Wolfgang Amadeus Mozart: La finta giardinera

Uraufgeführt 1775 in München, eine Auftragsarbeit für den Münchner Fasching. (Insofern ergibt es durchaus Sinn, dass die Dernière dieser Saison am Opernhaus Zürich von gestern Freitag zwei Tage nach dem offiziellen Ende der Fasching-Saison – der Mittwoch war Aschermittwoch – stattfand.) Mozart war zum Zeitpunkt, als er die Musik zu La finta giardinera schrieb, noch keine 20 Jahre alt. Mehr noch als im sechs Jahre später entstandenen (und vor ziemlich genau einem Jahr hier vorgestellten) Idomeneo merkt man denn auch, wie sehr der Komponist noch der Tradition verhaftet ist. La finta giardinera firmiert unter dem Gattungsnamen eines Dramma giocoso, ist also eine Opera semiseria: grösstenteils der Opera buffa verpflichtet, aber mit Anklängen an die Opera seria. So gibt es neben den reinen Buffa-Partien der Dienerschaft, aber auch des Podestà, mit Sandrina, Belfiore oder Arminda Rollen, bei denen zumindest ein Teil ihrer Arien auch einer Opera seria angehören könnte. Ja, mit dem Cavaliere Ramiro, einer Hosenrolle, ist sogar eine reine Seria-Partie zu finden. Somit ist schon beim 19-jährigen Mozart der Drang anzutreffen, die Grenzen der existierenden, noch aus dem Barock übernommenen Genres auszuloten und diese zu sprengen. Dennoch trifft man diese Oper selten in den Repertoires der Opernhäuser dieser Welt. Ist es die doch noch starke Verhaftung in der Nummern-Oper des Barock, die doch noch recht konventionelle Musik, oder dann doch gerade der Bruch mit dem Barock, die ersten, zaghaften Versuche, dieser Verhaftung zu entkommen, die dazu führen? Oder gar die Tatsache, dass wir die Beziehung Sandrina/Violante – Belfiore nach heutigen Massstäben als krankhaft empfinden? (Violante liebt ihren Belfiore nicht einmal trotz, sondern gerade wegen des Umstands, dass er sie in einem Anfall von Eifersucht beinahe erstochen hat – in hohem Masse eine pathologische Beziehung also, die an jene Frauen erinnert, die ihren Partner lieben, weil sie dessen Schläge als Zeichen der Zuneigung interpretieren.) Dabei ist das Ganze mit leichter Hand geschrieben. Die Musik ist flüssig; schon 1775 gibt es Passagen, die den zukünftigen Meister durchschimmern lassen, den ‘typischen Mozart’ zu erkennen geben. Am Komponisten lag es jedenfalls nicht, dass ich gestern Abend das Zürcher Opernhaus mit innerlichem Kopfschütteln verlassen habe. (Auch an den Sängerinnen und Sängern nicht, genau so wenig wie am Orchester. Alle waren gut bis ausgezeichnet, der immer wieder fallende Szenen-Applaus wurde zu Recht erteilt. Dennoch habe ich selten gesehen, dass der Saal so schnell, mit so wenig Schluss-Applaus wie gestern verlassen worden ist. Ich war offenbar nicht als einziger etwas irritiert von der Aufführung.)

Ich bin natürlich nicht unvorbereitet ins Opernhaus gegangen, und habe auf dessen Internet-Seite nachgelesen, was die Verantwortlichen zu ihrer Aufführung verlauten liessen. So bin ich in einer Art Interview mit Tatjana Gürbaca, die für die Inszenierung zeichnet, auf folgende Passage gestossen:

Die Thematik von La finta giardiniera ist gar nicht so stark an seine Zeit gebunden, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Im Kern geht es um ein ganz grundlegendes menschliches Thema: nämlich darum, dass wir alle als kleine hilflose Menschenwürmlein auf diese Welt geworfen sind und dabei von zwei Grundkräften bestimmt werden: von der Angst und von der Sehnsucht, geliebt zu werden.

Das schliesst sich nahtlos an die generell zu bemerkende Tendenz des Zürcher Opernhauses an, selbst im Komischsten einen tragischen Urgrund zu suchen. Und wer sucht, findet bekanntlich. Hielt sich Gürbaca im ersten Akt noch zurück, so schlug sie im zweiten dann richtig zu. Die Passage, wo alle nachts bei fürchterlichem Wetter in einem Steinbruch umher irren, findet in einer Art riesigem Schaumbad statt. Das schlechte Wetter wird durch von oben eingelassenen Schaum simuliert, in dem sich dann die Darsteller bewegen. Mehr und mehr artet dieses Schaumbad zu einer Orgie aus, in der jede mit jedem, jeder mit jeder, herummacht. (Mehr als Andeutungen sexueller Handlungen getraute man sich ja dann doch nicht auf die Bühne zu bringen. Und ja: Immer schön brav Männlein mit Weiblein, Weiblein mit Männlein.) Zum Schluss standen so ziemlich alle in Unterwäsche auf der Bühne; selbst der ernsthaft angelegten Hosenrolle des Ramiro wurden die ebendiese Hosen im wahrsten Sinne des Wortes ausgezogen. Man kann natürlich die Sehnsucht, geliebt zu werden, auch hosenlos im Schaum darstellen. Einmal mehr übertreibt das Zürcher Opernhaus seine sowieso schon starke Tendenz, in allem Komischen den tragischen Urgrund zu finden, und wird dieses Mal sogar unfreiwillig komisch dabei.

Oder, wie es jener englische Gentleman, mit dem ich im Lift nach der Vorstellung zur Garderobe hinunter gefahren bin, gegenüber seiner Gattin formulierte: „Das Opernhaus sollte höheren Eintritt verlangen, wenn das Geld nur gerade reicht, dass das Finale in Unterwäsche gesungen werden muss!“ – Dem habe ich nichts hinzuzufügen.


Dramma giocoso in drei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791). Libretto von Giuseppe Petrosellini

Musikalische Leitung: Carrie-Ann Matheson
Inszenierung: Tatjana Gürbaca
Bühnenbild: Henrik Ahr
Kostüme :Barbara Drosihn
Kostümmitarbeit: Carl-Christian Andresen
Lichtgestaltung Elfried Roller:
Dramaturgie Fabio Dietsche

Don Anchise, Podestà von Lagonero: Kenneth Tarver
Sandrina: Alina Adamski
Contino Belfiore: Mauro Peter
Arminda: Myrtò Papatanasiu
Cavaliere Ramiro: Margarita Gritskova
Serpetta: Rebeca Olvera
Nardo: Adrian Timpau

Musikkollegium Winterthur

Continuo Cembalo: Andrea del Bianco
Continuo Violoncello: Cäcilia Chmel

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