Stars des heutigen Konzertabends sind Sergej Rachmaninoff bzw. dessen Interpretin, die russische Pianistin Yulianna Avdeeva. (In dieser Form wurden die beiden Namen im Programm geschrieben – ein Beispiel, wie vertrackt das Problem einer Umschrift aus dem kyrillischen Alphabet ins lateinische sein kann. Der Name der Pianistin wurde in der eigentlich im Englischen üblichen Umschrift angegeben – wohl, weil sie mit dieser Form ihres Namens international am besten bekannt ist und auch über die Suchmaschinen im Internet am einfachsten gefunden wird. Komplizierter ist es beim Komponisten. Hier wurde, zumindest beim Nachnamen, die Form verwendet, die im Englischen üblich ist. Auch Rachmaninoff selber verwendete diese Umschrift – und dies über Jahre, hatte er doch 1917 Russland verlassen, um bis zu seinem Tod 1943 nicht mehr dorthin zurück zu kehren. In seinem Fall die fürs Deutsche ‚korrektere‘ Umschrift „Rachmaninow“ zu verwenden, halte ich für philologische Erbsenzählerei. Allerdings findet sich im Konzertprogramm der Vorname dann in der im Deutschen üblichen Umschrift – das Englische kennt am Ende nur ein ‚i‘, kein ‚j‘.)
Doch nun verfalle ich selber in Erbsenzählerei – hören wir lieber der Musik zu und fangen an mit
Wolfgang Amadeus Mozart.
Denn begonnen hat das Konzert nicht mit Rachmaninoff, egal wie wir ihn schreiben, sondern mit Mozart. Adagio und Fuge c-Moll, KV 546 stammen wahrscheinlich aus kontrapunktischen Studien, die Mozart in der umfangreichen Musik-Bibliothek seines Gönners Baron Gottfried van Swieten machen durfte. Er studierte dabei vor allem die Werke von Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel. Angeregt im vorliegenden Fall vor allem von Bach, begann Mozart mit der traditionellen Form der Fuge zu experimentieren. Er schrieb dieses Stück also wahrscheinlich vor allem für sich selber, nicht für ein wie immer geartetes Publikum. Was soll ich sagen? Dieser experimentierende und experimentelle Mozart gefällt mir sehr gut. Hier ist Mozart nicht nur besser als in vielen jener Fälle, wo er fürs Publikum schrieb – er ist nachgerade modern. Offen gesagt, war dieses Stück hier für mich das modernste des ganzen Abends, obwohl Mozart chronologisch gesehen der älteste heute gespielten Komponisten ist.
Noch vor der Pause geht es zu den Stars des Abends,
Sergej Rachmaninoff und Yulianna Avdeeva.
Rachmaninoffs Rhapsodie über ein Thema von Paganini a-Moll, op. 43 entstand in der Zeit seines Aufenthalts in der Schweiz. Einer seiner Fans hatte den Komponisten begeistert für die Gegend am Vierwaldstättersee, wo er sich schlussendlich Land kaufte, auf dem er eine Villa errichten ließ. Den Fachleuten sei es überlassen, zu entscheiden, wie viel Schweiz darin steckt, aber auf jeden Fall sind diese Variationen über ein Thema von Paganini tatsächlich etwas für – wie mein Programm sagt – fingerflinke Pianistinnen und Pianisten.
Über diese verfügt Avdeeva zweifelsfrei. Auch Rachmaninoff ist bei der Komposition seiner Rhapsodie zu Hochform aufgelaufen. Immer wieder erregt er unser Erstaunen, wenn es darum geht, wie subtil Orchester-Part und Piano-Part miteinander verschränkt werden. Dass er nie zu meinen Lieblingen zählen wird, liegt dann daran, dass er für meine Ohren zu sehr auf Effekt komponiert. Jedes Mal, wenn der Teufel auftritt, der von Paganini Besitz ergriffen hat, geht Rachmaninoff auf tutti – will sagen: das gesamte Orchester, Piano inklusive, drehen auf volle Lautstärke hoch. Im wahrsten Sinn des Worts geht Rachmaninoff dann mit Pauken und Trompeten auf sein Publikum los. Ob der Umstand, dass bei dieser Lautstärke der Flügel begann, blechern zu tönen, nun dem Zustand des Instruments, der Technik der Pianistin oder auch nur meinen Ohren zu verdanken ist, will ich nicht entscheiden.
Das Publikum war jedenfalls hell begeistert. Avdeeva spielte noch eine Zugabe. Dieses Stück war nur für den Flügel, auch war es bedeutend ruhiger. Hier war keine Virtuosität verlangt (wie ich fingerflink für mich übersetze) sondern ‚nur‘ Musikalität. Einmal mehr gefiel mir die Zugabe besser als das Staats- und Hauptstück des Stargasts. Auch viele Mitglieder des Orchesters, ist mir aufgefallen, haben Avdeeva gespannt und fasziniert zugehört. (Was, nebenbei, die Frage aufwirft, was Virtuosität wirklich wert ist – vom Nervenkitzel beim Publikum abgesehen. Es ist ja nicht erst heute so, dass der Ruhm, den Virtuos:innen erreichen, immens ist – Rachmaninoffs Thema-Geber Paganini ist da gerade ein Beispiel dafür, dass das ‚schon immer‘ so war.)
Nach der obligatorischen Pause macht ein englischer Komponist aus der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert den Abschluss, der – wie ich mir sagen lassen habe – in Großbritannien immer noch recht bekannte, mir aber zuvor nie zu Ohren gekommene
Edward Elgar.
Seine heute «Enigma»-Variationen genannte Komposition (ursprünglich «Variations on an Original Theme») von 1899 ist wahrscheinlich von Robert Schumann inspiriert, was meine Ohren zwischendurch sehr wohl herauszuhören meinten. Das Stück umfasst um 14 Variationen. Elgar hat vor jede zwei oder drei Großbuchstaben gesetzt, die auf ein Person hinweisen, die er mit dieser Variation charakterisieren wollte – sozusagen also ein musikalischer Schlüsselroman. Leider ist uns der Schlüssel nicht überliefert.
Elgars Musik klingt gut, halt ein bisschen brav, um nicht zu sagen: epigonal, aber ich habe schon Schlimmeres gehört.
Orchester und Dirigent (Roberto Gonzáles-Monjas) waren wie immer in bester Spiellaune. So, bis zum Rand gefüllt mit guter Musik, gehen wir denn nach Hause.