Jasmin Schreiber: Endling

Auf grünem Leinen geprägt der Körper eines Schmetterlings. Im gewählten Ausschnitt aus dem vorderen Buchdeckel sieht man nur von oben die Spitze des rechten Flügels ins Bild ragen.

Wir schreiben das Jahr 2041. Die EU hat sich aufgelöst. In Deutschland regieren seit rund einem Jahrzehnt die Faschisten. Diese bemühen sich erfolgreich und unter Anwendung von Gewalt, die Gleichstellung der Frauen rückgängig zu machen. Außerdem ziehen Pandemien im Jahreszyklus um die Welt. Das Artensterben hat an Geschwindigkeit rapide zugenommen. In dieser Welt lebt Zoe, eine junge Frau Mitte / Ende 20, Biologin (genauer: Entomologin), in München. Ihre einzige Tätigkeit an ihrem Forschungsinstitut – die einzige Tätigkeit praktisch aller Biologen und Biologinnen in den Forschungsinstituten rund um den Globus – ist es, das Artensterben zu kartografieren und in Zahlen festzuhalten.

Der Roman setzt ein mit einer Chat-Nachricht ihrer Schwester, gefolgt von einem Anruf ihrer Mutter. Dass ihre Mutter Alkoholikerin ist, wusste Zoe schon lange. Bisher aber hatte sie noch immer beruflich wie privat ‚funktioniert‘, das scheint aber nun vorbei zu sein. Jedenfalls will / muss sie eine Entziehungskur machen. Dazu muss sie das Haus verlassen, in dem sie mit der jüngeren Schwester Zoes lebt. Außerdem lebt im ersten Stock die Tante Zoes, die Schwester des an einer der Pandemien verstorbenen Vaters. Nun sollte jemand auf Hanna aufpassen, Zoes Schwester. Auch Tante Auguste, eine weltbekannte Biologin und Vorbild unserer Ich-Erzählerin, ist nicht ohne Probleme. Seit dem Tod ihres Bruders verlässt sie das gemeinsame Haus nicht mehr. Selbst Familienmitglieder dürfen ihre separate Wohnung im ersten Stock nur mit Handschuhen und Gesichtsmaske betreten – Erstbesucher:innen dürfen gar nur mit Ganzkörper-Schutzanzug ein ihr eintreten, falls überhaupt.

Das ist die Lage, die Zoe in Frankfurt vorfindet, nachdem sie sich von ihren universitären Verpflichtungen frei machen konnte. Es stellt sich zusätzlich heraus, dass Hanna, die elf Jahre jüngere Nachzüglerin und nun also mitten in der pubertären Selbstfindungsphase, ihrer älteren Schwester Vorwürfe macht, weil diese sie nach dem Tod des Vaters allein gelassen habe. Schlimmer noch: Auch Hanna trinkt (mehr oder weniger heimlich und auf Partys) schon gewaltige Mengen Wein und wohl auch härteren Stoff.

Dann überschlagen sich die Ereignisse. Sowohl Zoe wie ihre Tante erhalten über Internet Hilferufe von zwei Freundinnen. Es stellt sich heraus, dass Zoe Teil einer lockeren Verbindung ist, die in einem Forum im Darknet, Frauen Adressen in Deutschland vermittelt von Arztpraxen, die noch eine – unterdessen verbotene – Abtreibung durchführen. Zoes Freundin wird verhaftet, und sie können ihr nicht mehr helfen. Augustes Freundin hingegen konnte sich offenbar dem Zugriff der faschistischen Schergen entziehen. Jedenfalls erhält sie eine Video-Nachricht. Auf der sieht man aber auch, dass diese Freundin schwer krank ist.

Wir sind in einem Roman, also liegt nichts näher, als dass die drei Frauen – Zoe, Hanna und Auguste – eine Rettungsaktion starten. In Zoes klapprigem VW-Bus geht es los Richtung Italien. ‚Begleitet‘ werden sie von einer Weinbergschnecke mit dem romantischen Namen HP14. Diese Schnecke ist sozusagen das Haustier Augustes – ein Endling, den sie hegt und pflegt, in der Hoffnung, dass sich doch noch ein weiteres Exemplar finde, auf dass man diese Schneckenart wieder aufpäppeln könne. (Endlinge, das gehört zu den vielen biologischen Erklärungen, die uns die Ich-Erzählerin gibt, nennt man den letzten lebenden Vertreter seiner Art.)

Italien erweist sich als Sackgasse, die Freundin scheint sich unterdessen nach Schweden durchgeschlagen zu haben. Aber die drei Frauen entdecken auf einem Berggipfel nicht nur seltsame, zum Teil prähistorische Flora und Fauna, sie finden dort auch ein Dorf, in dem nur Frauen wohnen – Frauen, die offenbar über einige der Außenwelt unbekannte Techniken und Fähigkeiten verfügen. Auch in Schweden – dort, wo Augustes Freundin hinwollte – gibt es eine solche Enklave. Wahrscheinlich handelt es sich sogar um die ‚Mutterkolonie‘ aller übrigen, denn es gibt unterdessen viele.

Ich will jetzt nicht den Rest des Romans nacherzählen. Für den Moment genügt es zu wissen, dass die Quest der drei Frauen erfolgreich ist. Sie finden sowohl die Freundin wie die schwedische Frauenkolonie. Ja, mehr noch: Es taucht die Hoffnung auf, dass die Fähigkeiten als Programmiererin, über die Augustes Freundin verfügt, zusammen mit den Möglichkeiten der Frauenkolonien ausreichen könnten, die faschistische Regierung Deutschlands, die schon lange illegal an der Macht ist, auszuschalten.

Das alles wird in der Ich-Form und in einem flapsig-modernen Tonfall erzählt. Jasmin Schreiber ist selber Biologin und arbeitet meines Wissens auch immer noch wissenschaftlich. In diesem Roman zeigt sich das unter anderem darin, dass ihr Alter Ego, Zoe, uns Lesenden immer mal wieder (im oben erwähnten flapsig-modernen Tonfall) das eine oder andere Wissensbröckchen aus der Biologie zuwirft (wie eben die Definition eines Endling). Die einzelnen Kapitel tragen denn auch – zuerst auf Latein, dann auf Deutsch – die Namen verschiedener Tierarten; die meisten davon sind Käfer.

Der Roman liest sich über weite Strecken als erschreckend genaue Schilderung der nahen Zukunft, die politisch wie ökologisch auf uns wartet. Einzig zum Schluss, wo suggeriert wird, dass ein Teil der Seltsamkeiten der Frauenkolonien auch durch Einflüsse altnordischer Gottheiten zu erklären ist, verliert sich die Autorin in ihrem Wunsch, doch noch etwas Positives sagen zu können. Das ist schade, und würde den Roman (wenn ich denn Noten vergeben würde) eine wirklich gute Note kosten.


Jasmin Schreiber: Endling. Köln: Bastei Lübbe, 2023. [Gelesen in der Lizenz-Ausgabe der Büchergilde von 2024.]

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