Zwar ist der Erste Weltkrieg schon vor ein paar Jahren beendet worden (das Buch erschien 1924, und Buchan pflegte die Geschichten um Richard Hannay in seiner Gegenwart oder zumindest erst vor kurzem verflossenen Vergangenheit anzusiedeln), aber sein Schatten liegt noch schwer auf der britischen Gesellschaft. Das ist jedenfalls die Theorie von Dr. Greenslade. Greenslade ist Arzt und ein neuer Bekannter in derselben Gegend Südwest-Englands, die sich Richard Hannay als Ort seines Veteranen-Daseins erkoren hat. Hannay, unterdessen Sir Richard, hat nämlich Fosse Manor gekauft, den Ort, an dem seine Erkundigungen im Zuge der Ausschaltung des deutschen Spions begannen, die in Mr Standfast erzählt wurden. Es ist aber auch der Ort, an dem er Mary kennen gelernt hat, die junge Frau, die zunächst seine Verbindungsoffizierin war zum britischen Geheimdienst, in die er sich aber im Laufe der Geschichte verliebte. Unterdessen sind die beiden verheiratet und haben einen ca. anderthalbjährigen Sohn.
Obwohl er von sich selber sagt, dass er sich ins gemüseartige Dasein eines englischen Landlords zurück gezogen habe, wird er vom – nun auch aus dem aktiven Dienst geschiedenen – Leiter des Geheimdienstes noch einmal um einen Freundschaftsdienst angefragt. Es sind nämlich die Kinder von drei hochgestellten Persönlichkeiten verschwunden, und es gilt, sie aufzufinden, bevor ein bestimmter Termin abgelaufen ist.
Hier nun wird die Geschichte, die Buchan erzählt, undurchsichtig und, seien wir offen, konfus. Während zunächst Greenslades Bemerkung einen Schlüssel zur Geschichte zu bieten scheint, zeigt es sich, dass zwar ein genialer Gangster die drei Kinder mittels Hypnose in seine Macht gebracht hat – aber der Zusammenhang mit den gestörten Geistesverfassungen wird nicht klar. Die drei Entführten sind ein Undergraduate von Oxford, eine junge Frau kurz vor der Heirat mit einem französischen Baron und ein sieben- oder achtjähriger Junge. Allesamt können sie den Ersten Weltkrieg gar nicht so nahe miterlebt haben, dass ihre Geistesverfassung bedroht gewesen wäre.
Dafür wird Greenslade auf andere Art wichtig, weil die offenbar ihrer Sache sehr sicheren Gangster als Spur der Polizei einen Knittelvers geschickt haben, den Hannay bereits in ähnlicher Form vom Arzt gehört hat. Der nun erinnert sich an den Mann, der ihm den Vers vorgesungen hat: Dominick Medina. Dieser Mann ist vor kurzem erst in der englischen High Society aufgetaucht, weist aber bereits einen enormen Erfolg auf und wird gar als, wenn nicht nächster so doch übernächster, Premierminister gehandelt. Hannay beschließt, sich ihm anzunähern um herauszufinden, woher er den Knittelvers kennt. Die Annäherung gelingt zunächst, dann aber lädt Medina Hannay noch zu einem Drink bei sich zu Hause ein. Dabei versucht er nun, Hannay zu hypnotisieren. Das misslingt ihm, aber Hannay weiß nun, wer der Mastermind der Gangster ist und tut, als ob er nun ein willfähriges Instrument in den Händen Medinas sei. Warum in aller Welt Medina auf die Idee gekommen ist, ausgerechnet Hannay hypnotisieren zu wollen (außer natürlich, um dem Autor Buchan einen Gefallen zu tun), wird nicht erklärt. Genau so wenig wird zufriedenstellend erklärt, warum die eine Geisel nach Norwegen in eine Hütte an einer einsamen Küste verfrachtet wird, während eine andere als eine Art Eintänzerin in einem Nachtclub ‚arbeitet‘ und schließlich der kleine Junge mitten in London bei einer Komplizin als Mädchen verkleidet untergebracht wird.
