Nylands kleine Westfälische Bibliothek 57.
Wollschläger ist in Herford zur Welt gekommen, war also gebürtiger Westfale – Grund genug offenbar für die Herausgeber der Reihe, ihm nach oder neben einem Althaus, einem Huelsenbeck oder einer Droste-Hülshoff darin einen Platz zu gewähren. Ähnlich kontingent wie das Kriterium, dank dessen es Wollschläger in die Reihe geschafft hat, sind dann offenbar auch die, welche die Auswahl der einzelnen Stücke betreffen. Auch in seinem Nachwort Die Kunst des Essayisten schafft es der Herausgeber Michael Girke nicht, dem Leser zu vermitteln, warum nun diese und nur diese Texte in dieser Auswahl stehen müssen. Schade.
Am Einleuchtendsten ist noch Wollschlägers autobiografisches Fragment Pommerland ist abgebrannt, ein Bericht über seine Kindheit bei Kriegsende. Wollschläger mischt in seinem Ich bewusst kindliche und erwachsene Optik, was dieses Stück Autobiografie zugleich zu einer Standortbestimmung des Schreibenden macht. Dann folgen die eigentlichen Essays, die oft gar keine sind. Schon der erste (Wo das herkommt, was man macht) ist gar keiner, sondern ein Interview. Es geht darin um – wen anders? – Arno Schmidt, der in Wollschlägers intellektueller Biografie eine zentrale Rolle gespielt hat, was er in diesem Interview mit Sandra Tauner aus dem Jahre 1994 auch unumwunden zugibt. Der zweite Text zu Arno Schmidt folgt ein bisschen später: Eine Putenfarm für Arno Schmidt? Gerade dieser Text legt die Schwäche der vorliegenden Essay-Sammlung schonungslos offen. Warum sollte es den Leser im Jahre 2016 noch interessieren, was 2002 offenbar die Arno-Schmidt-Aficionados umtrieb? Die Pläne zu einer Putenfarm unmittelbar beim ehemaligen Wohnhaus von Schmidt: Sie sind heute kalter Kaffee – umso mehr, als der Herausgeber keinerlei Anmerkung von sich gibt, was da genau los war. (Oder wie die Geschichte denn ausgegangen ist.) Vielleicht der überflüssigste Text in der Sammlung.
Von Schmidt ist der Weg zu Karl May kurz – Über Karl May skizziert die Reise des alten May in den ‚Wilden Westen‘, die bekanntlich seine erste war, stellt sie als Folie und Material für Mays Altersroman Winnetou IV hin. Wollschlägers Verfahren, der leicht ironische und doch liebevolle Ton, sind aus seiner grosser May-Biografie hinlänglich bekannt.
Auch Auseinandersetzung mit schriftstellerischen Zeitgenossen findet in dieser Sammlung Platz. Wo warst du, Heinrich – über Bölls Briefe aus dem Krieg, die Wollschläger merkwürdig uninformativ findet (während er Bölls Katholizismus ganz und gar nicht mag).
Essays zur Musik dürfen selbstverständlich nicht fehlen, immer anhand von Büchern allerdings. Glenn Gouds Briefe und Schriften werden besprochen, und als irrelevant zum Verständnis Goulds verrissen. Nebenbei ist seine Kritik auch eine Abrechnung mit den reisserischen Begriffen wie Kultfigur, Legende oder Universalgenie, die 1997 schon so inflationär an Künstler angeheftet wurden, wie heute. Über den Einfluss von Musik und Schreiben in seinen eigenen Texten finden wir ebenso etwas, wie eine Kritik an einer über 1’000 Seiten umfassenden Mahler-Biografie aus dem Jahre 2003. Wollschläger moniert darin vor allem die Tatsache, dass der Biograf Mahler immer wieder den Vorwurf macht, ob seiner Kunst seine Frau vernachlässigt zu haben.
Wollschläger war mit Karlheinz Deschner befreundet, und wir finden in dieser Sammlung auch eine Kritik des 5. Bands von dessen Kriminalgeschichte des Christentums, die Wollschläger nur schon deshalb gefällt, weil hier Geschichte aus der Sicht der Opfer geschrieben worden ist (womit wir wieder Bezugspunkte zum kurzen autobiografischen Text haben, der der Sammlung vorangestellt ist).
Selbst Theaterkritiken finden wir – so eine über eine hypermoderne Aufführung von Hebbels Nibelungen. Wollschläger ist als Zuschauer sehr konservativ und mochte diese Inszenierung nicht.
Den Schluss bildet ein weiterer autobiografisch gefärbter Text, Warum und zu welchem Ende – eine Reflexion über die Resignation, die einen Autor am Ende seines Lebens ergreifen kann.
Das ganze ist illustriert mit Fotografien Wollschlägers – so schlecht reproduziert, dass es schon wieder künstlerisch wirkt. Während Anfang und Ende der Sammlung einen Rahmen suggerieren, ist der Teil dazwischen offenbar zufällig zusammengewürfelt worden. Man hat den Eindruck, dass Verlag und Herausgeber einfach das publizierten, wofür sie die Rechte erhielten. Seine grosse Übersetzung zum Beispiel, Joyce‘ Ulysses, wird nur am Rande erwähnt, der eigene Roman Herzgewächse kaum viel mehr angesprochen.
Wollschläger ist ein brillianter Stilistiker, der sich allerdings auch gern in Manierismen verfängt. Den lernt man kennen – den Autor oder Menschen hingegen kaum. Und leider verführt dieses Lesebuch nicht dazu, noch mehr von Wollschläger lesen zu wollen. Obwohl es sich durchaus lohnte.
that is the (a) book I must have
Nur ein gänzlich unnützes Seitenstück: https://youtu.be/zWFEy1lVUMI – “Ach, that is the Fräulein I must have!”
Schönes Wochenende!