Christiane Frohmann: Präraffaelitische Girls erklären das Internet

Frau Frohmann, so der Twitter-Handle der Autorin, ist eine Berliner Medien-Unternehmerin. ‚Medien‘ meint in diesem Zusammenhang sowohl die ‚alten‘, analogen Medien, wie die ’neuen‘, digitalen. So publiziert der Verlag, den sie unter ihrem Namen betreibt, sowohl gedruckte Bücher wie E-Books – und dies nicht einfach wahllos einfach immer in beiden Formaten, wie es die meisten Verlage tun, sondern wohlüberlegt mal in diesem, mal in jenem Format. Auch entnehme ich dem Netz, dass sie sich Gedanken zur spezifischen Ästhetik des E-Book gemacht hat. Ich kenne diese leider nicht und möchte sie mir sicher einmal zu Gemüte führen, ist es doch seit längerem für mich einer der großen Schwachpunkte elektronischer Publikationen, dass die spezifischen, technischen wie ästhetischen Möglichkeiten, die diese Veröffentlichungsform bieten würde, sträflich vernachlässigt werden. Nur dass man Font-Art und -Größe ändern und das Geräusch des Umblätterns imitieren kann, macht noch keine Ästhetik eines E-Book aus.

Christiane Frohmann, so der Name auf der Titelseite des vorliegenden Buchs, mischt in ihrer Tätigkeit als Verlegerin ebenso wie in ihrer Tätigkeit als Autorin analoge und digitale Medien. Es entsteht so ein medienübergreifendes Gesamtkunstwerk. In der Reihe Kleine Formen zum Beispiel, die sie in ihrem Verlag als gedrucktes Buch veröffentlicht, werden Kleinstformen wie sie gerade von Twitter durch die Beschränkung der Zeichen pro Tweet vorgegeben sind, aus dem digitalen Medium gehoben und ins gedruckte Buch verschoben. Bewusst erscheint dann z.B. diese Reihe nicht als E-Book, sondern bleibt analog.

Mit den Präraffaelitischen Girls nun hat Christiane Frohmann eine ursprünglich digitale Kunstfigur erschaffen, die vor allem auf Twitter und Instagramm ihr Wesen und Unwesen treibt. (Die Präraffaeliten sollten unserer Leserschaft keine Unbekannten sein. Es handelt sich um eine Gruppe von englischen Malern, Dichtern und Kunstkritikern, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aktiv war. Entstanden im Aufruhr gegen die Royal Academy of Arts, die Maler wie William Turner verdammte, wurde sie für die meisten ihrer Mitglieder zu einer Art Grab zu Lebzeiten, indem man den überraschenden Anfangserfolg der Bewegung zu perpetuieren suchte und dabei die Kunst im Kunsthandwerk verlor.)

Keine Angst, das vorliegende Büchlein ist keine Kunstgeschichte. Der Anknüpfungspunkt an die Präraffaeliten ist hier ein ganz anderer. Christiane Frohmann nimmt die Bilder der Präraffaeliten, um sie weiter zu bearbeiten. Genauer: sie nimmt Ausschnitte aus deren Bildern. Ausschnitte, in deren Zentrum Frauengestalten stehen. Was sie damit macht, kann ich nicht besser zusammenfassen, als sie es selber auf dem hinteren Buchdeckel tut:

Die jungen Frauen auf Gemälden präraffaelitischer Maler sehen immer zugleich attraktiv und entseelt aus. Als »schöne Leichen« verkörpern sie das Weiblichkeitsideal des späten 19. Jahrhunderts. Christiane Frohmann animiert die präraffaelitischen Girls zurück aus der Zukunft, indem sie diese eigensinnige Betrachtungen zu digitalen Phänomenen anstellen lässt. Präraffaelitische Girls wollen aber nicht über den kunsthistorischen Begriff des »Präraffaelismus« diskutieren – die gezeigten Bilder sind konzeptionell de- und rekontextualisiert.

Wir haben also im Buch rechts die Bildausschnitte und links kurze, aphoristische Texte. Die präraffaelitischen Girls stammen aus den Social Media und verarbeiten konsequenterweise auch Phänomene und Erlebnisse aus diesen ’neuen Medien‘. Ein Phänomen, das recht häufig angesprochen wird, ist das des Mansplaining. Das englische Kofferwort ist im 21. Jahrhundert entstanden und bezeichnet das Phänomen des Mannes (man), der – meist auf eine ziemlich herablassende Art und Weise – die Welt erklärt (splaining – Jargon für explaining), meistens einer Frau. Das Phänomen ist alters- und bildungsunabhängig, einzig geprägt durch die Machtasymmetrien in der Kommunikation zwischen den Geschlechtern. So kann es vorkommen, dass der junge Landwirt allen Ernstes einer Astrophysikerin mit Lehrstuhl an einer renommierten Universität Wesen und Funktionsweise eines Schwarzen Lochs erklären will, oder umgekehrt der gestandene Festkörperphysiker der Landwirtin mit Diplom, die seit zehn Jahren einen eigenen Betrieb führt, erklärt, wann und wie Kühe zu melken sind. Meine Beispiele sind fiktiv, aber das Internet ist voll von ähnlichen Geschichten, die von Frauen erzählt werden. (Ich gebe zu, dass auch ich nicht frei bin von einer Tendenz zum ‚mansplainig‘ und frage mich gerade, ob dieser Abschnitt hier nicht auch ein gutes Beispiel dafür ist.)

Zurück zu den präraffaelitischen Girls. Das Buch kontrastiert in ironisch-satirischer Weise das Frauenbild, das viele Männer auch noch im 21. Jahrhundert mit sich herumtragen mit den oft zu Recht genervten Reaktionen eben dieser Frauen auf Mansplaining, auf Trolle und InfluencerInnen. Handwerklich einwandfrei verarbeitet, klug (und schön gestaltet!), lässt es (auch für Bibliophile) keine Wünsche offen. Ein Accessoire, das auf den Nachttisch oder, besser noch, den Schreibtisch eines jeden Mannes gehört, der über einen Account bei irgendeinem der vielen existierenden Social Media des 21. Jahrhunderts verfügt. Ich hätte auch schreiben können „eines jeden Menschen“. Denn natürlich können auch Frauen das Büchlein lesen. Schließlich spiegelt es die Erfahrungen einer Frau im Internet.

Ergo: Leseempfehlung? Ja. Kaufempfehlung? Sicher.


Christiane Frohmann: Präraffaelitische Girls erklären das Internet. Berlin: Frohmann Verlag, 2018. (Reihe Kleine Formen)

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