Kurd Lasswitz: Auf zwei Planeten

Sandhofer hat bereits zurecht darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Buch nicht um ein großes sprachliches Kunstwerk handelt. Aber es ist in einer ganz anderen Hinsicht von Bedeutung und unterscheidet sich darin auch von SF-Romanen (wie etwa jenen von H. G. Wells): Indem es hier nicht (oder nur teilweise) um Eroberung und Beherrschung eines fremden Planeten geht, sondern um die Vermittlung einer Ideologie, eines neuen und – in jener Zeit revolutionär anmutenden – friedlichen Zusammenlebens.

Der zuvor erwähnte H. G. Wells war der eigentlich Grund für meine Lektüre: In John Careys sehr lesenswertem Buch „Der Hass auf die Massen“ wird Wells als ein Paradebeispiel des rassisch (rassistisch) denkenden Autors dargestellt, etwas, das ich anhand seiner Romane überprüfen wollte (wobei sowohl „Kinder der Sterne“ als auch „Krieg der Welten“ dem Klischee von Herrenrasse und Untermenschentum durchaus entsprechen). Lasswitz ist nun der Beweis, dass diese Denkweise zwar zu Beginn des 20. Jahrhunderts (unter dem Einfluss von Darwin, Gobineau, Le Bon u. a.) weit verbreitet war, dass aber auch eine andere, humane und aufklärerische Haltung möglich war. Seine „Martier“ (Marschmenschen) sind Produkte dieser Aufklärung: Sie halten vor allem die Freiheit und Gleichheit hoch, die „Numenheit“; der nach den Bewohnern des Mars (Nume) benannten Begriff ist ein Umschreibung einer kulturell und ethisch hochstehenden Philosophie.

Der Inhalt des Bandes ist in dem erwähnten Beitrag Sandhofers ausführlich geschildert: Die Martier landen auf den Polen der Erde (aus technischen Gründen), sind anfangs bemüht, der Erde bzw. ihren Bewohnern diese „Numenheit“ nahe zu bringen, verstricken sich aber schließlich selbst in egoistisch-chauvinistischen Verhaltensweisen und unterjochen die Erdbewohner, die sich – getrieben von einer Partei, die durch die Humanität der ersten Nume stark beeinflusst wurde – von dieser Unterdrückung wieder zu befreien vermögen. Verquickt mit diesen Ereignissen sind einige Liebesgeschichten (nebst dramatischen Verfolgungen und Missverständnissen), die das Buch teilweise unterhaltend, aber auch ein wenig trivial erscheinen lassen. Hingegen sind die technischen Tricks (wenngleich wohl undurchführbar) aber sehr originell und zeigen den Autor als Naturwissenschaftler: Obschon utopisch verweisen sie auf die naturwissenschaftliche Ausbildung Lasswitz‘ (der auch Bücher zur Geschichte der Physik verfasst hat).

Das wirklich Interessante aber sind die gesellschaftlichen Entwürfe (etwa eine sich entwickelnde, weitgehenden Gleichheit von Arbeitern und Adeligen) als auch die Kritik überkommener Moralvorstellungen (insbesondere wird immer wieder das Duell als der Inbegriff von Dummheit und Rohheit angeprangert). Und – auch wenn Lasswitz es nicht immer gelingt, der schablonenhaften Darstellung des Geschlechterverhältnisses zu entgehen – sein Engagement für Gleichberechtigung, die bei den Martiern weitgehend verwirklicht, bei den Menschen aber noch auf den Weg zu bringen ist. Gerade das männliche Denken in Vorstellungen von Ehre und Ruhm ist Ursache für allerhand zwischenmenschliches Unglück: So wird eine der Hauptfiguren, der Polforscher Torm, von den ihm „menschlich“ überlegenen (weiblichen) Nume dazu gebracht, seine diesbezüglichen Bedenken hintanzustellen, auch seine Eifersucht beiseite zu lassen, und findet dadurch zu seiner geliebten Frau zurück. Implizit ist das alles auch eine Kritik am Ethnozentrismus dieser Zeit, an der Vorstellung der Überlegenheit der weißen Rasse und an der brutalen Ausbeutung der kolonialen Besitzungen der europäischen Staaten. Nicht zufällig sind es gerade die Europäer, die gegenüber den Martiern in eine ähnliche Unfreiheit und Abhängigkeit geraten wie jene afrikanischen Länder, deren Besitz 1884 auf der Kongokonferenz in Berlin unter den führenden Mächten aufgeteilt worden ist.

Als ein großer Roman kann „Auf zwei Planeten“ nicht bezeichnet werden: Dazu ist die Sprache zu einfach und sind die Darstellungen zu sehr auf Effekt bedacht (die Liebesgeschichten sind von zweifelhafter Qualität). Aber das Buch ist revolutionär dort, wo andere – wie Wells – die Platitüden von überlegener Rasse (oder Schicht) und den Vielzuvielen, den kulturell und kognitiv Defizienten bemühen. Es setzt in einem Zeitalter des Nationalismus ein Zeichen für ein alternatives Gesellschaftsmodell, das keinen Unterschied zwischen den Nationen und Völkern der Erde gelten lässt und den Traum von einem ewigen Frieden träumt.


Kurd Lasswitz: Auf zwei Planeten. Berlin: Das neue Berlin 1984.

2 Replies to “Kurd Lasswitz: Auf zwei Planeten”

  1. Schöne Rezension. Auch wenn die Sprache einfach gehalten ist, spriesst das Buch nur so von schöner Metaphorik. Den Erzählstil fand ich persönlich sehr unterhaltend und die gesellschaftlichen Enwürfe sowie auch die wissenschaftlichen Erklärungen grossartig. Fazit: Absolut lesenswert.

    Buchtipps desselben Autos:
    -„Erwins Badezimmer“ (Sprachlich auf höherer Ebene, ein „1984“ für Bibliomane)
    -„Aspira, Roman einer Wolke“ (Gross!)
    -„Homchen, ein Tiermärchen“ (Fabeln wusste der liebe Kurd auch zu schreiben)

    1. Danke für die Tipps! – Und schön eine Seite verlinkt zu sehen, die Jugendlichen den Traxler-Angriff schmackhaft zu machen sucht. Schach nach meinem Geschmack, die Variante hatte ich beim Blitzschach wohl hunderte Male auf dem Brett :-).

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