Fritz Leiber: Der unheilige Gral

Ein muskulöser, im Comic-Stil mittelalterlich gekleideter Mann steuert ein Seegelboot durch den Sturm. Im von mir gewählten Ausschnitt sieht man links einen Teil des Steuerruders, dann den starken rechten Arm des Helden, sein Gesicht mit vom Wind zerzausten roten Haaren. Im Hintergrund die Takelage. - Ausschnitt aus dem Umschlagbild von Lars Nestler.

Fritz Leiber – man findet ihn auch als ‚Fritz Leiber jr.‘, weil sein gleichnamiger Vater ein zu seiner Zeit bekannter Shakespeare-Darsteller war – Fritz Leiber also ist meiner Meinung nach im deutschen Sprachraum viel zu wenig bekannt. Er war mehrfacher Gewinner sowohl des Hugo wie des Nebula wie des Locus Award und war in Science Fiction ebenso bewandert wie in Horror oder Fantasy. Vor allem war er ein grosser Sprachkünstler – etwas, das in allen drei Genres selten genug vorkommt. (Dass er als Knabe ganze Shakespeare-Rollen auswendig hersagen konnte, weil er seinem Vater beim Auswendiglernen zuhörte, wird da viel geholfen haben. Aber auch sonst war Leiber jr. ein belesener Mann.)

Der unheilige Gral ist der erste Band einer Reihe mit Leibers Erzählungen der Abenteuer von Fafhrd und dem Grauen Mausling (so der Untertitel). Auf Deutsch erschienen ist er, wie auch die Folgebände, in der Edition Phantasia, einem mit viel Liebe geleiteten Kleinverlag für solche Genres, wie sie Leiber bediente. Herausgeber und Übersetzer ist der Verlagsleiter persönlich, Joachim Körber. Die Zusammenstellung seiner Geschichten um Fafhrd und dem Grauen Mausling hat schon Leiber selber besorgt – ab 1968 erschien sie in mehreren Bänden. Für die deutsche Ausgabe wurden hier zwei Originalbände zusammengefasst, Swords and Deviltry und Swords against Death. Wie im Original haben wir zum Schluss eine der Erzähl-Chronologie folgende Zusammenstellung der Abenteuer eines riesigen Barbaren und eines bedeutend kleineren Südländers – beide aber die besten Fechter ihres und aller übrigen Universen. Dazu geschickte Diebe, ausdauernd und clever. Die idealen Helden.

Es sind Sammlungen einzelner, kürzerer oder längerer Geschichten, die Leiber übrigens nicht in der Reihenfolge geschrieben oder veröffentlicht hat, in der sie sich im Erzähluniversum der beiden Protagonisten abspielen. Diese Geschichten waren lange Zeit eine Art privates Projekt Leibers, eine Veröffentlichung war nicht möglich, weil schlicht keine Zeitschrift sie annehmen wollte.

Leiber, der damit Ende der 1930er angefangen hat, erfand hier nämlich ein neues … ich nenne es mal … Untergenre der Fantasy, das er auch gleich selber benannte: Sword and Sorcery. Er hat es nicht nur benannt und definiert – er hat es auch gleich vollendet. Was immer seither in diesem Genre geschrieben wurde: Es sind immer nur Variationen eines von Leiber bereits erschöpften Themas.

Allerdings war die Pulp Fiction und ihr Publikum jener Zeit nicht darauf vorbereitet und deren Herausgeber glaubten nicht daran, solche Geschichten ihrem Publikum zumuten zu können. Natürlich gab es in der Literatur schon vorher gute und heldenhafte Kämpfer mit Schwert und Degen. Die Musketiere von Alexandre Dumas Père sind allen bekannt, auch der Cyrano von Edmond Rostand (der, nebenbei, wohl auch in der Realität ein ausgezeichneter Fechter gewesen zu sein scheint). Auch ein Barbar als Held war nicht neu; Leiber gab selber zu, dass Conan da Pate stand. Neu war es, dass wir ein Duo gleichberechtigter und gleich begabter Helden haben, die – und das war nicht nur neu, sondern macht diese Erzählungen bis heute lesenswert – vom Autor mit viel Liebe, aber auch mit viel Ironie gezeichnet werden. So kam es denn auch, dass Leiber – obwohl eigentlich von der älteren Generation – von den jüngeren SF-Autoren, die in den 1960ern gekommen waren, um Science Fiction und Fantasy neu zu definieren (unter anderem Delany, Ballard oder Dick), als einer der ihren gezählt wurde.

Leibers Welt zeichnet sich durch immer neue Überraschungen aus. Vor allem die Magier und Magierinnen und deren Magie ist nachgerade als irr zu bezeichnen. Sie ist jedes Mal anders und scheint keine Regel zu kennen. Das unterschiedet Leibers Welt Newhon wohltuend von der fein säuberlich sortierten und katalogisierten Welt Professor Tolkiens oder Frau Rohlings. Das ist aber wohl auch mit schuld daran, dass Leibers Erfolg im deutschen Sprachraum so gering ist, weil man offensichtlich seine Ordnung auch in den Reichen der Fantasy haben will. (Wobei schon Leiber seinen Büchern eine Landkarte seiner Welt beifügte …) Zudem sind Leibers Helden nicht die Netten und Feinen und Lieben – so etwas gibt es bei ihm gar nicht. Fafhrd und der Graue Mausling machen so manches Abenteuer mehr oder weniger im Vollrausch durch; sie leben von Diebstahl, Raub und Mord (auch schon mal Raubmord) und kennen auch nüchtern keine Skrupel. Doch ihre Gewinne sind minim und oft genug kommen sie ziemlich blessiert aus einer Geschichte heraus. Aber sie sind in der Lage sich zu verlieben, und in einer Geschichte besiegen sie gar den Tod höchstpersönlich. Wenn der eine versagt, holt ihn der andere aus der Patsche – so zum Beispiel als sich der Graue Mausling von der Jahrmarktsbude auf dem Bazaar of the Bizarre, in der aus einem Paralleluniversum aufgetauchte fremde Händler ihre Kundschaft verzaubern, einwickeln lässt. Kapitalismus-Kritik in der Fantasy!

Im vorliegenden Band haben wir, wie gesagt, die in der Erzähl-Chronologie ersten Abenteuer der beiden Helden vor uns. Ich bin aber nicht sicher, ob Leiber gut daran getan hat, die relativ spät erst, als Prequel, geschriebenen Jugendabenteuer der beiden zuerst einzustellen. Für Leute wie mich, die vor der Lektüre allenfalls wissen, dass wir in diesen Geschichten zwei Helden haben sollten, die von seltsamen Magiern (oder ist eine davon eine Magierin?) seltsam beraten werden, ist es relativ uninteressant zunächst je ein Einzelabenteuer und dazu noch ohne die seltsamen Gestalten der Magier(innen?) zu lesen – zumal diese Geschichten erst 1970 geschrieben worden sind und Leiber offenbar an der Krankheit vieler Autoren leidet, im Alter mehr und ausführlicher erklären zu wollen, was die beiden Prequels ein wenig langatmig werden lässt. Die erzähl-chronologisch später handelnden, aber früher geschriebenen Erzählungen, die wir vor allem in dem Teil finden, der in Leibers Zusammenstellung der zweite Band ist, entschädigen aber dafür.

Ansonsten? Ein paar Ephemera:

  • Leiber stand in intensivem Briefwechsel mit H. P. Lovecraft in den letzten Monaten von dessen Leben und will von ihm noch viel gelernt haben.
  • Die Edda soll dieses Erzähluniversum ebenso beeinflusst haben wie Peer Gynt.
  • Der Name der Welt ist ‚nowhen‘ von hinten geschrieben und damit eine Anspielung auf Erewhon (‚nowhere‘) von Samuel Butler. Nur, dass Leiber das englische Wort konsequent rückwärts geschrieben hat.
  • Leiber soll darauf insistiert haben, dass sein Name auf Deutsch ausgesprochen werde (sein Großvater war aus Baden in die USA emigriert) – nämlich als „Lîber“. Wer da wen veräppelt hat, Leiber seinen Interviewpartner, oder Leiber sr. seinen Sohn, oder der Großvater seine Nachkommen, oder ob der wahrscheinlich alemannische Großvater nur noch vage Erinnerungen an seine Muttersprache hatte und nur noch wusste, dass „Leib“ im Alemannischen „lîb“ ausgesprochen wird (wovon sich alle Lesenden des Mittelhochdeutschen sofort überzeugen können), daraus schloss, er müsse „lîber“ geheißen haben (man hört seinen eigenen Familiennamen ja selten genug) … ich will es nicht entscheiden.

Eines aber weiß ich: Wer spannende und originelle Fantasy für Erwachsene mag, darf jederzeit zu den Geschichten um Farhrd und dem Grauen Mausling greifen.


Fritz Leiber: Der unheilige Gral. Die Abenteuer von Fafhrd und dem Grauen Mausling I. Bellheim: Joachim Körber Verlag, 32018.

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