Nach einem Jahr Horen lässt sich sagen: Schiller hat bisher sein Ziel, eine anspruchsvolle Zeitschrift von, über und mit Literatur und Ästhetik abzuliefern, im Grossen und Ganzen erreicht. Es gab bei den Beiträgen den einen oder andern Ausreisser nach unten oder nach oben, aber Schiller und Goethe konnten in dieser Zeitschrift vieles ablegen, das sie nirgendwo anders untergebracht hätten: Schiller seine Schriften zur Ästhetik / Literatur- und Kunsttheorie, Goethe seine ‚experimentelleren‘ Werke, das Märchen und die Elegien. Dass Die Horen, um ein Publikumserfolg zu werden, zu wenig bieten, das wirklich Furore machen konnte, ist allerdings klar. Einzig Goethes Elegien hatten das Zeug zum literarischen Skandal, doch weder Goethe noch Schiller sollten nachlegen.
Das erste Stück des Jahrgangs 1796 bleibt noch einmal in der Tradition des Jahres 1795. Grosse Namen sind aufgeboten, auch wenn Herder wie Schlegel nicht ihre besten Werke zur Verfügung gestellt haben.
Nebst ein paar Gedichten, die eindeutig als Füllsel gedacht waren, finden wir von Herder v.a. Iduna, oder der Apfel der Verjüngung. Es handelt sich hier um eine – wenn auch versöhnlich endende – Polemik gegen die grassierende Barden-Bewegung, die die deutsche Literatur zu verjüngen gedachte, indem sie anstelle der klassischen griechischen Mythologie die alte der Germanen setzen wollte. Herder macht sich zu Recht über das Plumpe der alten germanischen Mythologie lustig, wenn auch der Schluss versöhnlich meint, es solle – sozusagen – jeder nach seiner Façon glücklich werden. Hier setzt sich ein Vertreter der deutschen Klassik zur Wehr – auch wenn der Gegner, der wohl in den Reihen der Klopstockianer zu suchen wäre, im Jahre 1796 schon halb tot war. Formal greift Herder auf Lessings Ernst und Falk – Gespräche für Freimaurer von 1778 zurück, nur heissen seine Dialogpartner Alfred und Frey. Die deutsche Klassik bildet sich also mittlerweile ihre eigene Tradition.
Passend zur klassischen Tradition, die die Horen verfechten, folgen ein paar Elegien von Properz. Der Übersetzer ist Karl Ludwig von Knebel, Goethes Urfreund in Weimar. Persönlich finde ich die Übersetzung lau, aber ich habe sie, um ehrlich zu sein, nun nicht mit andern verglichen. Mag sein, Knebel bzw. Schiller haben auch ein paar der lauesten Elegien von Properz erwischt.
August Wilhelm Schlegel fährt dann fort mit Ueber Poesie, Sylbenmaaß und Sprache. Nicht nur hätte der Verzicht auf die Briefform – die ja sowieso nur gerade in der Anrede und den ersten paar Zeilen des Aufsatzes durchgehalten wird – der Arbeit gut getan; Schlegel hätte auch sonst das eine oder andere straffer darstellen können. Mir fehlen nun eingehendere Kenntnissse der Geschichte der Sprachgeschichte bzw. der Geschichte der Literaturgeschichte, um sagen zu können, ob Schlegels These, dass das Silbenmass letztlich aus der Musik in die Lyrik gekommen sein, 1796 noch neu war; ich meine aber, dass schon Herder ähnliche Thesen verfochten hat.
Sodann fährt Schiller fort mit dem Beschluß der Abhandlung über naive und sentimentalische Dichter, nebst einigen Bemerkungen einen charakteristischen Unterschied unter den Menschen betreffend. Schiller diskutiert darin Ziel und Zweck von Dichtung. Es gibt seiner Meinung nach Dichtung, die der Erholung nach den Mühsalen des Alltags dient, und Dichtung, die der Förderung (Schiller spricht von Veredelung) des Geistes dient. Während er die erste Form von Dichtung bzw. von Rezeption der Dichtung nicht ganz verurteilen will, ist es die zweite, die seine volle Zustimmung hat. Mit diesen Ausführungen hat Schiller den Schwenk von der literarischen Produktion zu deren Rezeption gemacht, und nun geht er noch weiter ins Allgemeine. Er entwickelt eine Art Anthropologie, teilt die Menschen ein in Realisten und Idealisten.
Man gelangt am besten zu dem wahren Begriff dieses Gegensatzes, wenn man, wie ich eben bemerkte, sowohl von dem naiven als von dem sentimentalischen Charakter absondert, was beide Poetisches haben. Es bleibt alsdann von dem erstern nichts übrig, als in Rücksicht auf das Theoretische ein nüchterner Beobachtungsgeist und eine feste Anhänglichkeit an das gleichförmige Zeugniß der Sinne, in Rücksicht auf das Praktische eine resignierte Unterwerfung unter die Nothwendigkeit (nicht aber unter die blinde Nöthigung) der Natur: eine Ergebung also in das, was ist und was sein muß. Es bleibt von dem sentimentalischen Charakter nichts übrig, als im Theoretischen ein unruhiger Spekulationsgeist, der auf das Unbedingte in allen Erkenntnissen dringt, im Praktischen ein moralischer Rigorism, der auf dem Unbedingten in Willenshandlungen besteht. Wer sich zu der ersten Klasse zählt, kann ein Realist, und wer zur andern, ein Idealist genannt werden, bei welchen Namen man sich aber weder an den guten noch schlimmen Sinn, den man in der Metaphysik damit verbindet, erinnern darf.
Es ist schade, dass Schiller damit den sicheren Hafen der Literaturtheorie verlassen hat, in dem er sich einigermassen auskannte. Diese seine anthropologische Theorie hat den Fehler jeder idealistischen Theorie, dass sie Voraussetzungen postuliert, die sie weder beweisen noch rechtfertigen kann.
Mit Schillers Aufsatz ist Sinn und Zweck dieser Horen-Nummer auch erledigt. Es folgen noch zwei Gedichte von G. K. Pfeffel, witzige kleine Lehrgedichte, wie sie Pfeffel so leicht aus der Feder flossen.
Summa summarum: Eine noch immer lesenswerte Nummer der Horen.
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