Frans de Waal: Das Prinzip Empathie

De Waal gehört zu den jenen Primatenforschern, der als einer der ersten der Wichtigkeit dieser Forschung für den Menschen Ausdruck verlieh. Eigentlich liegt eine solche Bedeutung auf der Hand: Wir sind evolutionäre Produkte und nichts von unserem „Menschsein“ ist plötzlich und wie durch ein Wunder in unserer Art aufgetreten. Deshalb ist es nur mehr wie vernünftig, für alle unsere Verhaltensweisen auf die Suche zu gehen nach deren rudimentären Ursprüngen in der Tierwelt. Und es ist aufgrund unserer erst sechs Millionen Jahre währenden Geschichte mehr als wahrscheinlich, in so gut wie allen (elementaren) Fällen fündig zu werden.

Es gibt unzählige Versuche, das Spezifikum des Menschseins zu definieren: Homo politicus, Home ridens, Homo oeconomicus, Homo ludens und viele andere Bezeichnungen mehr sollen (bis zur biologischen Kategorisierung als Homo sapiens) das entscheidende Merkmal des Menschen herausstellen – zumeist mit der Folge, dass sich die in Augenschein genommenen Züge auch bei Tieren – wenn auch in abgeschwächter Form – wiederfanden. Mit dem Homo empathicus scheint es sich nicht viel anders zu verhalten, wobei de Waal diese Tatsache positiv vermerkt: Sind auch Tiere zu einem solchen Verhalten fähig, so weist das darauf hin, dass empathisches Verhalten eine Grundkonstante der Evolution darstellt und keine nur oberflächlichliche Firnis des zivilisierten Menschen ist, die eben deshalb auch leicht wieder verloren gehen könnte.

Allerdings ist de Waal kein realitätsferner Utopist wie etwa Jeremy Rifkin, sondern stellt klar, dass die Fähigkeit zu empathischen Verhalten nur ein Merkmal von sehr vielen darstellt: Er betont, dass Aggressivität und Egoismus dem evolutionären Leben inhärent sind und dass ohne ein solches Verhalten das Leben ebenso schwer vorstellbar wäre wie ohne Mitgefühl. Der Mensch sei – nicht weiter überraschend – eine Mischung aus unterschiedlichen Verhaltensformen, er ist keineswegs nur rational (wie verschiedene Ökonomen der Einfachheit halber annehmen), er ist in den seltensten Fällen ein pathologischer Egoist, immer ein wenig opportunistisch und ausgestattet mit einem Sinn für Kooperation und – Gerechtigkeit. Letzteres ist für die verschiedenen Formen der Zusammenarbeit (und das Anstreben von Zielen durch Bündelung der Anstrengung einzelner ist für die menschliche Entwicklung von großer Bedeutung) notwendig – nämlich um mögliche Trittbrettfahrer zu erkennen und nach Möglichkeit zu disziplinieren. (Aber wie Robert Axelrod schon vor rund 30 Jahren nachwies ist die fruchtbarste Form der Zusammenarbeit jene, die mit einem kooperativen (vertrauenden) Handeln beginnt und selbst sogar egoistisches Verhalten ab und an „verzeiht“: Egoistische Strategien konnten immer nur kurzfristige Erfolge verzeichnen.)

Diese Form von Entgegenkommen und Freundlichkeit bzw. von Einfühlungsvermögen ist keineswegs auf den Menschen begrenzt: Unzählige Experimente mit Primaten (aber auch mit anderen Säugetieren wie Ratten) lassen unzweifelhaft den Schluss zu, dass das Leid des Gegenüber nie einfach nur hingenommen wird, sondern immer auch berührt. Ein Hauptproblem dieser empathischen Strategie besteht jedoch darin, dass sie auch missbraucht werden kann (und häufig missbraucht wird): Indem man das Gefühl der Empathie auf eine bestimmte Gruppe (mit ganz spezifischen Merkmalen) beschränkt und dadurch für die egoistischen Zwecke einiger weniger instrumentalisiert. Weshalb es ganz entscheidend ist, wie diese Fähigkeit des Menschen, sich anderen verbunden zu fühlen, angesprochen wird. Die Strategie ist von erfolgreichen populistischen Parteien bekannt: Die grundsätzliche Verbundenheit des einzelnen mit seinen Mitmenschen wird willkürlich auf eine auserwählte Gruppe beschränkt und man appelliert innerhalb dieser Gruppe an die aggressiven, egoistischen Motive, um einer scheinbar von außen drohenden Gefahr zu wehren. Deshalb die Antwort de Waals auf die Frage, was er denn am Menschen – so er dies zu tun in der Lage wäre – verändern würde: Zu versuchen, den Geltungsbereich der Empathie auf einen möglichst großen Bereich zu erweitern, während ihm eine „Abschaffung“ der Aggression wenig sinnvoll erschiene, da diese im evolutionären Überleben einen wichtigen Platz beanspruche.

Ich habe andere Bücher des Autors lieber gelesen – aber auch das vorliegende ist eine Empfehlung wert. Meine Zurückhaltung ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass sich manche Themen in seinen Büchern wiederholen und mir daher vieles schon bekannt erschien. Besonders fruchtbar scheint mit der Ansatz, ethologische Erkenntnisse auf den Menschen zu übertragen bzw. den Eigenschaften des Menschen auf diese Weise nachzuspüren: Das gewährleistet eine realistischere Einschätzung unserer eigenen Art – sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht.


Frans de Waal: Das Prinzip Empathie. München: Hanser 2011.

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