Es gab eine Zeit, da interessierte ich mich sehr für die Gartentheorie. Angefangen hat es wohl mit dem hier vorgestellten Buch von Richard Katz, Übern Gartenhag. Schon recht früh im Studium bin ich über Pückler-Muskau gestolpert. Später dann, ebenfalls hier schon vorgestellt, die Gartenbücher von Vita Sackville-West. Der von mir sehr geschätzte Johann Heinrich Merck hat sich in seiner Zeit als Kriegsrat in Darmstadt ebenfalls immer wieder mit Gartentheorie beschäftigt. Dazwischen war irgendwann das nun vorzustellende Buch von Clemens Alexander Wimmer, erschienen 1989 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt – zu einer Zeit also, als die Wissenschaftliche Buchgesellschaft noch „wissenschaftlich“ war und sich nicht unter einer neuen Führung mit einer Image- und Sortimentsänderung hin zu einem populärwissenschaftlichen Verlag ins finanzielle Nirvana geschossen hatte.
Wimmers Buch, um zu Angenehmerem zu kommen, besteht aus zwei Teilen. In einem ersten werden gartentheoretische Texte in chronologischer Reihenfolge und in Exzerpten von der Antike bis zur Neuzeit vorgestellt. Im zweiten Teil sortiert der Herausgeber in einem eigenen Essay die Ergebnisse und ordnet sie ein. Für mich war der erste Teil insofern überraschend, als von den drei Autoren und der Autorin, die mich überhaupt auf den Garten als literarisch-wissenschaftliches Thema aufmerksam gemacht hatten, kein Text aufgenommen wurde. Dass Richard Katz gänzlich fehlt, der ja bewusst praktisch und nicht theoretisch über seinen Garten schreiben wollte, leuchtet ein. Die Ausgabe von Mercks Werken kam viel später in den Handel; Wimmer wird von dessen gartentheoretischen Schriften nichts gewusst haben, denn auch er fehlt gänzlich. Pückler-Muskau wird im Vorwort explizit erwähnt als in der Theorie epigonal, und ich vermute, für Sackville-West gilt dasselbe. Immerhin werden diese beiden in Wimmers eigenem Essay erwähnt bzw. zitiert. (Auch finde ich bemerkenswert, dass die von den beiden gestalteten Gärten bis heute existieren, nun fürs Publikum geöffnet sind und großen Zulauf finden.)
Nicht alle im ersten Teil abgedruckten theoretischen Texte sind gartentheoretische Texte, denn eine eigentliche Gartentheorie entstand erst ungefähr im Zeitalter des Barock. So sind die ersten beiden Texte aus der Antike, von Varro und dem jüngeren Plinius, eigentlich Teil einer Beschreibung ihrer respektiven Landsitze, wo dann auch – eher nebenbei – der Garten gestreift wird. Im Mittelalter wird zwar dem Garten hin und wieder mehr oder weniger theoretische Aufmerksamkeit geschenkt. So wird er im St. Galler Klosterplan von 825 explizit eingezeichnet. Anders als in der neueren Gartentheorie sind hier aber Gemüse- und Kräutergarten explizit behandelt, während der eher zum Lustwandeln dienende Teil (soweit man in einem Kloster überhaupt lustwandelte) zwar auch da ist, aber keines weiteren Kommentars gewürdigt wird. Einzig Albertus Magnus (den Wimmer im Inhaltsverzeichnis unter seinem bürgerlichen Namen Albert Graf von Bollstädt versteckt) kennt, da von der Naturwissenschaft her kommend, in den sieben Büchern De Vegetabilibus einen breiteren Ansatz.
Ich kann und will hier nicht alle Autoren erwähnen. Wir finden in den ersten rund 1000 Jahren Gartentheorie vor allem als Einschübe oder Exkurse in anderen Textsorten – belletristischer oder moralisch-ethischer Funktion (so Erasmus von Rotterdam, der in seinen Colloquia familiaria auch den Garten streift). Die meisten der hier aufgeführten Männer (denn es sind nur Männer) kenne ich auch nur aus den hier präsentierten Exzerpten. Bekannte Namen sind vielleicht Francis Bacon (worüber hat der nicht geforscht und geschrieben?), Joseph Addison, Jean-Jacques Rousseau (beide dito); etwas überraschend fungiert hier auch Friedrich Heinrich Jacobi, der im Roman Woldemar sein Sturm und Drang-Genie gleichen Namens unter anderem über den Garten seines älteren Bruder referieren und dort für mehr Einfalt und Wahrheit plädieren lässt.
