Ruth Weiss: Miss Moore und die Stolpersteine

Links und rechts zwei weiße Streifen. Durch Bäume hindurch fotografiert das Bild einer nebligen Waldlichtung. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Miss Moores zweiter Fall. Dieses Mal reist sie von England nach Deutschland, wo sie im kleinen Städtchen Burghofen zu einer Stolpersteinlegung eingeladen wurde. Sie reist mit zwei englischen Historikerinnen, einer Universitätsprofessorin und einer Studentin, die zu diesem Thema forschen. Schon bald zeigt es sich, dass nicht alle Einwohner Burghofens der Stolpersteinlegung positiv gegenüber stehen. Gefühlt die Hälfte findet, man solle die Vergangenheit endlich ruhen lassen, ein paar äußern sich sogar offen juden- und fremdenfeindlich. Die Situation eskaliert, und dann ereignet sich ein Mord. Nun, Miss Moore wäre nicht Miss Moore, wenn es ihr nicht gelänge, die Täterschaft zu überführen.

Wie schon im ersten Krimi mit Miss Moore, Miss Moores Geburtstag, verwebt die Autorin Ruth Weiss mit der eigentlichen Krimi-Handlung auch viel aus der deutschen Geschichte, genau gesagt: aus der Zeit des Nationalsozialismus. Und wie schon im ersten Krimi zeigt sie, dass diese Vergangenheit keineswegs aufgearbeitet worden ist, sondern unter der Oberfläche einer heilen Welt weiter schwelt. Söhne und Töchter, Enkel und Enkelinnen sind nach wie vor betroffen – auf beiden Seiten. Noch immer suchen die jüdischen Nachkommen Gerechtigkeit, die über eine Stolpersteinlegung hinausgeht und noch immer sind die Nachkommen der Täter damit beschäftigt, die Verbrechen der Nazi-Zeit unter den Teppich zu kehren. Es ist ein Gesetz in Ruth Weiss’ Krimi-Universum, dass Verbrechen weitere Verbrechen nach sich ziehen: Die Nachkommen der Täter sehen keine andere Möglichkeit, die alten Taten zu verwischen, als sie mit neuen Taten zu überdecken. Es ist die Perversion des alttestamentarischen „Auge um Auge, Zahn und Zahn“, die wir hier finden.

Wie schon im ersten Krimi beziehen wir Lesenden einen Teil der Spannung aus alten Dokumenten, wie zum Beispiel Tagebüchern, die als Intermezzo in die eigentliche Story eingefügt werden. Und gerade diese Intermezzi lehren uns viel über die jüdische Geschichte, über den jüdischen Alltag unmittelbar nach der Machtübergabe an die Nazis. Ich mag sonst diese belehrenden Romane nicht unbedingt, aber Ruth Weiss gelingt es ohne moralinsauer erhobenen Zeigefinger.

Auch der zweite Roman wurde dieses Jahr zur Feier des 100. Geburtstags von Ruth Weiss, den sie am 26. Juli 2024 feiern konnte, vom Verlag Edition AV in Bodenburg neu aufgelegt. Die Erstausgabe ist 2017 im Hamburger CulturBooks Verlag erschienen. Die Gegenwart des Romans ist das Jahr 2006 – ich vermute, dass der Roman auch um diese Zeit herum geschrieben wurde und es einige Zeit dauerte, bis ein Verlag dafür gefunden worden war. Es ist schade, dass ein Roman wie dieser kaum Beachtung gefunden hat (Wikipedia listet ihn gar nicht erst unter Ruth Weiss’ Werken). Natürlich sind gewisse Dinge in den 20 Jahren seit der Abfassung des Romans veraltet: Dabei denke ich weniger ans Internet, wie es verwendet wird; aber dass einer der Bösewichte ein Bösewicht wird, um er seine Verbindungen zu rechtsradikalen Kreisen in Deutschland zu verbergen, weil ihm ein Bekanntwerden beruflich schaden könnte, berührt heute eher seltsam. Er ist nämlich von Berufs wegen Berater der – republikanischen Partei in den USA, und die Weltgeschichte hat sich unterdessen leider in die Richtung entwickelt, dass ihm heute rechtsradikale Verbindungen in einem solchen Job eher nützen denn schaden würden …


Wir danken dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

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