Nachdem ich neulich erzählt habe, dass die Geschichten um die Haarsträubenden Fälle des Philip Maloney wohl nur Schweizer Ü40 noch ein Begriff sein dürften, bin ich ja von Mitlesenden in Taten und Worten korrigiert worden: Es lesen bzw. hören diese Geschichten auch Personen außerhalb des Landes. Gut so. Dennoch wage ich noch einmal eine Prognose, nämlich, dass die Kriminalromane von Josef Winteler selbst innerhalb der Schweiz nur wenigen bekannt sind. Einerseits schrieb Winteler schon Regio-Krimis, bevor die Buchhandlungen und Verlage dies als Verkaufsargument erkannten. Andererseits schrieb er nie, um damit Geld zu verdienen. Es gibt auch nur drei Romane um Thomas Tschudi, den fiktiven Chef der (Kantonal-)Zürcher Kriminalpolizei. Allerdings ist nur der erste bei einem Verlag erschienen, aber schon lange vergriffen. Er taucht hin und wieder antiquarisch auf, aber selten genug. Es ist mir noch nicht geglückt, ihn in die Finger zu kriegen. Die beiden anderen veröffentlichte Winteler im Selbstverlag. Er hat allerdings nie dafür Werbung gemacht oder gar Lesereisen unternommen. Schreiben blieb sein Hobby. Nun hat mir der Autor neulich die beiden letzten Romane geschenkt und habe schon früh im Neuen Jahr den ersten (also eigentlich den zweiten der Reihe) gelesen. Wenn ich ihn hier vorstelle, dann darum, weil ich für einmal unser Blog hier als privates Lesetagebuch missbrauche. Du brauchst also, liebes Publikum, nicht mehr weiterlesen.
Der Roman spielt im Zürcher Oberland, in einem Alters- und Pflegeheim, das sich in einem (fiktiven) kleinen Kaff befindet. Heute würde man statt Alters- und Pflegeheim sagen: in einer Seniorenresidenz – die Institution ist dieselbe, es klingt aber bedeutend vornehmer und weniger nach Wartesaal auf den Tod. Letzterer – der Tod also – ist dann auch der Grund, warum Tschudi in diesem Roman aktiv wird. In diesem Pflegeheim sterben nämlich überdurchschnittlich viele alte Menschen. Das Heim wird von einer Stiftung geführt, deren Präsident zugleich der Leiter des Heims ist – und dazu noch der Chef einer freikirchlichen Sekte, deren Mitglieder sich praktisch ausschließlich aus den Insassen und Angestellten des Heims rekrutieren. In einem extra dafür eingerichteten Saal predigt der Heimleiter jeden Sonntag. Eine Finanzkontrolle durch die Gemeindebehörden kann der gute Steuerzahler ‚Altersheim‘ jedes Mal abwimmeln. Dass sich die seltsamen Vorfälle häufen und Tschudi davon erfährt, ist einer Kumulation von Zufällen geschuldet – wie es halt so ist in Kriminalromanen.
Davon abgesehen aber ist der Roman sauber konstruiert. Von Anfang an steht ein Verdacht im Raum und der bzw. die Täter sind bezeichnet. Es folgt also nicht das klassische ‚Who dunnit?‘, sondern es geht darum, ob (und falls: wie) da gemordet und betrogen wurde. Das wird denn auch – inklusive ‚Show down‘ – makellos und schnörkellos durchgeführt.
Man kennt, wenn man in der Region lebt, das Restaurant, in dem sich der in Zürich lebende Chef der Kriminalpolizei mit seinen Winterthurer Leuten trifft ebenso, wie man ahnen kann, welches Heim der verdächtigen Institution als Vorbild diente.
Der Titel bezieht sich auf ein Fresko, das im Versammlungssaal des Heims an die Wand gemalt wurde und den Patriarchen Jakob zeigt, der im Traum die Engel auf der Himmelsleiter hinauf und hinunter eilen sieht. (Der Autor gibt die Quelle gleich selber an: 1. Mose 28, 12.) Jakob aber trägt das Gesicht des Heimleiters, und so wird der Roman auch zu einer Parabel auf die Hybris, die so manchen Verbrecher überkommt – spätestens wenn er beim ersten Mal nicht erwischt wird. (Mir sind selber aus meiner früheren beruflichen Tätigkeit mehrere Fälle bekannt von Buchhaltern, die, zum Teil mit Komplizen, – nachdem sie ein erstes Mal ohne Folgen Geld der Firma auf ihr Privatkonto umleiten konnten – dies immer öfter und mit immer höheren Summen taten. Bis irgendwann die Fehlbeträge zu groß wurden und bei einer Revision der Buchhaltung das ganze Konstrukt aufflog.)
Ein spannender Kriminalroman also, mit einem Ermittler, den man zwar durchaus privat erlebt, der aber kein psychisches Wrack vorstellt, wie es bis heute im Gefolge der ersten ‚Schweden-Krimis‘ leider Usus ist. Ich würde den Roman gern empfehlen, aber ich weiß nicht, ob der Autor noch Exemplare verkauft.