A. A. (für Alan Alexander) Milne war ein äusserst produktiver Autor, ein Autor auch, der sich gern in den verschiedensten Genres betätigte. Er verhalf der Satirezeitschrift Punch zu neuem Glanz, zuerst als Mitarbeiter, später als Mitherausgeber. Er schrieb – mit ebenso grossem Erfolg – Theaterstücke, einen Kriminalroman und zwei Kinderbücher. Der Erfolg der Kinderbücher über den Teddybären seines Sohns überschattete dann alle andern seiner literarischen Erfolge – sehr zu Milnes eigenem Leidwesen. Selbst im angelsächsischen Raum kennt man ausser Winnie-the-Pooh und The House at Pooh-Corner kaum mehr etwas von Milnes übrigem Werk. Am ehesten wird vielleicht noch von The Red House Mystery gesprochen, Milnes erstem und einzigen Kriminalroman.
1922 erschienen, wird er dem Goldenen Zeitalter der (englischen) Kriminalnovellistik zugerechnet, zu dem auch die praktisch gleichzeitig mit ihren ersten Romanen ans Licht der Öffentlichkeit tretenden Agatha Christie und Dorothy L. Sayers gehören. Krimis, die heute in diesem Stil geschrieben werden – und es gibt trotz der US-amerikanischen Hard-Boiled-Novel oder der schwedischen Variante mit ihrem psychisch angeschlagenen Ermittlern immer noch Romane dieser Art – werden meist (analog zur ‚cosy catastrophe‘ in der Science Fiction) mit ‚cosy mystery‘ bezeichnet. Sie zeichnen sich, vereinfacht gesagt, dadurch aus, dass ein Mord immer in einer idyllischen Szene stattfindet, die Protagonisten aber nicht allzu sehr belastet und von einem Amateur ausgeführt wurde, der von einem andern Amateur ausfindig gemacht wird, während die Polizei hilflos an Ort tritt bei ihren Ermittlungen. Vor allem, was die beiden Punkte von Amateur-Täter und -Ermittler betrifft, war Milne auch in der Theorie Verfechter des ‚cosy mystery‘.
In bester Tradition des ‚cosy mystery‘ (obwohl an dessen Anfang stehend) spielt denn auch The Red House Mystery auf einem kleinen Landsitz in der Nähe Londons, in einem Landhaus, das sich vor allem dadurch auszeichnet, dass es von aussen eben rot ist. Erst im zweiten Kapitel trifft der Leser auf den Helden und von seinem Glück noch nichts ahnenden Anthony Gillingham, der von Beruf eigentlich zweiter Sohn ist – will sagen, vermögend genug, um sich ein relativ unbeschwertes Leben leisten zu können, auch wenn er sich unterdessen schon in diversen Jobs versucht hat. Gillingham will auf oben genanntem Landsitz einen Freund besuchen, der seinerseits zu Besuch ist beim Besitzer des Landsitzes. Doch Gillingham und Beverley haben sich noch nicht einmal getroffen, als ersterer bereits eine Leiche entdeckt hat, und beschliesst, einen neuen Beruf zu ergreifen – den eines Detektivs.
So entwickelt sich ab Seite 36 das komplexe Suchspiel nach dem Mörder, wie man es aus Kriminalromanen kennt. Milnes Suchspiel ist dabei nicht besser, aber auch nicht schlechter als das seiner Autoren-Kollegen. Sein Plot ist weniger irreal (oder surreal, wie man will), als der von Crispins Moving Toyshop, allerdings immer noch äusserst unwahrscheinlich und verwickelt genug, um ihm (berechtigte) Kritik einzutragen. Tatsächlich steht und fällt Milnes Krimi, wieder analog zu Crispin, mit seinem Humor. Reizend an dem Geheimnis des roten Hauses ist nicht das Geheimnis an sich, sondern die beiden Gestalten von Gillingham und Beverley. Sie spielen ein Spiel von Holmes und Watson, und dies ganz offen, indem sie einander immer wieder auf ihre Vorbilder ansprechen. Wie überhaupt der Roman von den Dialogen der beiden lebt. Diese sind witzig und zum Teil voller überraschender Wendungen. Milne, der routinierte und gute Verfasser von Theaterstücken, kann sich auch in seinem Kriminalroman nicht verleugnen. So verzeiht man ihm denn auch den ein bisschen umständlich ausgeführten und erklärten Plot gerne.
Keine absolute Leseempfehlung also, aber auch nicht die übelste Lektüre für ein paar entspannte Stunden zwischendurch.