Wilhelm Hauff: Die Karawane

Der kleine Muck spielt mit den Katzen. Ausschnitt einer Originalillustration der Erstausgabe auf dem Buchcover.

d.i. Mährchen⸗Almanach auf das Jahr 1826, für Söhne und Töchter gebildeter Stände. – Herausgegeben von Wilhelm Hauff. Erster Jahrgang. Stuttgart: Druck und Verlag der J. B. Metzler’schen Buchhandlung. Papier von der Papierfabrik Rauch in Heilbronn. 1826. Mit anderen Worten handelt es sich bei der Karawane um den ersten der drei Mährchen⸗Almanache, die Hauff in seinem kurzen Leben nicht nur herausgegeben, sondern zum grossen Teil auch selber gefüllt hat. Dass ich hier den mittleren der drei als ersten vorgestellt habe, hängt mit meinem schlechten Gewissen gegenüber vor allem Ingeborg Bachmann zusammen, die im früher vorgestellten Briefwechsel mit Max Frisch (ebenso wie er!) ungeheuer schlecht weggekommen ist, weshalb ich auch einen Text von ihr vorstellen wollte, der nichts mit dieser toxischen Beziehung zu tun hatte. Auf Malina hatte ich gerade keine Lust, aber beim Blättern durch meine kleine Werkausgabe stolperte ich über das Libretto Der junge Lord nach der Parabel (so Bachmann) Der Affe als Mensch aus Hauffs zweitem Mährchen⸗Almanach. Ich besaß mal eine alte Ausgabe nur der Märchen von Hauff (noch von meinem Vater) sowie zwei ältere Werkausgaben, beide aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, schätze ich – die eine etwas älter als die andere. In der älteren figurierte zwar der Roman Lichtenstein, aber nicht alle Märchen; in der jüngeren hatte ich alle Märchen, aber der Lichtenstein fehlte. Als ich dann aber in meinen leider ungeordneten Regalen suchte, stellte sich heraus, dass mir sowohl die Märchen-Ausgabe wie die jüngere Werkausgabe fehlten, ich sie zumindest nicht mehr fand. Ich beschloss, mir die Märchen separat nachzukaufen, was dank ihrer ungebrochenen Popularität ja kein Problem war. So besorgte ich mir ein Reclam-Büchlein1), mit dem ich auch rundum zufrieden bin. Ich finde hier selbst die nicht von Hauff stammenden Märchen des zweiten Almanachs, ein kluges Nachwort und gerade so viel Worterklärungen, wie heute nötig. Weil ich nun aber das Büchlein schon extra gekauft hatte, ließ mir mein innerer Dreiachtels-Schwabe keine Ruhe – ich muss das ganze lesen und hier vorstellen …

Nun wird, wer mich kennt, an Hand der vielen Worte, die ich mache, ohne zum eigentlichen Text zu kommen, schon ahnen, dass mir der Text so einige Probleme bereitet. Ich habe schon bei der Vorstellung des zweiten Mährchen⸗Almanachs darauf hingewiesen – worauf wiederum der Herausgeber der Reclam-Ausgabe verweist –, dass die Literaturwissenschaft als solche ihre liebe Mühe hat mit Hauffs Märchen. Für zu gering hält sie deren Qualität. Ich habe in meinem Aperçu eine Ehrenrettung Hauffs versucht. Jetzt muss ich aber nach einer erneuten Lektüre des ersten Mährchen⸗Almanachs gestehen, dass ich die Reaktion der Fachleute zumindest teilweise nachvollziehen kann. Tatsächlich hat Hauff vom ersten zum zweiten Almanach vor allem in Sachen Komposition große Fortschritte gemacht. Auch dort ist Hauffs Behandlung des Erzähl-Rahmens nicht zu vergleichen mit dem zum Beispiel von E. T. A. Hoffmann in den Serapionsbrüdern, aber das Ganze wirkte trotz der Tatsache, dass Hauff gerade im zweiten Almanach fremde Texte einfügte und zum Teil bei der Fertigstellung nicht einmal im Land war, er also seinen Bruder machen ließ, bedeutend mehr aus einem Guss erstellt, als hier nun der erste Almanach.

Schon der Rahmen, macht es den Eindruck, ist recht zufällig gewählt. Es geht eher ums exotische Flair, das Hauff offenbar vermitteln will, wenn er hier eine Karawane vorstellt, die von Mekka nach Medina(?) reist, wo sich dann die reisenden Kaufleute bei ihren Rasten jeweils Geschichten erzählen – jeden Tag kommt ein anderer an die Reihe. Die anderen hören zu, bedauern bzw. beglückwünschen den Erzähler, so er eigene Erlebnisse zum Besten gibt, oder klatschen Beifall. Es gibt keinen Versuch, wie beim Scheik von Alessandria, ein bisschen erzähltheoretisch zu argumentieren bzw. kommentieren. Das einleitende Märchen vom Märchen als Almanach trägt zwar literatursatirische Züge, ist aber voller Widersprüche, indem es einmal heißt, als Almanach verkleidet, könne das Märchen, die Tochter der Phantasie, ohne Probleme in die von (Sitten-?)Wächtern bewachte Stadt eindringen und mit den Kindern spielen, der tatsächliche Versuch aber dann missglückt. Dass das Märchen zum Schluss doch in die Stadt kommt, liegt daran, dass die Wächter über den Almanachen (über ihm?) eingeschlafen sind. Das Ganze ist ein wenig unklar. Die Verbindung der Rahmenerzählung mit einem der Märchen (Die Geschichte von der abgehauenen Hand) wird umständlich mit einer weiteren Erzählung, diesmal aber nicht mehr im Rahmen der Reise durch die Wüste, erledigt.

Ja, die Sprache Hauffs ist immer noch flüssig, melodiös. Nach wie vor braucht sie, anders als zum Beispiel der umständliche Kurialstil der Prosa beim alten Goethe, keine Übersetzung in die heutige Sprache. Und mit dem Kalif Storch und dem Kleinen Muck finden wir schon hier zwei Märchen, die immer wieder auch außerhalb des Mährchen⸗Almanachs erzählt werden, verfilmt worden sind. Dass Hauff dennoch über die Masse der damals produzierten Erzählungen hinausragt, liegt wohl vor allem daran, dass seine Helden, Kalif Storch und Muck voran, zwar meistens liebenswürdig und liebenswert sind, bei alledem aber keineswegs fehlerfrei. Immer wieder stolpern Hauffs Helden (es sind immer Männer) über ihre Sucht nach Ruhm, Ehre oder Reichtum. Sie können erst dann ein ruhiges und glückliches Leben führen, wenn sie ihren Ehrgeiz gezügelt haben. Hier kippt Hauffs Romantik einmal mehr ins Biedermeier.

Ansonsten finden wir auch viel Grusel-Romantik in den Märchen des ersten Almanachs. Typisch für den trivialen Gothic-Horror ist nicht nur der Umstand, dass die Erzählungen einer genauen Überprüfung der logischen Konsequenzen nicht standhalten (da ist der Capitano des Gespensterschiffs, der mittels eines Nagels durch den Kopf an den Mast seines Schiffs fixiert wurde, vor seinem endgültigen Ende noch einmal wiederbelebt wird und – mit dem Nagel im Kopf! – noch die ganze Geschichte des Gespensterschiffs erzählt; es gäbe weitere Beispiele), nicht nur mangelnde Logik also finden wir dieses Mal: Die Geschichten sind auch bei weitem grausamer und blutiger als die des zweiten Mährchen⸗Almanachs. Den Nagel durch den Kopf haben wir bereits gesehen; in einer anderen Geschichte wird einer jungen Frau von einem nichts ahnenden Arzt bei lebendigem Leib der Kopf abgeschnitten, wofür der Arzt wiederum mit der Abgehauenen Hand büßt. Dazwischen sind immer wieder komische Erzählungen zu finden – zumindest versuchte Hauff hier offenbar für jeden Geschmack etwas zu bringen.

Fazit: Als Ganzes weit hinter dem zweiten Almanach. Aber Hauff schafft es doch, zwischendurch immer wieder liebens- und erinnernswerte Charaktere zu schaffen – die denn auch die Jahrhunderte überlebt haben.


1) Wilhelm Hauff: Sämtliche Märchen. Mit den Illustrationen der Erstdrucke. Herausgegeben von Hans-Heino Ewers. Dietzingen: Reclam, 2011. (= RUB 104)

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