Wolf von Niebelschütz: Ein Geisterfrühstück

Links, in violett, die Zeichnung einer Renaissance-Fassade mit Säulen und Torbögen, rechts ist diese Fassade mit grünlich-gelbem Nebel verschleiert. Über / vor der Fassade schwebt links eine Büste, könnte ein Frauenkopf sein. Rechts ist auf zwei Zeilen in weiß der Anfang des Untertitels eingefügt: "Impressionen & // Divertimenti".- Ausschnitt aus dem für die "Andere Bibliothek" typischen bedruckten Kartonschuber. (Gemäß Verlagsangaben: Einbandmotiv unter Verwendung des Gemäldes "Les hasards heureux de l'escarpolette" von Jean-Honoré Fragonard und einer Illustration aus dem Buch "Perspectiva pictorum et architectorum" von Andrea Pozzo. © Wikimedia)

Wolf von Niebelschütz’ Namen zu kennen, bedeutet, sich auch einmal auf weniger befahrene Geleise der deutschen Literatur gewagt zu haben. Dass es sich um ein Nebengeleis handelt, liegt wiederum weniger an der Tatsache, dass Niebelschütz verhältnismäßig jung starb (mit gerade mal 47 Jahren). Die beiden Romane, die er zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht hatte, Der blaue Kammerherr und Die Kinder der Finsternis waren von Anfang an Geheimtipps, weil der Autor sich so gar nicht um die Gepflogenheiten der damals gerade modernen Literatur kümmerte. Der blaue Kammerherr zum Beispiel spielt nicht nur in einem fiktiven barock-griechisch/klassisch-phantastischen Setting, er verwendet auch eine barock angehauchte Sprache. Man könnte Niebelschütz in einem schlechten Wortspiel als ‚postmodern avant la lettre‘ bezeichnen, aber das wird seiner durch und durch konservativen Poetik auch wieder nicht gerecht.

Vor mir liegt einer der neuesten Bände der Anderen Bibliothek. Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Wolfgang Benda finden wir hier mehrere von Niebelschütz selber noch fein säuberlich zusammen gebundene Bände von Typoskripten zusammen veröffentlicht, dazu ein paar Übersetzungen und ein Faksimile eigener Dichtung. Über die Andere Bibliothek brauche ich, denke ich mal, keine Worte mehr zu verlieren. Sie hat ihre große bibliophile Zeit längst hinter sich, und dieser Band mit Werken von Niebelschütz gehört zu den wenigen inhaltlichen Trouvaillen, die sie noch bietet. (Ich meine: Wenn alles, was man an spezieller Buchgestaltung noch zu bieten hat, die Tatsache ist, dass man ein Guillemet, das sich zufällig am Anfang einer Zeile befindet, unmittelbar außerhalb, d.h. an den Rand des übrigen Satzspiegels setzt, und die Seitenzahlen mit Gedankenstrich und Bindestrich garniert (so nämlich: — – 271 – —), dann sollte man vielleicht noch einmal über die ursprüngliche Berufung der Reihe nachdenken …)

Inhaltlich handelt es sich offenbar um Texte, die sich im persönlichen Besitz des Herausgebers befinden. Daraus ergibt sich, dass die Zusammenstellung etwas beliebig wirkt, ohne durchgehenden roten Faden. Niebelschütz selber hat versucht, einige seiner fürs Feuilleton geschriebenen Essays zu versammeln und diese Sammlung mit Divertimenti überschrieben, eine weitere solche Sammlung enthält Essays, die Niebelschütz verfasste, als er im Zweiten Weltkrieg als Soldat in Frankreich war. Letztere sind keineswegs Reiseberichte und auch der Krieg kommt darin nicht vor – man erhält unter dem Lesen den Eindruck, dass hier ein Kunst- und Literaturhistoriker auf einer Bildungsreise unterwegs ist. So findet man Aufsätze zu Stendhal, Mme de Staël oder Balzac ebenso wie zum Baskischen Menschen. Variationen schließlich, der letzte Band von Essays, enthält Auslassungen über die Provence ebenso wie über den Barock oder Goethe oder auch den relativ unbekannten Maler Jean-Honoré Fragonard.

