Mario Bunge / Martin Mahner: Über die Natur der Dinge

Nicht zufällig erinnert der Titel an das antike naturphilosophische Werk des Lukrez. Die beiden Autoren, Bunge und Mahner, wollen nämlich eben so wie ihre beiden antiken Vorbilder Lukrez und Epikur die ‚Welt‘ beschreiben, ohne auf Götter Rekurs zu nehmen. Und anders als die beiden Antiken gestehen sie Gott oder den Göttern auch nicht eine Existenz jenseits der hiesigen ‚Welt‘ zu, wo sie glückselig leben, ohne weiter Einfluss auf unsere ‚Welt‘ zu nehmen. (Non sunt multiplicanda entia sine necessitate…)

Bunge und Mahner setzen Ontologie und Metaphysik gleich. Ich bin damit nicht einverstanden, da für mich ‚Ontologie‘ eine Beschreibung der ‚physischen Welt‘ bedeutet, ‚Metaphysik‘ zwar etwas Ähnliches, aber unter Einbezug von ‚entia‘ jenseits ‚unserer physischen Welt‘. Da Bunge und Mahner aber auch nach meiner Begrifflichkeit vorwiegend Ontologie betreiben, spielt das eine kleine Rolle.

Dass ich bin dahin Begriffe wie ‚Welt‘ in Anführungszeichen gesetzt habe, hängt damit zusammen, dass ich sie ohne genauere Definition verwendet habe. Davon aber handeln die ersten drei Kapitel, und damit fast das halbe Buch. Eine materialistische Ontologie muss definieren, was sie unter ‚Materie‘ versteht – nämlich nicht nur Dinge, die wir physisch in die Hände nehmen können. Dazu gehören auch Dinge, die von den Wissenschaften – allen voran der Physik – als Tatsache erschlossen worden sind, also zum Beispiel alles auf subatomarem Niveau. Aber auch soziologische oder psychologische entia sind ‚Materie‘, weil sie ebenso erforscht werden können wie physikalische. Damit nehmen Bunge und Mahner Aspekte des dialektischen Materialismus von Marx und Engels explizit  in ihre eigene Ontologie auf, einen dialektischen Materialismus ohne Dialektik allerdings.

‚Materie‘ wird nun grosso modo als ein Etwas definiert, das einen bestimmten Platz im Raum einnimmt und/oder über eine Geschichte von Veränderungen verfügt. Dabei ist es so, dass erst die Existenz von so definierter Materie ‚Raum‘ und ‚Zeit‘ konstituiert. Es ist also nicht so, dass Raum und Zeit eine Art Behälter darstellen, in die Materie geworfen werden kann – womit Bunge und Mahner u.a. explizit die Raum-Zeit-„Wurst“ der Blockuniversums-Theorie verwerfen. Ebenso verwerfen sie die Existenz einer Art ’nicht-greifbarer‘ Realität: Platons Ideenwelt wird ebenso verworfen, wie der häufig anzutreffende Gedanke, dass die Konstrukte der Mathematik ‚realen‘ Charakter hätten.

Über die Natur der Dinge ist als populärwissenschaftliches Buch gedacht. Nach Meinung der Autoren allzu  komplizierte (mathematische) Sachverhalte sind in Anmerkungen am Ende des Buchs niedergelegt. (Wobei meiner Meinung nach sich auch dort die mathematischen Anforderungen in Grenzen halten.) Natürlich orientiert sich die Ontologie von Bunge und Mahner stark an den Erkenntnissen der modernen Physik. Das zeigt sich vor allem in Kapitel 2 (Eine materialistische Ontologie) wo in Unterkapitel 2.2 die Eigenschaften eines materiellen Dings (Unterkapitel 2.1) in folgenen Unter-Unterkapiteln definiert werden: Substantielle Eigenschaften, Eigenschaften und Prädikate, Allgemeine und individuelle Eigenschaften, Drei missverstandene Eigenschaften, Masse, Energie, Information, Gesetze, Gesetze als Eigenschaften der Dinge, Gesetzesaussagen, Missverständnisse um den Gesetzesbegriff, sowie die beiden Unterkapitel 2.3 und 2.4: Zustand und Veränderung. Man ahnt es vielleicht aus der Aufzählung, dass Bunge und Mahner den Begriff des Prädikats (anders als Mach) keineswegs verwerfen.

