Philosophische Bibliothek 342. Hamburg: Meiner, 21992. Beruht auf einer Übersetzung von Maurice Wolff aus dem Jahr 1903.
Maimonides war Philosoph, Rechtsgelehrter und Arzt im damals noch arabisch dominierten Mittelmeerraum des 12. Jahrhunderts u.Z. Sein Denken ist mit arabischem Denken getränkt, ohne allerdings die jüdische Herkunft Maimonides‘ zu verbergen, denn mehr im Allgemeinen als im Besonderen ist seine Philosophie arabisch. (Er verweist in seiner Schrift ein einziges Mal auf einen arabischen Philosophen – Al-Farabi – ohne allerdings spezifisch auf ihn einzugehen. Anders verfährt er mit den von ihm immer wieder zitierten Rabbinern.) Vor allem also war Maimonides Jude und beschäftigte sich auch immer wieder mit seiner Herkunft und seinem Glauben. Die Acht Kapitel (wie Maimonides sein Büchlein – knapp 80 Seiten Text – selber nannte) geben hievon ein gutes Beispiel. Wie soll der Mensch leben, wie soll speziell der Jude leben und was hat es mit dem jüdischen Gott auf sich? – Das waren die Fragen, die ihn immer wieder beschäftigten, und auf die er hier eine Antwort zu geben sucht.
Zunächst einmal stellt Maimonides fest, dass es im Allgemeinen keinen Unterschied gibt zwischen Juden und Andersgläubigen. Allgemeine moralisch-ethische Regeln gelten für alle. Maimonides geht dabei wie ein Arzt vor, seine Verhaltensregeln sind nachgerade diätetische Rezepte. Wie sehr Maimonides‘ jüdische Philosophie in der ihn umgebenden arabischen Philosophie verankert ist, zeigt sich allerdings daran, dass er in seiner Rezeptur klassisch aristotelisch verfährt: Der Mittelweg ist gesund, Übertreibungen nach der einen wie nach der andern Seite sind zu meiden. Übertriebener Wagemut, der den Krieger sinnlos dem Feind in die Arme und so in den Tod treibt, ist ebenso schädlich wie Feigheit. Tapferkeit ist die gesunde Mitte. Dasselbe gilt für Geiz, Verschwendungssucht und Freigiebigkeit. Die Beispiele liessen sich häufen; Maimonides beschränkt sich auf die paar wenigen.
Worin aber unterscheidet sich dann die Ethik eines gläubigen Juden von der Ethik eines Andersgläubigen? Hier macht Maimonides einen wichtigen Unterschied. Juden wie Andersgläubige haben den Geboten Gottes zu folgen. (Die sind sozusagen das frühe Gegenstück zu den Menschenrechten, die die französische Revolution ans Tageslicht gebracht haben. Nur haben bei Maimonides die Menschen nicht nur Rechte, sondern auch und vor allem Pflichten.) „Du sollst nicht töten!“, gilt für den Angehörigen jedweder Religion. „Du sollst nicht Butter und Fleisch gleichzeitig auf dem Teller haben!“, aber ist eine nur jüdische Satzung. Wir finden hier den Unterschied, den mehr als 500 Jahre später Moses Mendelssohn in seiner Auseinandersetzung mit Lavater verwendet hat, wenn er (Mendelssohn) Lavaters Versuch, ihn mittels angeblich bewiesener Offenbarungen zu missionieren, refüsiert mit dem Hinweis darauf, dass seine jüdische Religion eben keine Religion ist, die auf Offenbarungen basiert, sondern auf dem Gesetz (welches ganz eindeutig den Satzungen von Maimonides entspricht – der Übersetzer Wolff scheint Mendelssohn, bzw. dessen Begrifflichkeiten, nicht gekannt zu haben, sonst hätte er wohl kein unterschiedliches Wort gewählt). Diese völlige Unkenntnis des jüdischen Philosophen par excellence wirft einmal mehr kein gutes Licht auf die philosophie- und theologiehistorischen Kenntnisse des Zürcher Pfarrers.
Wozu aber solche Satzungen? Gott, der letztlich unerkennbar ist für den Menschen, verbirgt sich hinter seinen Satzungen wie das Bildnis zu Saïs hinter seinen Schleiern. Es ist Aufgabe des Menschen, sich durch korrektes moralisches Verhalten Gott anzunäheren, Schleier um Schleier zu lüften. Allerdings wird Gott es nie zulassen, ganz erkannt zu werden; selbst Moses auf dem Berg Sinaï sah ihn nur durch einen allerletzten verbleibenden Schleier.
Wie weit – was der Herausgeber der Ausgabe von 1992, Friedrich Niewöhner, suggeriert – das Denken des Mose ben Maimon auch heute noch im jüdischen Denken präsent ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Es wäre jedenfalls zu begrüssen.