Thomas Zoglauer: Konstruierte Wahrheiten. Wahrheit und Wissen im postfaktischen Zeitalter.

Bücher über das Postfaktische sind mittlerweile Legion und die Masse ist allein schon ein Hinweis auf deren eher bescheiden zu nennende Qualität. Das liegt schlicht an der philosophischen Unbedarftheit der Autoren, die sich in hilflosen Analysen dem Problem der Wahrheit anzunähern oder einfach philosophiegeschichtlich unbeleckt von jedweder Kenntnis mit beliebig ausgewählten Denkern ihre Thesen zu untermauern suchen. Und gut verkäuflich ist derlei trotzdem (oder deshalb – denn die Begeisterung des Publikums für formale Wahrheitsanalysen darf mit Fug und Recht gering genannt werden).

Das nun verhält sich bei diesem Buch auf wohltuende Weise anders: Zoglauer muss kein bemühtes philosophisches Namedropping betreiben, sondern ist als Universitätsprofessor mit den gängigen Wahrheitstheorien und deren Kritikpunkten einigermaßen vertraut (wobei eine Habilitation keineswegs vor stupender Einfalt und berückender Unkenntnis schützt). Und er benennt das Hauptproblem der postfaktischen Weltsicht, nämlich eine Philosophie (unterschiedlichster Provenienz), die ein akademisch-abgehobenes Denk-Spiel zu betreiben pflegt und dann seltsam erstaunt reagiert, wenn politische Berserker wie Trump in ihren Ausführungen eine Bestätigung ihrer Weltsicht erblicken – und das zu Recht.

Das Vorgehen bei diesen philosophischen Eseleien ist immer ähnlich (Zoglauer führt als eines der ersten Beispiele Nietzsche an, der sich ob seines aphoristischen Stils dafür anbietet): Dieser weist etwa auf die Multiperspektivität hin „Aber ich denke, wir sind heute zum Mindesten ferne von der lächerlichen Unbescheidenheit, von unsrer Ecke aus zu dekretiren, dass man nur von dieser Ecke aus Perspektiven haben dürfe. Die Welt ist uns vielmehr noch einmal „unendlich“ geworden: insofern wir die Möglichkeit nicht abweisen können, dass sie unendliche Interpretationen in sich schliesst. (FW § 374; KSA 3, S. 627)“, wogegen noch nicht viel einzuwenden ist. Im Gegenteil, endlich wie bei Konstruktivismus ist der Gedanke einfach nur trivial: Jedes Subjekt sieht aufgrund von individuellen Erfahrungen und Einstellungen, persönlichem Wissensstand, charakterlichen Eigenschaften die Welt ein wenig anders, interpretiert Ereignisse unterschiedlich usf. Dies ist so selbstverständlich, das eine explizite Erwähnung dieses Sachverhalts eigentlich nur eine Banalität darstellt (wenngleich man sie in Worte kleidet, die diese Banalität tief und geistreich erscheinen lassen soll). Und weil man seinem dürftigen geistigen Höhenflug noch etwas hinzufügen zu müssen glaubt, beginnt man zu extrapolieren, folgert und schließt (zumeist kurz) und gelangt zu den entsprechenden, metaphorisch verbrämten Erkenntnissen: „Es giebt vielerlei Augen. Auch die Sphinx hat Augen: und folglich giebt es vielerlei „Wahrheiten“, und folglich giebt es keine Wahrheit. (KSA 11, S. 498)“. (Zitate nach Zoglauer) Und schon kann Kellyanne Conway alternative Fakten präsentieren und die Versuche, Trump (oder wen auch immer) einer Lüge zu überführen, sind völlig aussichtslos.

Diese Relativierungen sind – vor allem in der Postmoderne – mittlerweile Legion, sie treten in zahlreichen Varianten auf und wurden (nicht nur, aber vor allem) in der Postmoderne als bahnbrechende Erkenntnisse gefeiert. Ob Feyerabend oder Habermas*, ob Foulcault (der Wahrheit in den Machtstrukturen verortet) oder Luhmann (für den ebenfalls außerhalb der Kommunikation nichts existiert: „Außerhalb der durch Kommunikation konstruierten Welt gibt es nichts“ (David J. Krieger: Einführung in die allgemeine Systemtheorie), der von „operationaler Geschlossenheit“ faselt und dann doch die Realität nicht ganz außen vorlassen kann, indem er von ihr behauptet, dass „ihre Negation nur als reale Operation vollzogen werden kann“ – was immer er da nun auch zu negieren behauptet: Die interne Kommunikation, das operationale Vorgehen oder ob er doch von einer Welt da draußen spricht, die es eigentlich gar nicht gibt), ob Kuhn oder Rorty (die Aufzählung könnte über Seiten gehen) – alle ergehen sich in vermeintlichen Geistreicheleien, von denen sie wohl annahmen, dass niemals jemand in der (nichtvorhandenen?) Realität sich auf sie beziehen könnte. Was denn ja auch gut gewesen wäre. Aber wie so oft dient abgehobenes, ins Extreme gesteigertes, linksliberales Denken den Rechten als Blaupause, als Rechtfertigung – und ihre Vertreter merken in ihrem selbstgefällig-moralischem Dünkel nicht im mindesten, dass sie genau denen in die Hände spielen, die zu bekämpfen sie vorgeben (etwa auch in den Bereichen der „kulturellen Aneignung“, Gendergerechtigkeit etc., Anliegen, die alle ihre Berechtigung haben, durch ihre moralinsaure, radikale Art des Vortrages aber das Gegenteil bewirken und jenen zum Nachteil gereichen, die zu unterstützen man vorgibt – sehr zur Freude von rechts-konservativen, religiösen Kreisen).

Wenn Zoglauer Colin Wight zitiert, der der Überzeugung ist, dass „dass der unter vielen Geisteswissenschaftlern und Soziologen verbreitete Postmodernismus ein intellektuelles Klima geschaffen habe, in dem der Postfaktualismus blühen und gedeihen konnte“, so kann dieser Einschätzung uneingeschränkt zugestimmt werden. Der oben erwähnte Foucault ist als Ideengeber hervorragend geeignet, wenn Wissen und Wahrheit einzig soziale Konstrukte sind (und von Machtverhältnissen abhängig) als auch Konstruktivisten wie Heinz von Förster oder Ernst von Glasersfeld, die die Erkennbarkeit jedweder ontologischer Realität verneinen. Und schon hört man die postfaktischen Verschwörungstheoretiker erleichtert aufatmen, wird ihnen dadurch ja von unverdächtiger akademischer Seite die Absolution erteilt für alle Abstrusitäten, derer sie habhaft werden können: Denn Wahrheit ist eine Frage des Diskurses (und was eignete sich besser für einen solchen als die sozialen Medien) und als „vernünftige, ideale Sprecher“ dürfen sie sich ebenso bezeichnen (wer wollte in Zeiten des Relativismus oder des Zweifels an der binären Logik, die ja auch nur ein Ausfluss der herrschenden Machtstrukturen ist, ihnen eine solche Vernunft absprechen). Und schlussendlich braucht ihnen auch niemand mit einem Wirklichkeitsbezug zu kommen, da eine ontologische Realität unerkennbar bzw. überhaupt inexistent ist (wovon sprechen Postmoderne oder Konstruktivisten eigentlich, wenn sie Macht, Machtstrukturen sagen: Ist das eine ontologische Realität oder nur solipsistische Wahnvorstellung?).

Doch wenn ach so große Denker vom rechts-katholischen Pöbel in Anspruch genommen werden können, muss schlicht ein Irrtum vorliegen. So hat man schon immer versucht, Nietzsches Reden von Macht und Übermensch loszukoppeln vom nationalsozialistischen Furor (und bei einem Aphoristiker wie Nietzsche findet man selbstverständlich für alles und jedes einen Beleg). Aber bei dieser Exegese verhält es sich ähnlich wie beim Alten und Neuen Testament (oder beim Koran): Da und dort ist von Menschenfreundlichkeit, Toleranz oder Hilsbereitschaft die Rede, grosso modo aber wird einem diktatorischem, brutalen Terrorregime das Wort geredet und die Begriffe Freiheit oder Gleichheit sucht man vergebens. Nietzsche kann von der ganzen Trumpschen Dummheit nun mit ebenso viel Recht als unterstützender Philosoph zitiert werden wie von den Faschisten. So findet man etwa zur Wahrheit zahlreiche Auslassungen wie diese: „Die Falschheit eines Begriffs ist mir noch kein Einwand gegen ihn. Darin klingt unsere neue Sprache vielleicht am fremdesten: die Frage ist, wie weit er lebenfördernd, lebenerhaltend, arterhaltend ist. Ich bin sogar grundsätzlich des Glaubens, daß die falschesten Annahmen uns gerade die unentbehrlichsten sind, daß ohne ein Geltenlassen der logischen Fiktion, ohne ein Messen der Wirklichkeit an der erfundenen Welt des Unbedingten, Sich-selber-Gleichen der Mensch nicht leben kann und daß ein Verneinen dieser Fiktion, ein praktisches Verzichtleisten auf sie, so viel wie eine Verneinung des Lebens bedeuten würde. (KSA 11, S. 527; vgl. auch JGB § 4, KSA 5, S. 18)“ oder einfacher „Die Frage, welche von zwei Weltperspektiven richtiger ist, ist sinnlos, „da hierzu bereits mit dem Maßstabe der richtigen Perception d. h. mit einem nicht vorhandenen Maßstabe gemessen werden müsste“ (KSA 1, S. 884)“ (alle Zitate nach Zoglauer). Und seine Auslassungen zur Macht lesen sich wie eine programmatische Unterfütterung Trumpscher Prinzipien: Die „Unmoralität gehört zur Größe“ (KSA 12, S. 428), ein Politiker muss „gewaltthäthig, neidisch, ausbeuterisch, intrigant, schmeichlerisch, kriechend, aufgeblasen, je nach Umständen alles“ sein, um Erfolg haben zu können, außerdem gehört „Verbrechen zur Größe“, waren „alle großen Menschen Verbrecher“ und standen „außerhalb der Moral“, hatten eine „übermoralische Denkweise nötig“ und „die Verschlagenheit gehört ins Wesen der Erhöhung des Menschen“. Ad infinitum. Wer könnte an solchen Ausführungen mehr Freude haben als Trump, der behauptete, auf offener Straße jemanden erschießen zu können, ohne dafür belangt zu werden? Und warum sollte man Nietzsche für diesen Unfug mit interpretatorischen Volten freisprechen? Oder die erwähnten Postmodernen, Relativisten, Konstruktivisten, Solipsisten? Wer aus Freude an der Formulierung, einem paradoxen Aphorismus, einer ins Extreme getriebenen kruden Idee derlei Nonsens verbricht, darf dafür verantwortlich gemacht werden. Auch (oder aber gerade deshalb), weil Nietzsche mit ziemlicher Sicherheit sich abgestoßen gefühlt hätte von den krakeelenden Braunhemden und Foucault in Trumps Anwesenheit wohl übel geworden wäre. Schreiben ist nicht nur einsamer Denksport im Elfenbeinturm, sondern hat reale Auswirkungen und sollte deshalb immer auch eine entsprechende Verantwortlichkeit zeigen.

