Wolfgang Martynkewicz: Das Café der trunkenen Philosophen

Aufgedruckt auf roter Leinwand, deren Struktur gut erkennbar ist, die runde Marmorplatte eines typischen Caféhaus-Tischchens. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Bei Wolfgang Martynkewicz handelt es sich um einen äußerst fruchtbaren Autor von Sachbüchern und Biografien im … sagen wir mal: geistesgeschichtlichen Bereich. Drei Rowohlt-Monographien (Gott hab’ sie selig) stammen von ihm, je eine zu Arno Schmidt, zu Jane Austen und zu Edgar Allan Poe. Der Gedanke, dass der Baden-Badener Sanatoriumsleiter Georg Groddek mit seinen Vorträgen vor Patient:innen zu einem Vorbild des Assistenzarztes in Thomas Manns Zauberberg gewesen sein könnte, stammt meines Wissens ebenfalls von ihm. Dazu kommen verschiedene Sachbücher, die sich vor allem mit der Lage der Literatur und der Geisteswissenschaften im Deutschland der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigen. Ein ebensolches haben wir nun auch mit Das Café der trunkenen Philosophen vor uns. Ursprünglich 2022 beim Aufbau-Verlag erschienen (vor mir liegt die Lizenzausgabe der Büchergilde von 2023), ist es bereits nicht mehr das Neueste aus seiner Tastatur.

Der Titel ist offenbar angelehnt an Sarah Bakewells Café der Existenzialisten von 2016. Allerdings spielt das Café Laumer im Frankfurter Westend eine relativ kleine Rolle und trunken waren die Philosophen bestenfalls vom je eigenen Wortschwall. Abgesehen davon, dass selbst die Bezeichnung Philosoph ungenau ist, denn nicht alle der hier Vorgestellten verstanden sich als Philosophen im engeren oder auch nur weitesten Sinn.

In einer Art Mehrfach-Biografie werden in diesem Buch die wichtigen Dozierenden und Studierenden des Instituts für Sozialforschung vorgestellt, aus der Zeit, als Max Horkheimer dessen Leitung übernahm bis zum Moment, als praktisch alle führenden Mitglieder und Associé(e)s ins Exil gegangen waren. Daneben wird mit dem Theologen Paul Tillich eine weitere, für die damals an der noch jungen Frankfurter Universität herrschende Atmosphäre wichtige Figur ebenfalls häufig erwähnt. Aber im Großen und Ganzen haben wir hier vor uns, was man ein Jahrhundert später eine „Blase“ oder „Bubble“ nennen sollte. Die Mitglieder der Gruppe waren zwar keineswegs ein Herz und eine Seele, aber in vieler Hinsicht nahmen sie die Außenwelt nicht so wirklich wahr. Sie verstanden sich als eine Elite, die eine neue Art von Wissenschaft einführen wollte, jenseits und über der Philosophie, ja sogar der Soziologie (die sie höher stellten als die Philosophie). Das führte dazu, dass sie praktisch nur in der eigenen Suppe köchelten. Philosophisch wurde gerade einmal Heidegger zur Kenntnis genommen, um den zu jener Zeit nun wirklich niemand herum kam – von nicht-deutscher Philosophie ganz am Rande Bergson, aus England oder den USA gar nichts. Ähnliches gilt auch für die Soziologie. Im Grunde genommen war die Vorgehensweise der Frankfurter nichts anderes als eine Anwendung einer marxistischen Gesellschaftstheorie auf ausgewählte Beispiele. Als sich Horkheimer, Pollock, Adorno & Co. dann im US-amerikanischen Exil an die dortige Form soziologischer Forschung umgewöhnen mussten, war das für sie zunächst ein Schock.

Auch Adornos Musiktheorie, zum Beispiel seine ursprünglichen Ausführungen zum Jazz, zeichnete sich in Frankfurt vor allem dadurch aus, dass der Verfasser jenseits von Berg und Schönberg, seinen Lehrern, kaum etwas kannte bzw. akzeptierte und den Jazz gleichsetzte mit dessen weichgespülter Orchester-Version des Swing – die einzige Form der Jazz-Musik, die den Weg nach Deutschland gefunden hatte –, da er sich nicht die Mühe nahm einer Quellenforschung (horribile dictu: vielleicht gar vor Ort!). Andererseits gehörten die Mitglieder der Frankfurter Schule, wenn ich das richtig sehe, zu den ersten, die in Charlie Chaplins Figur des Tramp mehr sahen als einen Dummen August.

Seinen Diktator allerdings mochten sie nicht, sie hielten den Film für eine Verharmlosung Hitlers – was um so seltsamer anmutet, als ihre eigene Einstellung zur Person Hitlers keineswegs vor Verharmlosungen gefeit war. Meiner Meinung nach noch schlimmer als das Köcheln in der eigenen philosophischen, soziologischen oder musiktheoretischen Suppe war die Naivität, mit der diese Gruppe ursprünglich dem Nationalsozialismus und vor allem auch Adolf Hitler begegnete. Noch 1933 ging man völlig unbefangen zu Maskenbällen, die von bekannten Mitgliedern der NSDAP organisiert worden waren und fand auch nichts dabei, wenn der Gastgeber sich als Braunhemd verkleidete. Theodor Wiesengrund war lange der Meinung, dass er, der Sohn der berühmten Sängerin Adorno, keine Probleme haben und sich zumindest als Privatgelehrter weiter in Deutschland aufhalten könnte. Und noch im Exil in den USA äußerten sich einige der Mitglieder der Frankfurter Schule dahingehend, dass Hitler ja nur die Fehler der Weimarer Republik korrigieren werde und sich danach zurück ziehen würde.

Auffallend auch: Die Gruppe um Horkheimer und Adorno war sehr patriarchalisch organisiert. Nicht, dass man die Frauen aktiv unterdrückte, aber dass sie mehr sein könnten als Gehilfinnen, die ihrem Gatten Material zuschaufeln, kam keinem in den Sinn. Weshalb denn auch Hannah Arendt nie richtigen Kontakt zur Frankfurter Schule fand. (So wenig wie nebenbei, Katia Mann, als Horkheimer in Kalifornien praktisch zum Nachbarn geworden war. Erika und Klaus waren da positiver eingestellt, ohne sich jedoch der Gruppe näher anzuschließen. Thomas schließlich trickste Adorno aus und erhielt wichtige Informationen zur Zwölfton-Musik, die er für seinen Doktor Faustus verwendete – zunächst sogar, ohne seinen Informanten zu nennen.)

Alles in allem mehr Biografie als Sachbuch. Wir erfahren recht wenig über die genauen theoretischen (ob nun philosophischen oder soziologischen) Standpunkte der einzelnen Mitglieder oder gar, worin nun deren (durchaus vorhandenen) Differenzen bestanden. Hingegen erfahren wir sehr viel über die persönlichen Affinitäten und Animositäten der jeweiligen Personen. Dennoch ist das Buch durchaus zu empfehlen, weil wir darin, flüssig, ja süffig, geschrieben, einen Teilaspekt jenes Übergangs von den Roaring Twenties (in der sich die ganze Clique zu Beginn des Buchs ja noch befindet, auch wenn wir schon 1930 schreiben) in die düstere Zeit des Nationalsozialismus vor Augen geführt erhalten. Und dies, ohne dass der Autor allzu häufig mit dem mahnenden Zeigefinger wackelt oder gar – die Versuchung war sicher ziemlich groß – Schlüsse auf die heutige Situation Deutschlands zieht.

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 3

1 Reply to “Wolfgang Martynkewicz: Das Café der trunkenen Philosophen”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert