Thomas Piketty: Eine kurze Geschichte der Gleichheit

Weiß mit orangem Rahmen pro Buchstabe auf Hellblau das Wort "GLEICHHEIT". Links und rechts ein orange-weißer Rahmen. Ausschnitt aus Buchcover.

»Das ist interessant, was Sie schreiben, aber ginge es nicht auch kürzer, sodass ich meine Freunde und meine Familie an Ihren Forschungen teilhaben lassen könnte?«

Dies kleine Buch ist auch eine Reaktion auf diese bei Begegnungen mit Leserinnen und Lesern oft vorgetragene Bitte.

S. 11

Man lasse sich von dieser Einleitung (die Piketty übrigens ganz vorn in den Danksagungen versteckt – warum auch immer) nicht in die Irre führen. Das Buch mag kürzer sein als seine Vorgänger Das Kapital im 21. Jahrhundert von 2020 oder Kapital und Ideologie von 2021 – die Bücher, mit denen er berühmt geworden ist und den Status eines Karl Marx des 21. Jahrhunderts erreicht hat. Aber es handelt sich auf weiten Strecken nach wie vor um eine wissenschaftliche, ökonomische Abhandlung – einfach ein bisschen komprimierter.

Zusammengefasst geht es Piketty in diesem Buch darum, die Gleichheit der Menschen zu erforschen, darzustellen. Unter Gleichheit versteht er primär einmal gleiche Chancen auf Bildung – oder poetischer formuliert, auf eine Verwirklichung der eigenen Träume. Diese Gleichheit hat für ihn in erster Linie ökonomische Wurzeln. Gleichheit wird über Monetäres definiert: Je mehr Geld jemand hat, umso größer die Chance darauf, seine Wünsche verwirklichen zu können. Je mehr Menschen also ihre Wünsche verwirklichen können sollten, desto wichtiger ist es, dass die finanziellen Ressourcen dieser Welt möglichst gleichmäßig verteilt sind.

Dazu gilt es nach Piketty, die Steuern auf Einkommen und Vermögen so zu legen, dass nicht allzu viel Kapital an einem Ort – ob nun bei einer Privatperson oder bei einer juristischen – akkumuliert werden kann. Dies, weil er sieht, dass in der Vergangenheit die Gleichheit der Personen immer dann größer geworden ist, wenn der Staat genügend Geld hatte, um Institutionen wie Bildungseinrichtungen und Sozialversicherungen für alle einzurichten. Ergo empfiehlt er, progressive (und in den oberen Steuerklassen recht hohe) Steuern auf Einkommen und Vermögen zu erheben – vor allem aber progressive Erbschaftssteuern. Nur dadurch könne, so Piketty, das Kapital wieder abgeschöpft und in den allgemeinen Umlauf gebracht werden.

Doch nicht nur das soziale Gefälle innerhalb eines Staates gilt es für Piketty zu eliminieren. Noch wichtiger ist es seiner Meinung nach, das internationale Nord-Süd-Gefälle zu glätten. Da in Europa, so seine These, die ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen größerer und kleinerer Staaten zur Erhebung von relativ hohen Steuern geführt habe – Geld, das zunächst in die Armeen floss und erst sekundär in weitere staatliche Einrichtungen –, konnte sich Europa im Lauf der Jahrhunderte langsam über seine asiatischen Konkurrenten erheben und eine Vorherrschaft über die ganze Erde antreten: die Geburt von Kolonialismus und Sklaverei. Dass die europäischen (und die nordamerikanischen) Staaten im Vergleich zu zum Beispiel den afrikanischen so ungeheuer reich sind, auch heute noch, stellt für Piketty das nach wie vor nicht geregelte Erbe des Kolonialismus dar. Seiner Meinung nach sollten die ehemaligen Kolonialherren ihren ehemaligen Untertanen Reparaturzahlungen in großem Ausmaß leisten. Das würde, meint er, die europäischen Staaten nicht einmal sehr belasten, den afrikanischen aber sehr aufhelfen. Was er nicht erwähnt, aber meiner Meinung nach klar ist: Die Tatsache, dass auch europäische Staaten wie die Schweiz oder Österreich, die keine Kolonien gehabt haben, zumindest keine in Übersee (das Verhältnis Österreich-Ungarns zu gewissen Landesteilen an der Peripherie könnte durchaus als Kolonialismus bezeichnet werden und wird es auch), auch diese Tatsache also, bedeutet ja nicht, dass nicht auch diese Länder vom Kolonialismus zumindest indirekt ganz schön profitiert haben. Es gab zum Beispiel durchaus Schweizer, die als Privatpersonen Besitzungen in Übersee ihr Eigen nannten und diese nach kolonialem Muster ausbeuteten. Einiges an Reichtum bekannter Schweizer Familien ist auf diese Art und Weise (mit) zustande gekommen. Erwähnt wird hingegen durchaus kritisch, dass sich heute China und Japan ein ähnlich kolonialistisch-imperialistisches Netz aufbauen, wie es im 19. Jahrhundert die Europäer taten – nur, dass sie ihren Imperialismus einen rein ökonomischen sein lassen und keinen Wert auf offizielle In-Besitz-Nahme eines Staates in Afrika legen.

Alles in allem ein sehr anregendes Buch, dessen Lektüre nur empfohlen werden kann.


Thomas Piketty: Eine kurze Geschichte der Gleichheit. Aus dem Französischen von Stefan Lorenzer. München: C. H. Beck, 2022. Mit 41 Grafiken und 3 Tabellen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert