Ruth Weiss: Miss Moores Geburtstag

Links und rechts zwei weiße Streifen. Auf einem roten Tisch vor schwarzem Hintergrund ist links eine Pralinenschachtel und darauf eine Tafel dunkle Schokolade, rechts davon ein schneeweißer Kuchen mit drei Kerzen darauf. Das Bild ist eindeutig computer-generiert. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Nicht nur Miss Moore feiert Geburtstag, auch die Autorin Ruth Weiss feierte vor kurzem erst (am 26. Juli) ihren Geburtstag. Noch dazu einen runden. Einen ganz, ganz runden. Ihren 100. nämlich. Und das nicht etwa nur auf dem Papier – sie lebt noch frisch und munter, ist meines Wissens sogar zur Feier des Tages extra nach Fürth gefahren, ihrer Geburtsstadt. Als jüdische Familie verließen 1938 ihre Mutter zusammen mit den beiden Töchtern Fürth. Sie emigrierten nach Südafrika, wo der Vater bereits ein Lebensmittelgeschäft aufgebaut hatte. Später, als Journalistin, bekam sie Probleme mit der Apartheid-Regierung, ebenso später mit der weißen Regierung Rhodesiens. Ihr Leben lang also setzte sie sich für die Rechte Unterdrückter ein.

Später, als sie in Rente war, begann sie damit, Romane zu verfassen. Darunter sind auch drei Kriminalromane mit Miss Moore in der Hauptrolle. Vorliegender ist der erste der Serie. Miss Moore ist ehemalige Agentin des britischen Geheimdienstes, nunmehr in Rente. Sie ist bereits um die 80 Jahre alt, aber körperlich und geistig immer noch fit. (Der Roman spielt Juni 2005; die Protagonistin ist also ziemlich genau im selben Alter wie ihre Autorin.)

Ruth Weiss verwendet für ihre Geschichte drei Erzählebenen. Da ist die Gegenwart der Miss Moore, an der Südküste Englands. In dieser Gegenwart wird Miss Moore von ihrem ehemaligen Vorgesetzten im Geheimdienst gefragt, ob sie ihm einen Gefallen tun könnte. Es tummelt sich nämlich in ihrer Gegend ein Heiratsschwindler, der vermögenden Witwen jüdischen Glaubens Geld abknöpft und dann verschwindet. Eine Frau wurde gar umgebracht. Diesen Mord sollte aber Miss Moore nicht untersuchen. Dieser Teil der Geschichte, wie Miss Moore dem Heiratsschwindler auf die Schlichte kommt und damit zugleich den Mordfall löst, wird geradlinig erzählt.

Wenn man nun den Eindruck erhalten hat, hier eine Art verspäteten Cosy Crime à la Christie erhalten zu haben (der Roman wurde zum ersten Mal 2008 veröffentlicht), täuscht man sich. Denn wir haben zwei weitere Erzählebenen, die zum Schluss in die Hauptgeschichte münden. Bei beiden handelt es sich um Tagebücher. Die eine Erzählung findet in der Gegenwart von Miss Moore statt, aber in Berlin, und wird von einer frustrierten, ja enttäuschten Ehefrau geschrieben. Diese Frau realisiert, dass sie sich in eine toxische Beziehung hat ziehen lassen. Dass sie zum Schluss daraus ausbricht, wird mit dazu beitragen, den Mörder und Heiratsschwindler zu entlarven.

Das andere Tagebuch wurde in den 1950ern geschrieben und erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der kurz vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten in Deutschland seine Kindheit erlebt hat. Im Laufe der Niederschrift wird klar, dass es sich um einen jungen Juden handelt. Er beschreibt die zunehmenden Repressalien genau so, wie sie auch von einer anderen Augenzeugin, Käthe Löwenthal, in ihrer Autobiografie geschildert worden sind. Nur, dass er ins KZ geriet.

Diese zweite Zeitebene, das Dritte Reich und der Zweite Weltkrieg, ist im ganzen Roman immer wieder präsent – auch Miss Moore erinnert sich während ihrer Nachforschungen immer wieder an die Zeit, als sie für den britischen Geheimdienst hinter der Front die Arbeit der französischen Résistance organisieren half und dabei von den Deutschen enttarnt und gefoltert wurde. Die beiden Tagebücher münden dann in den Hauptplot, indem hier der Zusammenhang mit den Ereignissen in Südengland hergestellt wird – natürlich von Miss Moore. Das ist spannende, beste Unterhaltung.

Unterhaltung mit Tiefgang, denn wir haben den (durchaus gelungenen!) Versuch vor uns, mit Hilfe einer Kriminalgeschichte das Publikum zu ermahnen, die Zeit des Nationalsozialismus nicht zu vergessen oder zu verharmlosen, was damals den Juden angetan wurde. Diese Ermahnung kommt sanft und leise genug daher, dass man – selbst wenn man die Absicht merkt – nicht verstimmt ist. Dennoch ist sie eindringlich genug, dass man das Buch nach der Lektüre nachdenklich zur Seite legt. Der Plot mit seinen Verschachtelungen und die Auflösung sind interessant und spannend. Sie können einen bei der Stange zu halten. Insofern ist der Roman sehr gut gelungen.