Schließlich versucht sich Zoglauer noch in einer eigenen Wahrheitstheorie, die unter dem Begriff des „perspektivischen Realismus“ figuriert. Wie er selbst erwähnt, ist sie dem internen Realismus Hilary Putnams verwandt: Wahrheit ist nur innerhalb von Begriffsschemata möglich, wobei die Unterscheidung von Zoglauers Standpunkt und der Putnams ein bisschen was von Wortklauberei hat. Zoglauer wendet sich gegen das Konvergieren von Theorien in Richtung absoluter Wahrheit (das alles erinnert natürlich auch an Poppers Verisimilitude, wobei das Problem eigentlich nicht der absolute Wahrheitsbegriff ist (der ja nach Popper – wenn er erreicht, so doch nicht als solcher erkannt werden würde), sondern der Versuch, die „Wahrheitsähnlichkeit“ in irgendeiner Weise mathematisch zu bestimmen, ein Versuch, der zum Scheitern verurteilt war), weil Zoglauer einen solchen Wahrheitsbegriff für metaphysisch hält (was aber eigentlich bedeutungslos ist, weil ja diese Gewissheit zu erreichen niemand vorgibt und diese deshalb auch nicht behauptet werden kann ohne Regress, Zirkel oder Dogma). Daher mutet es eigenartig an, wenn Zoglauer schreibt: „Es kann nur provisorische Wahrheiten geben, die jederzeit widerlegbar sind und durch bessere Wahrheiten ersetzt werden können, wobei „besser“ im Sinne höherer empirischer Adäquatheit zu verstehen ist. Ebenso wie Putnam glaube ich an einen wissenschaftlichen Fortschritt. Aber daraus folgt nicht zwangsläufig eine Konvergenz gegen eine infallible absolut wahre Theorie.“ Dem ersten Satz ist vollinhaltlich zuzustimmen, die Abgrenzung gegen absolute, infallible Wahrheiten hingegen überflüssig (ob und wie Putnam, gegen den sich Zoglauer hier positioniert, das formuliert hat, habe ich nicht nachgeschlagen: Allerdings gehen die wenigsten ernstzunehmenden Wissenschaftstheoretiker noch heute mit Gewissheiten hausieren und Putnam tat das meines Wissens ebensowenig).

Ich hatte hier den Eindruck, dass es Zoglauer um einen neuen Begriff, eine „neue“ Wahrheitstheorie ging, weil man mit der angeblich so trivialen Korrespondenztheorie der Wahrheit heute nicht mehr reüssieren kann: Alsbald wird den Betreffenden ein naiver Realismus, eine ebenso naive Epistemologie unterstellt. Tatsächlich aber sind die Einwände gegen die Korrespondenztheorie nur so lange von Bedeutung, so lange man dem Ideal der absoluten Wahrheit, der Gewissheit huldigt. Wird dieser Anspruch fallen gelassen, so erweist sie sich als die simpelste und beste Theorie, die uns zur Verfügung steht. Stellvertretend für zahlreiche andere Einwände steht das auch von Zoglauer vorgetragene Problem der Strukturisomorphie: „Die These von der Strukturisomorphie von Sprache und Wirklichkeit macht nur dann Sinn, wenn die Wirklichkeit überhaupt eine Struktur besitzt und man diese Struktur begrifflich erfassen und sprachlich beschreiben kann. Aber im Grunde genommen sind es immer nur unsere eigenen Begriffe, die wir auf die Welt projizieren und wir tun so als ob es reale ontologische Kategorien seien. Begriffe existieren in unserem Geist, aber nicht in der Wirklichkeit. Es bleibt daher ein Rätsel, wie wir Sätze mit einer nicht-begrifflichen Wirklichkeit vergleichen können. Wir können immer nur Aussagen mit Aussagen, aber nicht Aussagen mit Tatsachen vergleichen. Um beide Elemente der Wahrheitsrelation miteinander vergleichen zu können, müssten wir einen Standpunkt außerhalb der Welt, einen god’s eye view, einnehmen, von dem aus uns die Tatsachen unmittelbar zugänglich sind. Da wir die Welt nicht mit den Augen Gottes betrachten können, sondern in ihr leben, können wir immer nur eine interne Perspektive einnehmen und Aussagen und Theorien untereinander, also stets gleichartige Dinge, vergleichen.“ Warum sollte es ein Rätsel sein, dass unsere Sätze eine adäquate Beschreibung der Umwelt geben? Wäre es – angesichts einer jahrmilliarden währenden Evolution – nicht sehr viel verwunderlicher, wenn die „Sätze, Gedanken, Vorstellungen, Ansichten etc.“ der Lebewesen (ob bewusster oder unbewusster Natur, ob sprachlich oder unsprachlich, denn es ist ja ein fast schon lächerliches und von der Sprachphilosophie in die Welt gesetztes Vorurteil, dass unser Denken rein „sprachlich“ wäre: Das wird es meist erst in Situationen, in denen ich mir selbst oder anderen etwas mitzuteilen oder – wie auch beim Schreiben – mir selbst (und anderen) klar zu machen versuche) nicht ein recht gutes Bild der Realität vermitteln würden (denn wenn das nicht der Fall wäre, wären wir bereits zum evolutionären Ausschuss geworden)? Und die Geist-Wirklichkeit-Dichotomie wird als ein Gegensatzpaar ähnlich der decarteschen Res extensa/Res cogitans dargestellt (und bei Descartes führt dies tatsächlich zum Scheitern) und als Antinomie beschrieben: Was aber nur unter der Voraussetzung funktioniert, so lange „Geist“ als immateriell und in der Folge supernaturalistisch definiert wird. Aber kann man heute noch ernsthaft glauben, dass Erinnerung, Denken, Sprechen nichts mit den Vorgängen im Gehirn zu tun habe, dass dieser Geist eine wundersame Emanation der Synapsen und Dentriten sei? Glauben Philosophen, insbesondere jene mit idealistischen Wurzeln, immer noch an platonische Gespenster und nicht an ganz handgreifliche Zustandsveränderungen im Gehirn – chemischer oder elektrophysikalischer Natur?