Mit Jacobi betreten wir denn auch die Zeit, als sich der „natürliche“ englische Garten gegen den streng geometrisch geordneten Barock-Garten durchsetzt. Schon lange war der Garten nur noch als Ort zum Lustwandeln interessant. Gemüsegärtnerei war für Bauern und selbst die Blumen mussten sich erst wieder in den Garten zurückkämpfen. Büsche, Hecken, Wege und Bäume waren das primäre Material zur Gestaltung eines Gartens. Die Nachahmung der Natur im Garten – durch Rousseau initiiert, aber „englisch“ genannt – fügte noch weitere architektonische Merkmale hinzu. (Die alten Architekten nebenbei, Vitruv in der Antike aber auch Palladio in der Renaissance, hatten sich kaum mit dem Problem des Gartens beschäftigt.) Durch seine Textauswahl, unterstützt von Bildern aus den jeweiligen Veröffentlichungen, gelingt es Wimmer zu zeigen, dass das vermeintlich „Natürliche“ dieser neuen Form von Gartengestaltung eine höchst künstliche Errungenschaft war. Der Gartenbau wurde im 18. Jahrhundert zu einer Art dreidimensionaler Landschaftsmalerei. Vergessen wir nicht: Ursprünglich malte, wer Landschaften malte, immer Kulturlandschaften. Kein Wunder, gab es in der Gartentheorie Bestrebungen, auch die eigentliche Landwirtschaft ins Gartenbild aufzunehmen. Erst – und deshalb ist Jacobis Sturm und Drang-Mensch Woldemar interessant – erst die aufkommenden Entdeckungsreisen, die oft Maler und Zeichner dabei hatten (die wiederum nicht nur Indigene konterfeiten sondern auch schon mal eine Landschaft hinwarfen), mit ihren Berichten, die wirklich ursprüngliche Landschaften zeigten, machten dem zeitgenössischen Publikum die Künstlichkeit seiner Gärten bewusst.
Es ist mir aufgefallen, dass sich offenbar vor allem in den ästhetischen Schriften bzw. Bemerkungen des Deutschen Idealismus einiges zur Gartentheorie verbirgt. So finden wir Zitate von Schelling über Schleiermacher und Hegel bis hin zu Vischer. (Der seinerseits wohl auch in Johann Georg Sulzers Fußstapfen wandelte.) Schleiermacher bildet die Brücke zur Romantik: Beide Schlegel wie auch Tieck oder Eichendorff sprechen mehr oder weniger ausführlich über den Garten. Goethe und Schiller haben sowieso eine Meinung zu allem.
Von der Entdeckung einer wirklich wilden Natur aus bewegte sich die Gartentheorie in zwei divergente Richtungen. Auf der einen Seite beschäftigte man sich im 19. Jahrhundert als dem Zeitalter des Realismus auch mit den Gärten des kleinen Mannes – von der Fensterbank bis hin zur ‚Indoor‘-Gärtnerei, andererseits schufen nun Städte und auch ganze Nationen große Parkanlagen, die bewusst als (wie man heute sagt) Naherholungsgebiete dienen sollten, aber immer fein geschniegelt daher kamen. Eine neue Entwicklung zeichnete sich erst in den 1980ern ab, als Private wie öffentliche Institutionen ihre Gärten mehr und mehr nach ökologischen Motiven zu gestalten begannen. Wimmer konnte im vorliegenden Buch gerade noch den Anfang dieser Entwicklung feststellen.
Fun Fact: Für alle Epochen gilt (wie Wimmer zu Recht festhält): Kaum ein Gartentheoretiker hat eigentliche, schweißtreibende Gartenarbeit geleistet. Das gilt für Varro und Plinius in der Antike, gilt wohl auch für den Entwerfer des St. Galler Klosterplans, gilt ganz sicher für Pückler-Muskau und Sackville-West, gilt für die heutigen Gartenarchitekten. Selbst Richard Katz gab zu, dass ihn seine Haushälterin und ein bei Bedarf zugezogener Hilfsarbeiter im Garten unterstützten, und, wenn es darum ging, die Wiese zu mähen, ein benachbarter Bauer.
Kulturgeschichte einmal aus einem sehr speziellen Winkel. Nicht uninteressant und auch nicht unwichtig, wenn wir bedenken, wie viel Zeit wir doch immer in dem verbringen, was wir „draußen in der Natur“ nennen und meist doch nur ein mehr oder weniger schön gestaltetes, künstlich erstelltes Gebilde ist, das man im weitesten Sinn als Garten bezeichnen müsste.