Warum die drei überhaupt entführt wurden, bleibt ebenfalls unklar. Die Eltern haben in keinem der drei Fälle einen Erpresser-Brief erhalten. Derselbe Mastermind, der die Kinder in seiner Gewalt hat, hat ebenfalls mehrfache, über ganz Europa verteilte Schläge gegen die finanzielle Stabilität von Banken und ganzen Nationen geplant. Warum? Wir erfahren es nicht. Wir erfahren nur, dass Hannay die Kinder vor den genau koordinierten wirtschaftspolitischen Schlägen gefunden haben muss. Den Zusammenhang erklärt Buchan nicht.
Dann ist da Sandy Arbuthnot, ein Freund Hannays, den wir schon in anderen Romanen kennen gelernt haben. Noch mehr als Hannay ist er ein Meister der Verkleidung. So stellt es sich zum Schluss heraus, dass jener Mann, den Medina seinerseits als seinen ‚Meister‘ bezeichnet, niemand anderes ist als der verkleidete Arbuthnot. Es zeigt sich, dass dieser ‚Meister‘ zwei der drei Geiseln hypnotisiert hat. In Buchans Psychologie funktioniert die Anwendung von Hypnose so, dass nur der Hypnotiseur selber einen gesetzten hypnotischen Befehl wieder auflösen kann. Diese Befehle können auch die De-Facto-Auflösung der alten Persönlichkeit beinhalten. Das alles ist zwar für die Schürzung des Knotens wie auch für die Auflösung des Falles ganz praktisch; aber die Frage, warum Arbuthnot ohne Not bei den Geiselnahmen mitgewirkt hat, wird nicht gestellt.
Anders gesagt: Buchan häuft in diesem Buch Unmöglichkeit auf Unwahrscheinlichkeit, Unwahrscheinlichkeit auf Unmöglichkeit – mehr noch als in den früheren Büchern.
Seltsam genug, dass ich gerade diesen Roman am liebsten gelesen habe. Zum einen liegt das sicher daran, dass – alle Unmöglichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten einmal beiseite gesetzt – die Tatsache, dass die Geiseln zu einem bestimmten Termin gefunden sein müssen, zu einem Termin zusätzlich noch, der von den Gangstern einige Male nach vorn verschoben wird, dass dieser Umstand Tempo in die Geschichte bringt. Es bleibt für die Lesenden immer die Spannung erhalten: Wo sind die Kinder? Wird Hannay sie rechtzeitig finden?
Dann aber hat Buchan schon gleich am Anfang einen Nerv von mir getroffen, indem er zu verschiedenen Malen metatextliche Scherze einbaut. Das fängt schon vor der Seite 1 an, mit einer Art Vorwort oder Widmung To a Young Gentleman of Eton College, in dem Buchan vorgibt, von einem jungen Mann einen Brief erhalten zu haben, in dem sich dieser beklagt, sein (Buchans) letztes Buch hätte ihn enttäuscht und gelangweilt. (Nicht unmöglich: Buchan hat seine ‚shocker‘ nur zum Zeitvertreib geschrieben, daneben aber noch jede Menge ‚ernsthafter‘ Bücher veröffentlicht – zum Beispiel 1923, ein Jahr vor The Three Hostages, eine Geschichte der englischen Literatur.) Nun, dieses Mal, meint Buchan in seiner Antwort, werde er wohl nicht enttäuscht sein, denn er habe hier eine neue Geschichte von Richard Hannay. Der sei nämlich so etwas wie sein Nachbar, und er habe ihn kürzlich mit einer übel zugerichteten linken Hand angetroffen, einer Verletzung, die, wie er (Buchan) wisse, nicht aus dem Ersten Weltkrieg stammte. Auf seine Nachfrage habe ihn Hannay dann die folgende Geschichte erzählt. Die metatextlichen Scherze gehen dann auf Seite 6 weiter, als Dr. Greenslade mit Hannay über seine Vorliebe für Kriminalromane diskutiert und meint, Hannay verschwende seine Zeit damit, schließlich sei der Trick dieser ‚shocker‘ (das Wort, das Buchan für seine eigenen Romane um Hannay verwendet hat, fällt hier), dass der Autor induktiv schreibe, der Leser aber deduktiv vorgehen müsse. (Ich