Wer jetzt den Krimi lesen will, ohne die Auflösung zu kennen, sollte hier die Lektüre dieses Aperçu abbrechen.

Mein einziger Kritikpunkt – der eigentlich auch keiner ist und nicht einmal das Buch trifft, sondern ein Neben- und Zusatzgedanke ist, der zu Stande gekommen ist, weil mir die Problematik der im Roman als Raubkunst bezeichneten Thematik, bzw. der Provienienzforschung in den letzten Monaten vermehrt aufgestoßen ist in der Realität. Deshalb würde ich als Raubkunst etwas anderes bezeichnen als das, was hier die Schlüsselrolle des Plots einnimmt, nämlich den Juden im Dritten Reich geraubte Kunst. Geraubt im eigentlichen, brutalen Sinn oder auch in einem übertragenen, wenn man damit meint, dass die wohlhabenden jüdischen Bevölkerungsteile Deutschlands zur Finanzierung ihrer Flucht gezwungen waren, ihre Kunstsammlungen zu Spottpreisen zu veräußern.

Im Roman geht es ebenfalls um die Kunstsammlung eines gut situierten Juden der Weimarer Republik. Diese aber ist im Dritten Reich nicht in die Hände der Nationalsozialisten gelangt; hingegen kam auch der Besitzer nicht dazu, sie zu verkaufen, weil er vorher im KZ endete. Tatsächlich hatte er sie in einem geheimen Anbau seines Kellers versteckt. Erst der Sohn des Mannes, der dafür gesorgt hatte, dass der Jude verhaftet wurde, und dafür seine Villa in Anspruch nahm – erst der Sohn also entdeckte bei einem Umbau das Versteck. Er – ähnlich skrupellos wie sein Vater – fand heraus, dass der Besitzer verstorben war, aber eine Tochter hinterlassen hatte. Er war der Meinung, dass sie heute (d.i.: 2005) eine reiche, unverheiratete Jüdin sei – deshalb die Angriffe eines Heiratsschwindlers, die nur der Tarnung dienten. Das ist spannend und wird spannend erzählt, aber als Raubkunst-Problem würde ich – zumindest heute – etwas anderes, schwieriger Greifbares bezeichnen.

Gerade hierzulande kämpfen im Moment prominente Kunstmuseen mit dem Problem der Raubkunst. Da ist zum Beispiel das Kunsthaus in Zürich, das eine große permanente Ausstellung vorweist mit Bildern der so genannten Bührle-Stiftung. Bührle war ein stramm rechts gesinnter Waffenfabrikant und Kunstsammler in der Zeit des Dritten Reichs (ja, die gab es auch in der Schweiz). Viele der von ihm gekauften Bilder stehen unter dem Verdacht der Raubkunst – will sagen: Sie waren ihren jüdischen Besitzern weit unter ihrem Wert abgekauft worden, weil diese irgendwie ihre Flucht finanzieren wollten (weshalb man auch den Begriff „Fluchtgut“ dafür verwendet). Oder dann wurden sie gleich von den Nazit konfisziert. Eine erste Provenienz-Forschung, durchgeführt von der Stiftung selber, kam zum Resultat, dass praktisch alle Bilder Bührles von dieser Problematik nicht betroffen waren. Allerdings scheint es, als ob man sich darauf beschränkt hatte, die unmittelbaren Verkäufer zu ermitteln – von wem und warum diese die Bilder hatten, wurde nicht untersucht. Aktuell läuft meines Wissens eine weitere Forschungsmission. Einige der Bilder aus der Sammlung Bührles sind unterdessen im Museum abgehängt worden. Dies darzustellen, ist natürlich weniger spektakulär als der Mord an einer älteren Dame jüdischer Herkunft in Südengland. Auch diente ein Kriminalfall mit Mord sicherlich dem geheimen Zweck des Romans, der Sensibilisierung für immer noch existierenden Juden- und Fremdenhass besser als das doch eher intellektuelle Thema der eigentlichen Raubkunst.

Summa summarum aber darf ich sagen: Weiss’ Roman behandelt ein gesellschaftspolitisch gerade wieder wichtiger werdendes Thema, und liest sich dabei spannend und belehrend zugleich. Etwas, das andere der Autorin erst nachmachen müssen. Weiss behandelt in ihrem Roman nicht nur einen simplen Mordfall; ihre Kriminalfälle sind immer auch in die deutsche Geschichte, also die Zeit des Nationalsozialismus, eingebettet und eine eindringliche Warnung davor, diese Epoche zu vergessen oder verdrängen. Die Täter von damals sind nach wie vor unter uns, und sei es auch als nächste oder übernächste Generation.


Ruth Weiss: Miss Moores Geburtstag. Bodenburg: Verlag Edition AV, 2024. [Erstauflage: Verlag trafo, 2008.]

Wir danken dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

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