„Die wissenschaftshistorischen Analysen von Ludwik Fleck und Tomas Kuhn fördern eine weitere Erkenntnis zutage, die unser bisheriges Wissenschaftsverständnis infrage stellt. Es gibt kein absolutes, kein dauerhaftes und über die Zeit hinweg gültiges Wissen. Wissenserzeugung und Wissensbestände verändern sich, sie sind zeit- und kulturgebunden.“ Das ist ein Beispiel für die seltsame Zuschreibung einer Erkenntnis (wahrscheinlich eine sinnentstellte Wiedergabe von Chalmers, dessen Einführung in die Wissenschaftstheorie er häufig zitiert, ich nehme mir vor, das demnächst nachzulesen). Ludwik Flecks 1935 zuerst erschienenes Buch „Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv“ könnte noch zu jenen Büchern gezählt werden, die erstmals die Historizität von Wissenschaft deutlich machen, bei Thomas Kuhns „Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ (1962 erstmals auf Englisch erschienen) ist das kaum noch möglich. Wobei es beiden Autoren vor allem um eine Einbettung wissenschaftlicher Erkenntnisse in ihre geschichtliche Entwicklung ging, nicht um den Wahrheitsbegriff als solchen. In keinem Fall aber sollte suggeriert werden (wie im Buch), dass Popper sich nicht gegen alle Formen von Gewissheit in der Forschung gewehrt hätte (und seine „Logik der Forschung“ erschien noch vor Flecks Werk, wobei Fleck und Kuhn eben vorrangig daran dachten, dass es kein verbindliches heuristisches Vorgehen gibt und nicht an das Problem der Wahrheit von Basissätzen). Dass Kuhns Ansatz längst obsolet geworden ist (ebenso wie der von Imre Lakatos), scheint Vogt völlig entgangen zu sein, die Lektüre von Musgrave oder Andersson würde ihm guttun.
Im übrigen bemerkt der Autor (wenn er das Relativierende von Kuhns Ansätzen lobt) nicht, dass er damit genau jene Ansätze stützt, auf die Fake-News aufbauen (ich habe mich erst vor kurzem hier darüber ausgelassen. Dazu kommt noch eine etwas peinlich wirkende Zurückhaltung in Bezug auf den Kreationismus: „Eine Bemerkung scheint hier noch angebracht. Bei diesem Beispiel [das unabsichtlich? – zwangsläufig? den Schwachsinn dieses Ansatzes demonstrierte] geht es nicht darum, den Kreationismus lächerlich zu machen und die Überlegenheit des wissenschaftlichen Denkens zu demonstrieren. Es soll lediglich zeigen, wie Unterschiede in unserem Vorverständnis und unseren Überzeugungen die Einordnung und Deutung von Funden und Sachverhalten beeinfussen.“ Doch – man darf. Den Kreationismus lächerlich machen – weil er lächerlich ist. Und weil er auch völlig inkompatibel mit jeder Form einer wissenschaftlichen Weltauffassung ist. Diese „vornehme“ Zurückhaltung gegenüber Religionen oder anderen esoterischen Spinnereien halte ich für kontraproduktiv: Die allesverstehende, tolerante Haltung, die dem Religiösen seine Einfalt zugesteht oder sie gar noch als sinnstiftend und erhebend verklärt, leistet der religiösen Verblödung Vorschub. Und sobald irgendeine dieser Religionen wieder an Macht gewinnt (wie etwa die orthodoxe Kirche in Russland), ist es mit der eigenen Toleranz sehr schnell vorbei. Weil der Dogmatismus den Religionen inhärent ist.
Ich weiß nicht recht, wem man dieses Buch empfehlen könnte: Das Bemühen um eine Einführung in die wissenschaftliche Methodenlehre ist nur in Ansätzen geglückt, auch scheint der Autor nicht wirklich verstanden zu haben, welcher Mechanismen sich die Fake-News bedienen, in welcher geistig-philosophischen Umgebung sie gedeihen. Muss man nicht gelesen haben …
Thomas Vogt: Against Fake. Wie Wissenschaft die Welt erklärt. Heidelberg: Springer 2019.