich unheimlich klug und erhebend.
Wie dieser Beitrag in das sonst so ausgezeichnete Buch kommt bleibt ein Rätsel: Vielleicht war es den Herausgebern um eine verquere „Gerechtigkeit“ zu tun, die auch kontroverse Ansätze nicht unterschlagen wollte. Aber selbst unter den Hermeneutikern hätte sich in jedem Fall ein klügerer Text finden lassen (Diltheys eigene Arbeiten sind dem hier vorgestellten bei weitem überlegen). Von den mir unbekannten Beiträgen fand ich besonders jenen von Giere anregend: Dieser vertritt Ansätze des „Non-Statement-View“, einer Sichtweise, die das Theoriekonzept nicht aus Sätzen bestehen lässt, sondern dieses zu „modellieren“ versucht. Solche Ansätze zeichnen sich häufig durch einen hohen Grad an Formalisierung aus, der entsprechend schwer verständlich erscheint. Hier ist die Darstellung aber in hohem Maße transparent, Gieres Ansatz, der zwischen den Aussagen einer Theorie und einem durch die Theorie konstituierten Modell unterscheidet, wobei erst das Modell mit dem realen System verglichen wird (es entsteht eine Art Ähnlichkeitscharakter in verschiedenen Graden), ist durchaus nachvollziehbar und klug durchdacht. Der Vorteil der Modellisierung gegenüber anderen Ansätzen der Axiomatisierung liegt vor allem darin, dass diese durch ein Höchstmaß an logischer Symbolik bzw. Mengenlehre sich auszeichnen (Giere sagt zu Recht von den axiomatischen Modellen, dass sie ihm wie eine Übung in Mengenlehre erscheinen).
Vom Taylor-Text einmal abgesehen eine gelungene Mischung repräsentativer Texte der wissenschaftstheoretischen Literatur.