verwende hier nur die männliche Form, denn ich bin fast sicher, dass der Doktor nur die männliche Form gemeint hat.) Wenn ich also, fährt er fort, einen ‚shocker‘ schreiben will, werde ich zunächst mir zwei oder drei Dinge ausdenken, die ohne offensichtlichen Zusammenhang sind. Dann werde ich einen Zusammenhang hinzu erfinden, den der Leser natürlich nicht kennen kann. Greenslade fährt dann fort, indem er genau die drei Dinge nennt, die im Knittelvers der Gangster (den Hannay zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennt) enthalten sind. Da verzeihe ich dem Doktor doch glatt, dass seine Unkenrufe über die zerrütteten Geistesverfassungen der Briten nicht einmal rote Heringe waren. Und noch einmal treffen wir den Autor ‚tongue in cheek‘ (wie die Engländer sagen), als er Arbuthnot, der auf Recherche in den Nahen Osten gegangen ist, an Hannay Karten senden lässt, die er (weil Hannay nicht zugeben darf, mit Arbuthnot in Verbindung zu stehen, um Medina nicht abzuschrecken) mit Namen von Derby-Sieger unterzeichnen werde, damit Hannay dennoch wisse, von wem die Karte stammt. Die erste Karte ist dann unterschrieben mit – Buchan, wozu Hannay nur trocken bemerkt, dass rennsportliches Wissen zu Derby nicht Arbuthnots Stärke seien.
Was mir jenseits solcher Scherze ebenfalls gefallen hat, ist die Tatsache, dass Hannay in diesem Roman alles andere als der wundersame, allwissende und alles könnende Detektiv ist. Den Undergraduate zwar findet tatsächlich er in Norwegen, aber dass die beiden anderen gefunden werden, geht auf die Kappe von – Mary. Hannay war eigentlich der Ansicht, dass seine Frau aus der Geschichte herausgehalten werden sollte. Arbuthnot aber fragt Hannay einmal nebenbei, ob er Mary besuchen dürfe, schließlich habe er sie in all den Jahren noch nie gesehen. Hannay ist einverstanden. Was er nicht weiß: Arbuthnot nutzt den Besuch aus, um Mary (die ja schließlich auch einmal Geheimdienst-Mitarbeiterin gewesen ist!) ebenfalls für das Suchteam zu rekrutieren. So kommt es, das sie es ist, die sowohl die junge Frau wie das Kind findet. Es kommt noch besser: Das Kind war ja als einzige Geisel vom Medina hypnotisiert worden. Man bringt den Gangster zum Schluss der Geschichte zwar in die Gewalt des Teams, aber er weigert sich, die Hypnose zu lösen. Weder Geld noch das Versprechen, ihn danach in Freiheit zu entlassen, können seinen Entschluss ändern. Erst Mary erkennt die einzige Schwäche Medinas: seine Eitelkeit. Medina bildet sich nicht nur auf seine geistigen Fähigkeiten sehr viel ein, sondern auch auf sein Aussehen. Mary zieht eine kleines Fläschchen aus ihrer Handtasche und verspricht Medina, die darin enthaltene Säure auf sein Gesicht zu spritzen. Eingeschüchtert, ja verängstigt, gibt Medina nach. Ein weiterer metatextlicher Scherz Buchans, der sich hier doch ziemlich eindeutig auf eine entsprechende Kurzgeschichte mit Sherlock Holmes bezieht? Wohl möglich. (Wobei in Marys Fläschchen dann nur Parfüm war.) Jedenfalls hätte Hannay, der sich doch einiges darauf einbildete, seine Frau mit der Geschichte verschonen zu wollen, hier ohne sie keinen Erfolg gehabt. Und als er zum Schluss, von Medina noch einmal verfolgt und angeschossen, auf einem Berggipfel in Schottland ohnmächtig zusammenbricht, ist es abermals Mary, die ihn findet und zusammen mit einem Führer wieder ins Tal bringt. – War sich Buchan der emanzipatorischen Note, die er diesem Roman gab, bewusst? Ich weiß es nicht.
Summa summarum zeigt dieses Buch, das selbst ein hanebüchener Plot zu einem interessanten Leseerlebnis werden kann.