Friedrich Gottlieb Klopstock: Der Messias

Goldprägung in Zierschrift in Versalien auf lila Leineneinband die drei Buchstaben FGK. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Im Folgenden möchte ich über Klopstocks Messias vor allem unter zwei Gesichtspunkten sprechen. Da ist zunächst der literaturgeschichtliche, sprich die Frage nach der Einordnung dieses Epos in seiner Relevanz für die deutsche Literatur seiner Zeit. Dann ist die andere Frage, was uns Der Messias heute noch sagen kann, sprich, warum wir dieses Epos heute noch lesen sollten oder zumindest könnten. Denn es steht außer Frage, dass es heute als unlesbar und langweilig gilt. Aber ist dem so?

Nun denn:

1. Klopstocks Messias in seiner Zeit

1749 erschienen die ersten drei Gesänge des Messias, 1773 die letzten. Doch auch danach sollte Klopstock weiter an seinem Großwerk feilen, praktisch bis kurz vor seinem Tod 1803. Bezeichnend ist es, dass er nicht nur eine Ausgabe letzter Hand des Epos vorlegte, sondern eine noch darauf folgende Überarbeitung als Ausgabe des letzten Fingers veröffentlichte. Man kann Klopstock einen gewissen Humor nicht absprechen.

Die Epoche, in der Klopstock lebte und veröffentlichte, war auch die Zeit, in der die deutsche Literatur sich zu finden begann, sich zu erfinden begann, bzw. wenn wir an die mittelalterlichen Epen denken, die auch zu Klopstocks Zeit wieder entdeckt wurden: Die deutsche Literatur begann sich wieder zu erfinden. Teil dieses Prozesses der Wiederfindung war auch der Streit darum, welche Form der deutschen Sprache die in Deutschland allgemein gültige werden sollte. Nachdem im Drama zunächst die französische Klassik (Corneille und Racine) als Vorbilder erkoren worden waren und im Epos Vergil und Homer, brach schon bald ein Streit aus um die Art und Weise, wie diese Ausländer übersetzt werden sollten. Es ging zunächst einmal um das zu verwendende Versmaß. Opitz hatte festgehalten, dass im Deutschen nur Jamben möglich wären. Gottsched und sein Gefolge akzeptierten Opitz’ Diktum als Gesetz. Klopstock war aber hierin den Süddeutschen (Bodmer, Breitinger, Wieland) verpflichtet. Der Messias wurde deshalb auch zu einer Demonstration dessen, dass die deutsche Sprache durchaus in der Lage war, Hexameter zu bilden wie die lateinische oder altgriechische. Voß würde später Klopstocks Epos in Form und Inhalt in der Luft zerreißen – aber Voß zerriss alle Verse, die er nicht selbst gestrickt hatte.

Natürlich hatte auch Klopstock Vorbilder. Neben Homer, dem er zwar nicht inhaltlich, aber im Versmaß folgte, ist da zunächst ganz sicher Miltons Paradise Lost zu nennen. Vor allem die Gestaltung der Teufel bei Klopstock wäre ohne den Engländer nicht in der vorliegenden Weise möglich gewesen. Das einzige christliche ‚Epos‘ vor Klopstock allerdings (der Begriff ist hier bitte cum grano salis zu nehmen), nämlich Dantes Göttliche Komödie, ist selbst für die Teufel, selbst für die Hölle, wohl kaum beachtet worden, zu scholastisch-theologisch war dessen Inhalt. Die Auferstehung Christi und die Vision des Jüngsten Gerichts kennen kein Vorbild, auch wenn Klopstocks Himmel nach der damals gültigen heliozentrischen Theorie von Kopernikus und Kepler gebildet ist.

Tatsächlich empfanden seine Zeitgenossen den Messias vor allem als literarischen Befreiungsschlag aus den Fesseln einer sklavischen Einhaltung alter Regeln. Daneben traf Klopstock aber auch den deutschen Zeitgeist aufs Genaueste. Was man schon bald „Empfindsamkeit“ nennen sollte, diese Mischung aus Pietismus und Aufklärung, lag damals so sehr in der Luft, dass noch Goethe, noch im Wilhelm Meister, sich ihrer nicht entledigen konnte. Teil der literarischen Befreiung war auch, dass Klopstock als einer der ersten nicht mehr ein Thema behandelte, das der antiken Mythologie entnommen war, sondern sich auf jene Geschichten bezog, die – zumindest damals – noch weitestgehend das tägliche Leben bestimmten: die Evangelien (denen er für den allgemeinen Ablauf seiner Erzählung ziemlich genau folgte) und damit Christus und das christliche Leben, wie es eben gerade in der Strömung des Pietismus eine Art ‚Revival‘ erlebte.

2. Klopstocks Messias heute

Gerade der Umstand aber, dass Klopstock den Zeitgeist so gut getroffen hatte, stand schon bald – und steht bis heute – einer Rezeption im Weg. Die Werke der Empfindsamkeit wirken heute eher larmoyant und langweilig. Diesem Urteil ist auch Der Messias nicht entgangen.

Tatsächlich ist für Leute, die gern ‚Action‘ in ihren Büchern finden, Klopstocks Epos denkbar ungeeignet. Der Großteil des Messias besteht aus Dialogen – teilweise wird uns sogar das bisschen Handlung, das stattfindet, nicht direkt erzählt sondern eben im Dialog zweier daneben stehender Figuren vorgestellt. Das irritiert heutige Lesende, obwohl Klopstock damit wohl eher ein bisschen Leben und Abwechslung in den Text bringen wollte und auch die Authentizität der Ereignisse betonen, die er so schildert – es gibt ja schließlich Augenzeugen!

