Kurt Flasch: Warum ich kein Christ bin

Ein seltsames Buch: Ich habe mit großem Interesse die philologisch-historischen Untersuchungen der Bibel bzw. der Kirchenväter gelesen, die skizzenhafte Darstellung der religiösen Vorstellungswelt in der Antike oder die philosophische Analyse des Begriffes der Seele bis in unsere Gegenwart. All das soll als Antwort auf den Buchtitel dienen, doch diesbezüglich habe ich so meine Zweifel ob der Sinnhaftigkeit dieser Bemühungen: Denn die so subtil vorgetragenen Begründungen scheinen dem Thema des Buches nicht angemessen.

Flasch möchte historisch-kritisch vorgehen und sich auch in philosophischer Hinsicht nichts vergeben: Niemand soll ihm vorwerfen, dass er polemisch (obwohl es einige wunderbar ironische Textstellen gibt) oder gar unwissenschaftlich sich dem Thema genähert habe. Diese übergroße Vorsicht treibt denn auch das ganze Buch hindurch seltsame Blüten: Schon dort, wo er anfangs betont, dass er nur über das Christentum schreibe, nicht aber etwa vom Buddhismus oder Islam spreche. “Über diese höre ich mir nur Leute an, die Dokumente dieser Religionen in der Originalsprache studieren.” Das mag nun sein gutes Recht sein, ist aber für die Beurteilung der Gottesvorstellungen dieser Religionen keineswegs – wie hier suggeriert wird – unabdingbar: Man kann sich auch über das Christentum einige ganz vernünftige Gedanken machen, ohne des Lateinischen, Altgriechischen, Hebräischen oder gar Aramäischen kundig zu sein. Vor allem, weil es in diesen Beurteilungen nicht um philologische Feinheiten geht, sondern um ganz fundamentale philosophische Fragen wie die nach der Vertrauenswürdigkeit von Beobachtungsdaten. Man muss Homer und Hesiod nicht in der Originalsprache lesen, um sich ein Urteil darüber erlauben zu können, wie es denn mit dem Realitätsanspruch der griechischen Götterversammlung steht – und man muss auch nicht des Isländischen mächtig sein, um über die Existenz von Elfen (die von 40 % der Isländer angenommen wird) sich eine Meinung bilden zu können.

Diese scheinbar wissenschaftlich ehrenhafte Zurückhaltung, die nur dem ausgewiesenen Fachmann ein Urteil zugestehen will, ist in der Gottesfrage so unnotwendig wie lächerlich. So zieht sich durch das ganze Buch eine Form der Argumentation, die vor 200 Jahren eine gewisse Berechtigung hatte, im 21. Jahrhundert sich aber bestenfalls kurios ausnimmt. Flasch macht sich die Mühe, die Inkonsistenzen der Evangelien aufzuzeigen, die in kaum einem Punkt übereinstimmen und – historisch-kritisch betrachtet – wohl auch keine Jesusworte übermitteln. Die Berichte zur Auferstehung unterscheiden sich in Zahl und Person der Entdecker dieses Wunders; wann Jesus zu erscheinen geruhte und wem er dabei die Gnade seiner Erscheinung zuteil werden ließ ist ebenso widersprüchlich wie das Datum seiner Himmelfahrt ungewiss ist. Alles schön und gut, das ist die Arbeit des Philologen (die ich keineswegs geringschätzen möchte – im Gegenteil: Ich bewundere diesen Fleiß, der als Grundlage für weitergehende Spekulationen dient, außerordentlich): Aber ist dies entscheidend dafür, ob jemand im Jahr 2013 an die Auferstehung glaubt, an die Himmelfahrt oder die Jungfrauengeburt?

