F. Scott Fitzgerald: The Great Gatsby

Stilisiertes Gesicht und rechte Hand in einem weißen Handschuh, die einer jungen Frau im Stil der 1920er gehören. Sie trägt einen weißen Hut und hat blaugrüne Augen und knallrote Lippen. Ausschnitt aus dem Buchcover, das seinerseits ein Detail zeigt aus dem Gemälde "Jeune Fille en Vert" (1927) von Tamara de Lempicka. Links und rechts weiße Streifen.

Mit The Great Gatsby hat F. Scott Fitzgerald den Roman des so genannten „Jazz Age“ geschrieben. Das „Jazz Age“ war denn auch die Epoche Fitzgeralds; der Begriff war schon vor ihm populär, hat dann aber endgültigen Einzug in die englische / US-amerikanische Sprache gehalten mit seiner Kurzgeschichten-Sammlung Tales of the Jazz Age. Das „Jazz Age“ deckt sich zeitlich in etwa mit den „Roaring Twenties“, den „Goldenen Zwanzigern“: Es dauerte von etwa 1919 (dem Ende des Ersten Weltkriegs, als die ersten schwarzen Bands, Sänger und Sängerinnen aus New Orleans in San Francisco, Los Angeles und Chicago Platten aufnahmen oder Live-Auftritte absolvierten) bis zum Börsen-Crash vom 25. Oktober 1929, dem eine Weltwirtschaftskrise folgen sollte. Gerade weil viele Schwarze vom neuen Geschäft in der Musikbranche profitieren konnten, ist es sicher nicht falsch, neben dem Einfluss des Ersten Weltkriegs im „Jazz Age“ auch eine verspätete Reaktion auf das Ende des Sezessionskriegs zu sehen, in dessen Gefolge die ehemaligen Sklaven und auch die freien Schwarzen des Nordens langsam in eine neue Rolle hineinwuchsen. Andererseits darf auch die von 1920 bis 1933 in Kraft stehende Prohibition in den USA nicht vergessen werden in ihrem Einfluss auf das Lebensgefühl des „Jazz Age“. Herstellung und Genuss von Alkohol waren zu jener Zeit zwar verboten, aber es wurde wenig gemacht, das Verbot auch durchzusetzen. Industrie-Alkohol wurde in grossen Mengen redestilliert und in so genannten „Speak Easys“ oder in „Drug Stores“ verkauft. Das einzige spürbare Resultat der Prohibition war die Zunahme der Kriminalität in den USA. Nicht nur Al Capone sondern auch viele andere verdankten ihren plötzlichen und riesigen Reichtum illegalen Geschäften – und die mussten keineswegs so spektakulär sein wie die Al Capones: Auch die Wirtschaftskriminalität blühte.

Jay Gatsby, der Protagonist des Romans, ist auf seine Art die Verkörperung eben dieses „Jazz Age“. Als wir ihn, vermittelt durch den Ich-Erzähler Nick Carraway kennen lernen, ist er Besitzer eines grossen Hauses auf Long Island. Jedes Wochenende schmeisst er riesige Party, bei denen der Alkohol in Strömen fliesst. Es heisst, er habe sein Vermögen geerbt und sei nun nur damit beschäftigt, es auszugeben. Nick ist der Sohn einer wohlhabenden, aber nicht reichen Familie aus dem Mittleren Westen, der nach New York gekommen ist, um sein Geld als Wertschriftenhändler zu verdienen. Nachdem er eine Zeitlang nur aussenstehender Zuschauer war, lernt er schliesslich Gatsby persönlich kennen. Obwohl er immer eine gewisse Distanz zu ihm hält (oder vielleicht deswegen), dringt er immer tiefer in dessen Geheimnisse ein – eine unglückliche Liebe zu Daisy Buchanan inklusive. Diese wiederum ist Nicks Cousine und hat, nachdem eine Liebelei mit Gatsby zu keinem Resultat führte, den reichen Thomas Buchanan geheiratet, mit dem sie nun auf der dem Anwesen Gatsbys gegenüber liegenden Seite der Bucht lebt.

Fitzgerald hat den Roman wie eine Art Zwiebel konstruiert, nur, dass wir zum Schluss nicht weniger haben, wenn wir Schale um Schale abheben. Im Gegenteil wir erfahren immer mehr über Gatsby, der eigentlich gar nicht Gatsby heisst, sondern sich irgendeinmal so genannt hat, als er beschloss, auch zu denen gehören zu wollen, die vom allgemeinen Aufschwung profitierten. Und so, wie Gatsby Schicht um Schicht seiner Geschichte um sich herum baute, wird Carraway sie für uns Lesende wieder abtragen. Am Schluss bleibt ein unglücklicher Mann, der erkennen musste, dass die ewige Liebe, an die er auch auf der Seite von Daisy glaubte, bei ihr nicht vorhanden war. Dass er sie bei einem tödlichen Autounfall dennoch deckt, indem er behauptet, er sei gefahren und nicht sie, führt dann auch seinen Tod herbei, weil der Mann der Toten herausfindet, wo er wohnt und ihn vor seiner Haustür erschiesst, um sich dann selber umzubringen. Es zeigt sich, dass Gatsby seinen Reichtum nicht geerbt hatte, sondern wahrscheinlich mit illegalem Wertschriftenhandel zusammen gerafft. Seine Freunde, deren er so viele hatte, als er noch angesehen und reich war, lassen ihn nach seinem Tod im Stich. Zu seiner Beerdigung erscheint niemand außer dem Erzähler Nick und Gatsbys Vater, Henry C. Gatz (Gatsbys echter Name war James Gatz), schließlich noch ein geheimnisvoller Unbekannter, dem Nick vor Monaten bei einer von Gatsbys ausschweifenden Partys zufällig in der Bibliothek begegnet war, wo dieser – stockbesoffen! – die „Echtheit“ der Bücher in Gatsbys Bibliothek bewundert hatte. Denn auch das war Gatsby: ein Blender – aber nur mit echten Werten.

Der Roman erschien 1925 und hatte zu Beginn wenig Erfolg. Dass Gatsbys Ende den Börsen-Crash von 1929 voraus nehmen konnte, zeigt die Sensibilität seines Autors, der die künstlerische und moralische Falschheit der Epoche sehr wohl sah. Dass der Roman heute noch gelesen werden kann, zeigt nicht nur, wie gut er komponiert ist, sondern auch, wie aktuell die Grundlage der Story immer noch ist im Zeitalter von Bankern, die sich mit Kundengeldern verspekulieren und den Zusammenbruch alteingesessener Häuser provozieren.


Gelesen in einer Ausgabe der Oxford World’s Classics von 1998 mit einer Einführung und Anmerkungen von Ruth Prigozy, die sehr erhellend waren.

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