Robert Burton: The Anatomy of Melancholy. The Second Partition

The Second Partition der Anatomy of Melancholy zeigt Robert Burton ganz als Arzt. Na ja, fast ganz. Der gute Wille wäre wohl da, aber der belesene Universalgelehrte kommt dem englischen Theologen immer mal dazwischen – vor allem in der ersten Hälfte, wo Burton Mittel gegen die Melancholie sucht, die in Lebenshaltung und Diät zu finden sind.

Burton ist noch ganz Verfechter der Humoralpathologie von Hippokrates und Galen. Das Bekämpfen der Schwarzen Galle, die als Ursache melancholischer Disposition gesehen wurde, steht demnach im Zentrum von Burtons Bemühungen. Doch nicht dies macht das Buch bis heute lesenswert. Es sind vielmehr Burtons Digressionen von seinem eigentlichen Thema, die bis heute zu faszinieren vermögen.

Diese Digressionen mögen kleine Anekdoten sein, die er aus aller Herren Länder und Bücher herbeiträgt, wie die Geschichte des Mannes, der sich nie aus seiner Heimatstadt begeben hat, auch nie den Wunsch dazu verspürte, obwohl er alle finanziellen und gesundheitlichen Voraussetzungen dafür gehabt hätte. Erst als sein Fürst ihm die Ausreise aus der Stadt explizit verbot, überkam ihn ein heftiges Verlangen danach. Diese unerfüllte Sehnsucht packte ihn so sehr, dass er an Melancholie starb. (Diese Geschichte wurde schon damals in vielen Variationen herumgereicht; sie hat Jahrhunderte später auch noch einen Johann Peter Hebel inspiriert!)

Diese Digressionen können auch grösseres Ausmass annehmen. Von einer astrologischen Diskussion des Einflusses der Gestirne auf unsere Disposition kommt Burton zwanglos zu einer astronomischen Diskussion des Aufbau des Weltalls. Dem Kopernikus oder Galilei zieht er jedoch den Tycho Brahe vor, in dessen Weltsystem zwar noch die Erde im absoluten Mittelpunkt des Alls steht, um sie herum aber nur noch Sonne und Mond kreisen, die übrigen Planeten und Sterne allesamt um die Sonne. Auch in anderem, sei es Essen, sei es Trinken, sei es Sex, befürwortet Burton wenn möglich immer einen Mittelweg – hierin ein echter Aristoteliker.

Burton wäre kein Universalgelehrter gewesen, dem selber in Oxford eine riesige Bibliothek zur Verfügung stand, wenn er nicht Lesen und ständige Weiterbildung als Mittel gegen die Melancholie empfohlen hätte – und zwar nicht nur für den eigentlichen Gelehrtenstand. Allein den Frauen empfiehlt er weniger Lektüre und mehr Handarbeiten. Auf jeden Fall aber soll der menschliche Geist immer beschäftigt sein, abgelenkt von seiner Melancholie.

Im zweiten Teil wechselt Burton dann zur Bekämpfung der Melancholie mittels Pharmaka. Er scheint zwar im ersten Teil nicht so sehr Anhänger dieser Methode zu sein und fährt dort vor allem Paracelsus hart an den Karren. Im zweiten Teil allerdings schwingt er sich zu einer Anerkennung auch dieser Methode auf, ja, zum Schluss gibt er sogar Rezepte preis zur Herstellung von Anti-Depressiva, wie wir heute sagen würden. (Es braucht wohl detaillierte Kenntnisse der Medizingeschichte, um diese Rezepte lesen zu können. So, wie es zu Burtons Zeit medizinisch-apothekarische Kenntnis gebraucht haben wird, um aus dieser Menge an Kürzeln schlau zu werden.) Faszinierend finde ich persönlich in diesem pharmazeutischen Bereich, wie noch zu Burtons Zeit der Begriff eines ‚Fortschritts der Wissenschaft‘ völlig unbekannt ist. Ob Galen, ob Plinius der Ältere, ob Erasmus oder Melanchthon, ob Paracelsus – alle Jahrhunderte sind in der chemisch-pharmazeutischen Erkenntnis einander gleich. (Wobei Burton natürlich nicht von Chemie und selten von Pharmazeutik oder Pharmakologie spricht – Heilmittel sind Physics, wovon bis heute der Arzt in England den Namen „Physician“ davonträgt.)

Faszinierend auch, wie wenig der Theologe Burten auf theologische Argumente zurückgreift. Selbst wenn es darum geht, Menschen in unglücklichen Lebensumständen davon zu überzeugen, dass diese ihre Lebensumstände noch kein Grund sind, melancholisch zu werden, ob sie nun in Armut leben oder in Sklaverei oder einfach nur vom Königshof (bzw. gar -thron) verjagt worden sind – Burton tröstet sie mit Argumenten, die er Epikur und der Stoa entnimmt. Er gehört also (wie jener andere Humanist Gassendi) zu denen, die Epikur richtig verstehen und in ihm keinen ‚Epikuräer‘ im negativen Sinn sehen.Im Übrigen sind seine Lieblingsphilosophen, die er auch immer wieder zitiert, die beiden Stoiker Seneca und Cicero.

Ein faszinierender Rundgang in der Gelehrsamkeit des Humanismus – diese Anatomy of Melancholy.

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