Und so geht das Kapitel für Kapitel: Es besteht kein Zweifel daran, dass der Autor seine Analysen mit Akribie und Sorgfalt betreibt und dass man den Feststellungen völliger Inkonsistenz der heiligen Bücher zuzustimmen gezwungen ist. Er beschreibt die unterschiedlichen Kosmogonien im Alten Testament (damit haben wir schon als 10jährige Ministranten unseren recht naiv gläubigen Pfarrer verärgert, ja fast zur Verzweiflung gebracht: Er versprach, sich bei kompetenten Theologen nach der entsprechenden Auslegung zu erkundigen, denn wir hatten “aufrichtige” Glaubenszweifel ob der vielen Varianten angemeldet), zeigt, dass in der Genesis jüngere und ältere Textteile weitgehend unverbunden nebeneinander stehen, weist auf das Widersprüchliche in der Bedeutung der einzelnen Teile hin oder konstatiert “offenbar falsche oder schlicht unmögliche Dinge”: U. a. sprechende Schlangen und fast 1000 Jahre alt werdende Menschen. Und wieder schließt sich die Frage an, ob denn Flaschs Glaube, wenn man diese märchenhaften Teile eliminiert bzw. die gesamte Erzählungen in sich konsistent erzählt hätte, erhalten geblieben wäre. Wie gesagt: Das mögen im 18., auch noch im 19. Jahrhundert gute Gründe für den Zweifel an der Wahrheit des Christentums gewesen sein, heute aber mutet die Argumentationskette “Baumfrüchte egal welcher Art verschaffen kein Wissen und Schlangen bedienen sich im Regelfall nicht der menschlichen Sprache, daher muss auch die Bibel ein Phantasieprodukt sein und ich kann nicht mehr des Sonntags in die Kirche gehen” sehr seltsam an.

Ob Altes oder Neues Testament, ob Wunderglaube oder theologisch Widersprüchliches (ein Kapitel hat den Titel “Christentum der Unvernunft”), stets wird mit feinstem philologischem Werkzeug das Unsinnige am Christentum herausgestellt. Und – implizit – der Buchtitel beantwortet. Das kann man tun, wenn man einer Versammlung ehrwürdiger Theologen gegenüber Rechenschaft ablegen soll, kann aber für das philosophische Selbstverständnis kaum entscheidend sein. Wäre dem so, dürfte Flasch nicht mit so großer Selbstverständlichkeit von den fiktiven griechischen Göttern sprechen, er müsste dem isländischen Elfenglauben ebenso philologisch zu Leibe rücken wie dem Gespenster- und Engelglauben meines esoterischen Nachbarn (auf den der keineswegs einen exklusiven Anspruch erheben kann). Hier macht sich – wie schon in der Diskussion zu diesem Buch – eine seltsame Vorsicht (Feigheit?, Unredlichkeit?) bemerkbar, indem dem Wind- und Wettergott des auserwählten Volkes eine Referenz erwiesen wird, die anderen Geistwesen (vom Osterhasen und Manitou bis zur Zahnfee) im Regelfall versagt bleibt.

Eine Seltsamkeit sei noch erwähnt: Dreimal betont Flasch in diesem Buch, kein Atheist zu sein, den Atheisten “würden sich zutrauen zu beweisen, dass kein Gott sei”, seine Position sei “konsequent agnostisch” (wobei er allerdings am Ende des Buches auf den Titel des Agnostikers gern verzichten möchte, es dürften ihm doch Zweifel an dieser Position gekommen sein). Sandhofer hat in seiner Besprechung schon darauf hingewiesen, dass Flasch während des gesamten Buches als Atheist argumentiert und schon deshalb diese agnostische Positionierung sonderbar anmutet. Ich vermute in dieser Vorgehensweise eine Art anerzogene “religiöse Beißhemmung”: Man nimmt gegenüber dem Christentum eine radikal-skeptische Haltung ein, die den Gläubigen nicht vor den Kopf stoßen soll (weil man möglicherweise einige Gläubige kennt – und sogar mag). Eine solche Rücksicht man im persönlichen Umgang (vielleicht) angebracht sein: Wer hingegen wissenschaftliche Arbeiten oder Bücher schreibt, muss sich von solchen Zimperlichkeiten frei machen. Oder aber die radikal-skeptische Sichtweise auf alle “wunderbaren” Erscheinungen ausdehnen: Respekt vor jedem Osterhasen, vor Lord Voldemort (der, wie mich das Internet belehrt, auch bereits einige Male gesichtet wurde) oder Claude Vorilhon, der sich für den Halbbruder von Jesus hält.

Dort, wo es sich nur um philologisch-philosophische Erörterungen von Entstehung und Entwicklung des Christentums handelte, habe ich den Text mit einigem Interesse gelesen. Sobald aber diese Untersuchungen in Bezug gesetzt wurden zum tatsächlichen Glauben des Autors, entbehrte das Ganze für mich nicht einer gewissen Lächerlichkeit: Ein alter Mann stellt mit wissenschaftlicher Akribie fest, dass er nun nicht mehr an das Christkind glauben kann.


Kurt Flasch: Warum ich kein Christ bin. München: Beck 2013.

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