Die Verlagerung der Handlung in den Dialog kaschiert zusätzlich ein bisschen Klopstocks Unfähigkeit (oder Unwillen?) einer psychologischen Figurenführung. Dieser Unwille ist natürlich auch aus der Zeit bedingt. Er zeigt sich vor allem bei den ‚Bösewichten‘ der Erzählung. Wenn der ja eigentlich ‚gute‘ Petrus seinen Herrn drei Mal verrät und darob verzweifelt, gelingt es Klopstock noch halbwegs, diese Verzweiflung glaubhaft darzustellen. Die Motive des Judas für seinen Verrat aber, oder die Motive, die ihn nachher zum Selbstmord führen, sind kaum oder nur plakativ ausgeführt.

Eine Figur allerdings sticht aus der Masse heraus – ein Teufel. (Auch bei Klopstock ist es ähnlich wie bei Milton so, dass die Teufel im Durchschnitt bedeutend interessanter dargestellt sind als die himmlischen Heerscharen.) Er heißt Abbadona. Andernorts figuriert unter diesem Namen einer der schlimmsten Teufel, bei Klopstock ist es eher ein armer Teufel. Denn es ist einer, der einzige von allen, der seinen Abfall bereut. In verschiedenen Gesängen treffen wir auf ihn, wie er sehnsüchtig von weitem um Jesus herumschleicht, ja sogar mit den Schutzengeln der zukünftigen Apostel ein paar Worte wechselt, in denen er auch seinem Kummer um den eigenen Abfall Ausdruck gibt. Lange Zeit sieht es so aus, als müsste Abbadona ewig mit diesem Kummer leben, aber im letzten Moment wird er vom himmlischen Thron aus mit den Worten Komm, Abbadona, zu deinem Erbarmer! in den Himmel zurück gerufen. (Das hat, nebenbei, nur ganz am Rand mit der Lehre des Origines zu tun, der ja bekanntlich allen Teufeln und Dämonen eine Erlösung und Wiederaufnahme in die himmlischen Heerscharen zuerkannte. Bei Klopstock bildet Abbadona die Ausnahme von der Regel der Verdammung. Er wird denn auch nur begnadigt, weil er, völlig untypisch für einen echten Teufel, bereut.)

Zusammengefasst behaupte ich, dass Der Messias zumindest partiell durchaus auch heute noch interessant sein kann. Das Rankenwerk an Figuren, die weniger handeln und mehr kommentieren ist nicht ohne Witz gebildet. Dass vor allem im zweiten Teil des Epos sämtliche Dimensionen vermischt werden, macht Klopstock sogar zu einer Art Vorläufer moderner Science Fiction.

Und da ist – last but not least – der Zwanzigste Gesang: Der letzte Gesang besteht aus einer in die Himmelfahrt Jesu zum Thron des Vaters einbezogenen Folge von Liedern, die an die Psalmen erinnern. Scharen Erstandner schweben mit dem Messias in die höheren Sphären und singen Preislieder auf die neue Schöpfung, auf Jesu Opfer für die leidenden Menschen und deren Erlösung vom Tode und ihre Vereinigung im ewigen Leben mit Gott. Was ein bisschen langweilig oder zumindest altbacken klingt, hat aber Qualitäten – formale Qualitäten. Im zwanzigsten Gesang verlässt Klopstock nämlich das Schema des Hexameter und nähert sich formal seinen Oden an. Als Oden-Dichter nun aber gibt es im Deutschen bis heute nur einen, der Klopstock übertrifft: Friedrich Hölderlin – und der hat sich an Klopstock geschult. Will sagen: Wenn man die Lobgesänge des letzten Kapitels liest, wird man in Gedanken ein um das andere Mal „Hölderlin!“ flüstern. Dieses zwanzigste Gesang ist ganz große Kunst. Wer sonst nicht mag, sollte zumindest diesen Gesang lesen.


Wenn man nicht die teure kritische ‚Hamburger‘ Ausgabe kaufen will, wird man heute auf Antiquariate ausweichen müssen, um sich Klopstock überhaupt oder den Messias im Speziellen zu besorgen. Was allerdings bei Klopstock kein Problem darstellt. Bis in die 1970er noch als klassisch und kanonisch gehandelt, gibt es genügend Auswahlausgaben, die für die nicht-wissenschaftliche Lektüre völlig ausreichen. Vor mir liegt eine vor Jahrzehnten schon antiquarisch erstandene Ausgabe – meines Wissens die letzte größere Auswahl aus Klopstocks immensem Werk, die abgesehen von der kritischen Ausgabe noch erschienen ist:

Friedrich Gottlieb Klopstock: Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Karl August Schleiden. Nachwort von Friedrich Georg Jünger. München: Carl Hanser Verlag, 1962. [Die Zeiten als Hanser und Winkler noch anständige Dünndruck-Werkausgaben von deutschen Klassikern veröffentlichten, sind auch schon lange vorbei.] Die darin abgedruckte Version des Messias ist die der so genannten Altonaer Ausgabe, die (auf 1780 datiert) 1781 bei Johann David Adam Eckhardt im Rahmen jener Werkausgabe erschienen ist, die als Ausgabe letzter Hand bezeichnet wird. Wichtige Varianten zu anderen Ausgaben werden in den Anmerkungen mitgeteilt.

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