Der Autor geht auch hier von einem naturalistischen Paradigma aus: Alles geht mir rechten, nicht supernaturalistischen Dingen zu, der cartesische Homunculus zur Steuerung unserer geistigen Fähigkeiten mag historisch gesehen verständlich sein, ist aber in der rezenten Philosophie des Geistes längst obsolet. Andere Strömungen verzichten überhaupt auf eine Untersuchung des Bewusstsein (z. T. über ein rekursives Element: Da das Gehirn dermaßen komplex sei, könnten wir dieses aus sich selbst heraus unmöglich verstehen – oder mit den Worten von Emerson M. Pugh: Wäre das Gehirn so simpel, das wir es begreifen könnten, dann wären wir zu simpel, um das zu tun. Diese Argumentation erinnert in ihrer Kurzsichtigkeit an die Anfänge der Schachprogramme, die laut mancher Meinung nie besser als die besten Spieler werden könnten, weil sie ja auch nur von Menschen entwickelt würden.) und erinnern an Emil Heinrich du Bois-Reymonds Diktum des „ignoramus et ignorabimus“: Womit unser unzweifelhaft größer gewordenes Wissen in wissenschaftlichen Belangen vollkommen ignoriert wird und man ein Totschlagargument gegen jede Forschung in der Hand hält. Jeder ernstzunehmende Wissenschaftler wird es hingegen mit David Hilberts „wir müssen wissen und wir werden wissen“ halten, es wird ihm Ansporn sein für seine weitere Arbeit, auch wenn es unlösbare Probleme geben sollte (aber dann wird man zumindest von der Unlösbarkeit des Problems wissen). Das Gehirn nun mag aufgrund seiner Komplexität durchaus zu den Forschungsgebieten gehören, die möglicherweise nie ganz ausgelotet werden können: Dies aber von vornherein apodiktisch festzustellen ist eher von dem obskuren Wunsch getragen, dass es da ein Geheimnis zu lüften gäbe, das besser unentdeckt bliebe.
Dennetts Ansatz in diesem Buch geht von dem evolutionären Faktum aus, dass es Kompetenz ganz ohne Wissen um dieselbe gibt. Evolutionäre Strukturen – ob in Bakterien oder höheren Tieren – haben intelligente und komplexe Verhaltensweisen entwickelt, obschon sich – abgesehen vom Menschen – sich kaum ein (oder kein) Tier dieser Verhaltensweisen bewusst ist. Es gibt also geistlose Bottom-up-Designprozesse (Dennett führt Termitenbauten an, könnte aber auf jedes andere „geistlose“ Verhalten von Tieren (oder Pflanzen) zurückgreifen) und intelligente Top-down-Prozesse, die einzig dem Menschen vorbehalten sind (als Beispiel wird hier ein programmierbarer Fahrstuhl angeführt, aber auch jedes andere artefizielle Produkt des Menschen wäre denkbar). Dennett kommt – in nuce – zu dem Schluss, dass unser Geist das Resultat eines geistlosen Prozesses ist und dass erst ab einem bestimmten Zeitpunkt (mit dem Auftreten von Memen) die Umkehrung dieses Bottom-up-Vorganges möglich wurde. Wobei Meme für Dennett einem evolutionären Modus von Adaption und Selektion unterliegen und er diese Meme (ähnlich wie bei Genen) in Anlehnung an Dawkins als einzelne, egoistisch-dumme Elemente betrachtet, die selbst nur überleben und sich vermehren wollen. Ein ähnliches Prinzip vermutet der Autor im Gehirn am Werk: Er geht von der Vorstellung eigenmächtiger Neuronen aus, auf die ein Selektionsdruck wirkt und die in einer Wechselwirkung mit Memen die Hirnstrukturen prägen.
Die Schlussfolgerung aus diesen Überlegungen besteht darin, dass das, was wir als Bewusstsein betrachten, einzig eine Benutzerillusion ist (ähnlich wie wir auf einem Computerbildschirm allerlei hilfreiche Symbole zur besseren Orientierung sehen, ohne jedoch deshalb die Funktionsweise des Computers zu verstehen). Und so wie in der KI-Forschung neuronale Netze die evolutionären Bottom-up-Prozesse simulieren sollen, so sind auch wir – aller unserer Erfindungen zum Trotz – noch der zweiten Orgelschen Regel unterworfen: Die Evolution ist klüger als du.
Diese eigentlich viel zu kurze Zusammenfassung wird dem Gedankenreichtum des Buches nicht ganz gerecht: Ich kann nur jedem, der an diesen Problemen interessiert ist (Theorie des Geistes, Bewusstsein, Willensfreiheit, Künstliche Intelligenz), das vorliegende Werk bzw. alle Bücher des Autors wärmstens empfehlen. Selbst dort, wo man mit dem Autor nicht einer Meinung ist, besticht seine Argementationsweise, seine Intelligenz und seine Fähigkeit, Probleme von einer anderen und völlig überraschenden Warte aus zu betrachten. Es gibt kaum einen Philosophen, den ich mit größerem Vergnügen lese, der anregender wäre und der – ganz nebenbei – auch stilistisch zu beeindrucken vermag.
Daniel C. Dennet: Von den Bakterien zu Bach – und zurück. Die Evolution des Geistes. Berlin: Suhrkamp 2018.