Dabei ist er ebenso wie etwa Sapolsky, Safina oder Ackerman ein Vorkämpfer für eine „neue“ Ethologie: Die das Tier nicht als eine völlig vom Menschen unterschiedene Kreatur betrachtet, sondern vielmehr auf die enge Verwandtschaft von Mensch und Tier hinweist. Alle menschlichen Gefühle, Verhaltensweisen und soziale Interaktionen sind mehr-weniger bereits im Tier angelegt: Wodurch die Bedeutung der Verhaltensforschung für Philosophie, Anthropologie – eigentlich die gesamte Wissenschaft vom Menschen – enorm gestiegen ist. Denn während Versuche am Menschen aus ethischen Gründen nur sehr eingeschränkt durchgeführt werden, ist man in der Ethologie denn doch freier (wenngleich glücklicherweise viele Experimente an Tieren aus dem vergangenen Jahrhundert so nicht mehr durchgeführt werden). Und diese Ergebnisse sind sind kaum zu überschätzen, sie umfassen neben ihrer Bedeutung für die Geistes- und Sozialwissenschaften auch Erkenntnisse für das Funktionieren unseres Öko-Systems und zeigen die evolutionären Wurzeln unseres Menschseins auf.
Wie in den vorerwähnten Büchern lässt es sich auch Sachser angelegen sein, auf die emotionalen und geistigen Eigenschaften der Tiere hinzuweisen und man ist immer wieder überrascht, welche – vermeintlich naturwissenschaftliche – Selbstbeschränkung sich die Biologie noch bis vor kurzem auferlegt hat (indem es etwa streng verpönt war, Tieren Gefühle zuzusprechen). Allerdings vermeidet der Autor eine zu weitgehende Vermenschlichung, weist auf die für das Überleben und die Fortpflanzung notwendigen Verhaltensweisen hin, die mit einer pauschalisierenden, von Menschen hineininterpretierten Güte des Tieres nichts zu tun haben: Tiere töten um des Überlebens, der Weitergabe ihrer Gene willen und sie scheuen dabei auch keineswegs vor den eigenen Artgenossen zurück (die Schimpansenkriege, die Jane Goodall beobachtete, sind ein Beispiel für viele). Und er differenziert – ähnlich wie Sapolsky – bei der Frage, ob denn angeborene oder erworbene Eigenschaften entscheidend seien: Beides ist von großer Bedeutung, keineswegs aber sind Umwelt oder Gene determinierend für das Verhalten (sondern lassen nur Prognosen zu: So sind auf Intelligenz gezüchtete Ratten den „Dummen“ bei Haltung in einer reizarmen Umwelt trotz allem unterlegen).
Sachser fasst den Stand der Verhaltensforschung auf konzise Weise zusammen, auch wenn sich der interessierte Leser öfter eine größere Ausführlichkeit gewünscht hätte. Es handelt sich dabei im Grunde um eine Dokumentation all jener Vorurteile, die die Ethologie über viele Jahrzehnte geprägt hat (solch anthropozentrisches Denken ist bis vor kurzem noch in Bezug auf die Intelligenz von Tieren beobachtet worden: Es war weitgehend undenkbar, dass nicht nur Säugetiere zu solchen Leistungen fähig wären, wodurch das entsprechende Verhalten von Vögeln lange nicht zur Kenntnis genommen wurde). Die Evolution kennt aber offenbar nicht nur die eine, durch das Säugetiergehirn repräsentierte Form der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten, sondern hat auch andere Wege zur Intelligenz beschritten. Die wissenschaftlich-objektive Darstellung, in Tieren uns sehr eng verwandte Lebewesen zu sehen, ohne diese zu glorifizieren oder zu verdammen, macht das Buch zu einer anregenden und klugen Lektüre; einzig das Fehlen einer etwas umfangreicheren Literaturliste und eines Stichwortverzeichnisses sind zu bemängeln.
Norbert Sachser: Der Mensch im Tier. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 2018.