Trotz ihrer expliziten Ablehnung des Begriffs ‚Metaphysik‘ werden die beiden Autoren aber nach meinen Begriffen dennoch ‚metaphysisch‘. Es wird im Anschluss an die eigentliche Ontologie nämlich untersucht, ob die Quantenphysik und vor allem die von Niels Bohr und dem logischen Positivismus (oder Empirismus) aufgebrachte Interpretation derselben eine Rückkehr zum Idealismus bedeuten würde. Bunge und Mahner bestreiten das, indem sie die Interpretation der logischen Positivisten bestreiten: Die ‚Heisenberg’sche Unschärferelation‘ stellt reale Eigenschaften der mikrophysikalischen Objekte dar, die nichts zu tun haben mit Messwerten, geschweige denn mit mentalen Zuständen (S. 141). Dass Bunge und Mahner gleich im Folgenden das Leib-Seele-Problem dahingehend lösen, dass sie eine Seele für eine Konstruktion post festum halten, der keine Realität entspricht, bzw. die Prozesse unseres Gehirns darstellen, ist nur konsequent. Auch der ‚freie Wille‘ kann ’nur‘ Handlungsfreiheit oder personale Freiheit sein, denn auch die Prozesse unseres Gehirns sind letztlich kausal begründet.

Das absolute Primat kausaler Prozesse macht für eine materialistische Ontologie im Stil von Bunge und Mahner auch jedwede Form von Gottheit überflüssig, ja sinnlos. Eine Gottheit, die der Welt ihren Lauf lassen muss, ist sowieso überflüssig. Eine Gottheit, die – via Wunder – in den Lauf der Welt gegen deren physikalischen Gesetze, wie sie Bunge und Mahner vorgängig definiert haben, eingriffe, würde nicht nur die Physik zerstören, sondern auch das ganze Erkenntnis-System des Menschen, das sich seiner Umwelt und deren Gesetzen angepasst hat. Dass es, um ‚ethisch gut‘ zu handeln, keiner Gottheit und deshalb a fortiori keiner Religion bedarf, wird dabei vorgängig noch dargestellt. Den Schluss bilden Kapitel, in denen sich Bunge und Mahner über jene Wissenschafter wundern, die als Wissenschafter völlig atheistisch denken, und dennoch – sozusagen ‚privat‘ – an einen Gott glauben. Aber selbst eine materialistische Ontologie kann offenbar nicht alles erklären…

Ich gebe zu, dass ich die ‚atheistischen‘ Teile von Über die Natur der Dinge weniger gern gelesen habe. Während Bunge und Mahner nämlich im ontologischen Teil orginell und zugleich stringent argumentieren, verlieren sie hier ihre Originalität. Vor allem die Kritik an den christlichen Kirchen bezieht ihre Argumente praktisch ganz aus Deschners entsprechenden Werken. Man mag argumentieren, dass Deschner nichts mehr hinzuzufügen sei (was ich sogar unterschreiben würde), aber man ist halt in den rein ontologischen Kapiteln ein bisschen verwöhnt worden, und hätte auch in den atheistischen mehr erwartet.

Wie weit eine philosophische Ontologie, die sich derart stark an die Physik anlehnt, Bestand haben kann, halte ich für zumindest problematisch. Allerdings sehe ich auch keine Alternative für eine Ontologie, die halbwegs als (Meta-)Wissenschaft begriffen werden kann.


Mario Bunge / Martin Mahner: Über die Natur der Dinge. Stuttgart, Leipzig: S. Hirzel Verlag, 2004.

2 Replies to “Mario Bunge / Martin Mahner: Über die Natur der Dinge”

  1. Das ist schon eigenartig: Esfeld definiert sein Blockuniversum keineswegs als Behälter für die Materie, im Gegenteil. In meiner Besprechung schrieb ich u. a.: „Raumzeit und Materie werden von Esfeld als eine Art „Identität“ begriffen, dadurch existieren nur Ereignisse in der Vierdimensionalität […]“. – Das ist im übrigen ein Grund, weshalb ich den theoretischen Physikkonzepten bzw. besser: Ihrer Verwendung in einer Ontologie höchst skeptisch gegenüberstehe. Denn offenbar ist man sich über deren Interpretation ganz und gar nicht einig; eine bestimmte Auslegung als das Argument für die eigene Metaphysik (oder Ontologie) zu verwenden, ist daher mehr als fragwürdig. Esfelds Argumente für die Universumswurst gleichen also jenen, die Mahner/Bunge gegen dieselbe anführen.

    1. Du hast Recht. Ich habe mich irre leiten lassen durch die Tatsache, dass die Raum-Zeit-„Wurst“ gleich nach der Beschreibung von Raum und Zeit folgt, und zwei Dinge zusammengezogen, die Bunge / Mahner so nicht zusammen ziehen. Vielmehr geht es ihnen darum, dass „Raumzeit“ ein irreführendes ontologisches Konzept ist, weil die Zeit nicht eine Dimension auf gleicher Stufe ist wie die drei Dimensionen des Raums. Eine Auffassung des Dings als dessen Geschichte – das ist die Raum-Zeit-„Wurst“. Und die lehnen Bunge / Mahner ab.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert