Eine unerhörte Auswahl vergessener Wortschönheiten aus Johann Jakob Sprengs gigantischem, im Archive gefundenen, seit 250 Jahren unveröffentlichten deutschen Wörterbuch.

Ans Licht gebracht von Nicolas Fink und mit einem Vorwort versehen von Gabriel Schaffter. Grafisch in Szene gesetzt von 2xGoldstein+Kaiss+Schöfer. Berlin: Verlag das Kulturelle Gedächtnis, 2021. – Leinen mit Fadenheftung und Lesebändchen. Lila Schriftbild, die Grafiken in passendem Rot. Also auch gestalterisch sehr schön aufgemacht.


Beigefügtes Lesebändchen her oder hin: Nicht jedes Wörterbuch eignet sich dafür, einfach so gelesen zu werden. Mit seinem Charakter als Nachschlagewerk entzieht es sich üblicherweise einer solchen Vorgehensweise. Bei diesem hier ist die Ausgangslage etwas anders. Sicher: Der Plot ist etwas dünn, ja sprunghaft. Aber die verwendete Sprache entschädigt bei weitem dafür.

Was wir hier vor uns haben, ist nämlich eine Auswahl aus einem geplanten und schon fast fertig redigierten Wörterbuch des Basler Professors Johann Jakob Spreng (1699-1768). Eigentlich war Spreng Theologe, hatte dann aber der Reihe nach eine außerordentliche Professur für Eloquenz und deutsche Poesie, eine ebensolche für Schweizer Geschichte und zuletzt eine ordentliche Professur für Griechisch an der Universität Basel inne. Wann genau ihm die Idee zu seinen Wörterbüchern kam, weiß ich nicht.

Ja, „Wörterbücher“ in der Mehrzahl: Neben seinem Allgemeinen Deutschen Glossarium – aus dem wir hier eine Auswahl vor uns haben und das rund 20 gedruckte Bände umfasst hätte, wäre es veröffentlicht worden – neben diesem Wörterbuch also sammelte er in einem speziellen Idioticon den Wortschatz seines heimatlichen Basler Dialekts. Auch das Idioticon wurde zu Sprengs Lebzeiten nicht veröffentlicht. Spreng war nicht wohlhabend genug, um einen Druck auf eigene Kosten veranstalten zu können, als Gelehrter nicht bekannt genug, dass ein Verleger auf seinen Namen hin auf Umsatz hätte hoffen können – und Basel wohl zu borniert, um das Revolutionäre an Sprengs Projekten zu sehen. Vor allem sein Wörterbuch nämlich wäre das erste große Wörterbuch der deutschen Sprache gewesen – noch vor Adelung. (Wer weiß, wie die noch zu Sprengs Lebzeiten anfangende Diskussion um die korrekte Form des Deutschen – oberdeutsche (alemannisch-schwäbisch-bairisch-österreichische) Variante gegenüber der mitteldeutschen – ausgegangen wäre, hätte man im deutschen Sprachraum vor oder zumindest neben dem mitteldeutschen Adelung, der viele süddeutsche Varianten aus dem deutschen Vokabular verbannt sehen wollte, auch ein großes oberdeutsches Wörterbuch gehabt.) Spreng wollte übrigens genau wie Adelung sprachkritisch und -reinigend wirken. Viele seiner Wörter hat er mit einem Minuszeichen (-) als zwar noch gebräuchlich, aber überholt markiert – man sollte sie also nicht mehr verwenden. Andere wiederum, mit einem Asterisk (*) markierte, wollte er gerade eben in der deutschen Sprache (wieder) heimisch machen. (Wissen die heutigen Buchdrucker noch, was „einen auf Männchen machen“ meint? – Ich wusste es, offen gesagt, nicht, bevor ich es hier gelesen hatte. Antworten gern im Kommentar zu diesem Aperçu.)

Die Herausgeber der vorliegenden Auswahl haben diesen beiden Zeichen noch ein drittes hinzugefügt, das Kreuz (x), für Wörter, die selbst im großen Grimm’schen Wörterbuch nicht zu finden sind. Im Übrigen will die Auswahl vor allem die Leserinnen und Leser unterhalten. Es sind, so weit ich sehe, keine wissenschaftlichen Ansprüche damit verbunden. Unterhaltungswert haben so vor allem seltsame (seltsam klingende) Wörter oder Bezeichnungen von Dingen oder Tätigkeiten, die in den vergangenen 250 Jahren außer Gebrauch geraten sind. Viele davon sind Dialektwendungen des Baseldeutschen. Einige davon – manchmal ein bisschen anders ausgesprochen – hat noch meine Großmutter aktiv verwendet, obwohl sie keine Baslerin war. Einige Worterklärungen Sprengs sind von ihm schon fast satirisch verfasst; andere klingen heute komisch, ohne dass Spreng eine komische Absicht bei seiner Erläuterung verfolgt hätte.

Seine Wörter hat Spreng vorzugsweise in zeitgenössischen Schriftstellern gefunden, wobei er auch Übersetzungen nicht verschmäht hat. Neben Belletristik sind es vor allem staatswissenschaftliche Schriften, die er ausgezogen hat, sowie welche zur Schweizer Geschichte. Einige Namen findet man in den Schlagwörtern zu diesem Aperçu.

Zumindest in der vorliegenden Auswahl liefert Spreng den Heutigen nicht nur viel Spaß, sondern auch einen breit gefächerten Überblick über das Leben und den Alltag in einer deutschen Kleinstadt zu Beginn des 18. Jahrhunderts, also zur Frühzeit der deutschen Aufklärung. Aber vor allem eben: viel Spaß!

PS: Ende dieses Jahrs soll das gesamte Wörterbuch bei Schwabe in Basel erscheinen.

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