Die Korrespondenztheorie der Wahrheit bietet keine Gewissheit, sie ist fehleranfällig und kann einen Absolutheitsanspruch genau so wenig wie andere Theorien erfüllen. Aber ihr weitgehendes Funktionieren ist kein Wunder, sie hat sich über die letzten 3,5 Milliarden Jahre bewährt. Wo das nicht der Fall war, tritt George Gaylord Simpsons pointierte Aussage in Kraft: „Um es grob, aber bildhaft auszudrücken: Der Affe, der keine realistische Wahrnehmung von dem Ast hatte, nach dem er sprang, war bald ein toter Affe und gehört daher nicht zu unseren Urahnen.“ Natürlich sehen wir unsere Welt perspektivisch (jeder Mensch, aber auch jede Art sieht anders), aber das ist eine Banalität. Vögel, Fische, Insekten sehen teilweise im Bereich von Wellenlängen unter 400 Nanometer (während uns der Anblick von Ultraviolett verwehrt bleibt), Fledermäuse erleben eine „Ultraschallwelt“ usf.: Aber zeugt unser Wissen um solche Dinge nicht viel mehr davon, wie gut unser Erkenntnisvermögen funktioniert? Und obwohl alle Lebewesen ein offenkundig probates und taugliches Abbild der/ihrer Welt zu erzeugen vermögen, diskutieren Philosophen der Art Homo sapiens über das Wunder einer adäquaten Realitätsvorstellung oder aber meinen, dass es diese Realität gar nicht gäbe bzw. einzig in ihren Köpfen (sofern sie sich in einer idealen Sprechsituation darauf einigen können). – So etwas (wie etwa die gesamte Postmoderne) wäre schlicht lächerlich (oder eine müßige intellektuelle Spielerei), hätten nicht Rechtspopulismus oder Corona nebst Verschwörungstheorien uns gezeigt, dass wirres und abgehobenes Denken als Grundlage und Verteidigung für eine Politik dienen kann, die dem Großteil der Menschen (inklusive der inkriminierten Philosophen) enormen Schaden zufügen kann und ein Leben in Freiheit fragwürdig werden lässt. Dass auch Zoglauer schlussendlich einen Eiertanz um Gewissheit und absolute wahrheitstheoretische Ansprüche vollführt, dass auch er glaubt, relativieren und einem banalen Perspektivismus huldigen zu müssen, lässt einen faden Beigeschmack zurück. Jedweder Versuch, die Überprüfung von Aussagen von der Realität abzukoppeln, führt in die Welt des Postfaktischen und lässt die abenteuerlichsten und unsinnigsten Aussagen zu hohen Ehren kommen (und wir könnten noch nicht einmal von Unsinn sprechen). Dass diese Verbindung zur Realität keine Gewissheit verbürgt ist offenkundig, allerdings ist es ein philosophisches Hirngespinst zu glauben, dass wir uns nicht (schon aufgrund unserer evolutionär entstandenen sinnlichen und verstandesmäßigen Ausstattung) über das allermeiste dort draußen in dieser Welt einigen können. Der Lackmustest für unsere Theorien ist der zitierte Sprung nach dem Ast: Unser Vorteil besteht einzig darin, dass wir – nach Popper – auch einen vorgestellten Sprung vollführen können und statt uns selbst unsere Theorien sterben lassen können.

