Carl Safina: Die Intelligenz der Tiere

Carl Safina ist Autor mehrerer Bücher, die sich mit Arten- bzw. Umweltschutz beschäftigen, Begründer einer nach ihm selbst benannten Stiftung und in zahlreiche Artenschutzprogramme involviert. Er wurde mit Studien über Seevögel und Meeressäuger bekannt, vor allem aber durch sein Engagement für bedrohte Arten.

Im vorliegenden Buch wird auf die prekäre Situation von Elefanten, Orcas (unberechtigterweise „Killerwale“ genannt, obgleich es keinen bekannten Fall eines Angriffes auf einen Menschen in freier Wildbahn gibt, allerdings sind Attacken von gefangenen Tieren dokumentiert (was aufgrund der Haltungsmethoden nicht weiter verwunderlich erscheint)) und den Wölfen (die im Yellowstone-Nationalpark neu angesiedelt wurden) hingewiesen. Safina versucht vor allem, die Aufmerksamkeit auf die „Persönlichkeit“ der Tiere lenken, ihre Individualität, etwas, das in der Verhaltensforschung über sehr lange Zeit verpönt war (man wollte Anthropomorphismen vermeiden). Hier hat – glücklicherweise – schon länger ein Umdenken stattgefunden, der vermeintlich rein wissenschaftliche und behavioristische Ansatz wurde großteils aufgegeben und dadurch vermehrt Augenmerk auf die sozialen Interaktionen von Tieren gelenkt, etwas das sehr stark mit „Intelligenz“ korreliert ist. (Es hat etwas Kurioses, dass die Individualität von Tieren so lange nicht anerkannt wurde, eine Individualität, die jedem Haustierbesitzer, jedem Bauern eine Selbstverständlichkeit ist. Ich habe mehrere Sommer auf Almen mit rund 80 Kälbern verbracht und kann die unterschiedlichen Charaktere all dieser Tiere bestätigen, so etwas zu ignorieren ist wohl wirklich ein Phänomen akademischer Forschung, die Safina immer wieder anprangert.)

Die zahlreichen hier dokumentierten Beobachtungen lassen wenig Zweifel an der Einzigartigkeit jedes einzelnen Tiers und sie überraschen durch erstaunliche Intelligenzleistungen (wobei es ohnehin problematisch erscheint, Intelligenz nach menschlichen Kriterien auf Tiere umzulegen: Die Anforderungen ihres Lebens sind gänzlich andere und somit auch die Form ihrer Intelligenz). Safina geht es vor allem darum, Empathie zu erwecken, seine Schilderungen betonen das Einzigartige, eben das „Persönliche“ eines solchen Tierlebens, wordurch der Blick verändert werden soll: Weg vom Nutztier hin zu einem gleichberechtigten Lebewesen. Die einzelnen Schicksale sind tatsächlich höchst beeindruckend, sie lassen die selbstgefällige Ignoranz des Menschen spüren, seine Instrumentalisierung der gesamten Umwelt in ökonomischer Hinsicht, ohne diese Umwelt als einen Teil der eigenen Welt, auch als einen Teil mit eigenen Rechten zu begreifen.

Und Safina ist ein erklärter Feind theoretischer Betrachtungen: So kritisiert er all jene Naturforscher (die außerdem ihre klimatisierten Büroräume nur selten verlassen), die den Tieren eine „Theory of Mind“ absprechen, die Fähigkeit also, sich die Sicht anderer Lebewesen zueigen machen zu können. Tatsächlich sind die berühmten Farbklecks-Tests mehr als fragwürdig: Ob ein Lebewesen sich selbst im Spiegel erkennt ist von sehr viel mehr Faktoren abhängig (ob es ein „Augentier“ ist, vielleicht hat es an einem solchen Spiegelbild per se wenig Interesse etc.) als Forscher wahrhaben wollen und so sagen diese Tests möglicherweise etwas über die damit befassten Wissenschaftler aus, nicht aber über die damit konfrontierten Tiere. Dass es solche Perspektivenübernahmen gibt scheint evident, dass sie bei sehr viel mehr Arten als bislang angenommen auftreten ebenso. Manchmal aber schießt Safina über das Ziel hinaus und verdammt alle theoretischen Überlegungen in Bausch und Bogen, jedwede philosophische Herangehensweise ist ihm suspekt. Ich kann diese seine Ablehnung durchaus nachvollziehen, allerdings bedarf sie in den einzelnen Fällen auch einer Begründung.

Das Buch ist ein Sachbuch, es will aufrütteln und die Aufmerksamkeit der Menschen auf unseren ignoranten Umgang mit anderen Lebewesen, mit der Umwelt ziehen. Das führt zu einer mir manchmal etwas zu emotionalen Schreibweise, andererseits ist aber dieser Appell an die Gefühle schon wegen der unglaublichen Grausamkeit, mit der viele Tiere behandelt werden, mehr als berechtigt. Dummheit, Gier, Selbstgefälligkeit lassen den Menschen weder klug noch empathisch erscheinen, Eigenschaften, auf die wir für unser Menschsein stets rekurrieren. Sofern wir uns nicht bald selbst abgeschafft haben werden, wird man auf unsere Zeit mit Kopfschütteln und Unverständnis zurückblicken ob unseres abgrundtief dummen Verhaltens: Denn im Unterschied zur Vergangenheit, als das Wissen um die Zusammenhänge fehlte, ist gerade dieses Wissen heute vorhanden; es müsste einzig umgesetzt werden. Brecht hat das mehr als treffend umschrieben:

Sie sägten die Äste ab, auf denen sie saßen
Und schrieen sich zu ihre Erfahrungen,
Wie man schneller sägen könnte, und fuhren
Mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen,
Schüttelten die Köpfe beim Sägen und
Sägten weiter.


Carl Safina: Die Intelligenz der Tiere. München: Beck 2017.

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