Die Essays vermitteln uns ein gutes Bild der – sehr konservativen – Poetik Niebelschütz’. Seiner Meinung nach ist das Genie wichtiger Bestandteil künstlerischen Schaffens, und er vertritt die Meinung, dass man als Rezipient:in nie das ganze Kunstwerk zu verstehen vermag – es bleibt gewissermaßen ein Rest, der bei der Division nicht aufgeht. Das ist dann eben die Tiefe eines Kunstwerks. Alle seine Essays sind in einer sehr musikalischen und schönen Sprache niedergeschrieben, was rechtfertigt, dass er viele davon als Plauderei bezeichnet hat. Jedem und jeder Bibliophilen aus dem Herz gesprochen ist sicher sein Text Schreiben eines Fürsten an seine Bücher, die er verließ, um zur Armee zu stoßen. Der Fürst ist ganz einfach der Besitzer der Bibliothek und es geht auch darum, dass gewisse Lieblinge des Fürsten in Leder gebunden werden, währen die anderen Untertanen in einfacheren Gewändern daher kommen müssen – ganz einfach, weil der Fürst zu wenig Geld hat, alle in Leder binden zu lassen. Niebelschütz erweist sich hier als Kenner sowohl der Buchbindekunst wie des Buchdrucks – ein echter Bibliophiler also.

Diesen ersten Teil des Buchs kann ich auch uneingeschränkt empfehlen. Selbst wenn man poetologisch bzw. literaturinterpretatorisch nicht Niebelschütz’ Meinung ist – seine Sprache gefällt, ja reißt mit, und seine Gedanken sind zumindest interessant.

Dann folgt der Teil mit den Übertragungen – alle aus dem Französischen, die meisten davon Gedichte des Romantikers Alfred de Musset. Mag sein, es lag auch an den Originalen (ich habe sie nicht nachgeschlagen), aber Niebelschütz’ Stärke scheint mir nicht im Lyrischen zu liegen – auch und gerade weil man seine Prosa durchaus als ‚lyrisch‘ bezeichnen könnte. Das zeigt sich auch in der von Niebelschütz selber mit Feder und Tinte, in Schönschrift, zusammengestellten Kollektion eigener Gedichte: Sterben im Gedicht. Nicht, dass sie ganz schlecht wären, aber sie sprechen (zumindest mich) nicht an und können (mir) auch nicht durch ihre Form gefallen.

Im Anhang dann viele Wort- und Sacherklärungen, was (fast) immer gut ist, aber auch zeigt, wie weit Niebelschütz, obwohl in der Mitte des 20. Jahrhunderts schreibend, von eben diesem und dem damaligen wie heutigen Publikum entfernt war und ist. Dass sich Benda gern en passant auf Wolfgang Hildesheimer bezieht, ist wohl eher persönliche Idiosynkrasie des Herausgebers denn philologische Notwendigkeit.

Summa summarum: Der eine oder andere Text ist bereits in – meist bibliophilen – Kleinausgaben erschienen. Dass sie hier in der bekannten Reihe der Anderen Bibliothek noch einmal oder zum ersten Mal erscheinen, trägt hoffentlich dazu bei, den Romancier Niebelschütz im Gedächtnis der Lesegemeinde wieder nach vorne zu schieben. Verdient hätte es der Autor.


Wolf von Niebelschütz: Ein Geisterfrühstück. Divertimenti & Impressionen, Variationen & Übertragungen – nebst einem Faksimile mit Gedichten des Autors. Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Wolfram Benda, im Februar 2024 als vierhundertsechzigster Band der Anderen Bibilothek erschienen, nämlich in Berlin.

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