Dass es unterschiedliche Perspektiven gibt, dass einer Vanilleeis und der andere Schokogeschmack bevorzugt, ist eine Aussage von beachtlicher Trivialität – sonst nichts. Daraus ontologische Konzeptionen ableiten zu wollen schlicht einfältig. Wobei Wissenschaft gerade darin besteht, diese perspektivischen, gefärbten Sichtweisen nach Möglichkeit hintan zu halten (was – ebenfalls trivial – nicht immer gelingt). Aber dieses Bemühen aufzugeben (weil absolute Objektivität nicht erreicht werden kann) wäre eine intellektuelle Kapitulation vor Dummheit und Borniertheit. Dieser unsinnige Gewissheitsanspruch stand schon John Locke in seinem „Essay Concerning Human Understandings“ vor Augen: „Wenn wir alles bezweifeln wollen, weil wir nicht alles mit Gewissheit erkennen können, so handeln wir ungefähr ebenso weise wie derjenige, der seine Beine nicht gebrauchen wollte, sondern still saß und zugrunde ging, weil er keine Flügel zum Fliegen hatte.“


*) der bei Zoglauer fast unbeschadet wegkommt, obwohl seine Konsensustheorie der Wahrheit bzw. seine „ideale Sprechsituation“ genau das oben beschriebene Phänomen zeitigt: Denn wenn nicht die Erfahrung, die Evidenz, sondern die Argumentation innerhalb einer Gruppe ausschlaggebend sind für Wahrheit, die Rückbindung an eine Wirklichkeit, die Außenwelt fehlt, wird man sich immer auf diesen gruppeninternen Konsens berufen können. Und die hilflose Forderung, dass jeder „vernünftige“ Sprecher zustimmen müsse, ist entweder unerfüllbar oder aber demjenigen, der sich dem Konsens verweigert, wird die „Vernunft“ abgesprochen. Der vielzitierte und diese Haltung zusammenfassende Satz „„Die Idee der Wahrheit lässt sich nur mit Bezugnahme auf die diskursive Einlösung von Geltungsansprüchen entfalten“ ist einfach nur Endpunkt pseudokluger und undurchdacher Gedankenspielereien in einem schlau anmutenden philosophischen Sprachduktus. Habermas ist ein glänzendes Beispiel für die Einfalt solcher Philosophen: Denn er ist (wie wohl auch der größte Teil der Post(post)moderne) kein Unterstützer Trumps und fühlt sich mit Sicherheit missverstanden, wenn Vertreter des Postfaktischen sich auf ihn berufen: Wahrscheinlich war und ist er überrascht, dass sein „Denken“ in der Realität (die ja laut Theorie entweder nicht vorhanden oder aber zumindest nicht als Bezugspunkt für Wahrheit in Anspruch genommen werden darf, in der er aber (zu seinem eigenen Erstaunen?) trotzdem lebt) überhaupt Konsequenzen hat.


Thomas Zoglauer: Konstruierte Wahrheiten. Wahrheit und Wissen im postfaktischen Zeitalter. Wiesbaden: Springer/Vieweg 2021.

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 2

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert