Nathalie Schmid: Ein anderes Wort für einverstanden

Blaue Schrift auf weißem Grund mit dem Vornamen der Autorin. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Wir dürfen die Schweizer Schriftstellerin Nathalie Schmid auf keinen Fall verwechseln mit der gleichnamigen Frau, die als Medium & Heilerin im Internet u.a. Fernhealing [sic!] und Jenseitskontakte anbietet. Unsere Nathalie Schmid hier ist sehr wohl und sehr gut geerdet – man kann das auch als Lyrikerin nämlich durchaus sein …

Vor mir liegt Nathalie Schmids neuester Gedichtband, erschienen dieses Jahr (2025) im Gans Verlag. Er enthält in fünf durch Überschriften voneinander getrennten Abschnitten Gedichte in verschiedener Form und mit unterschiedlichem Inhalt. Ein Abschnitt besteht aus kurzen Prosa-Texten, die ich wegen der ihnen zu Grunde liegenden Sprachmelodie als Prosa-Lyrik bezeichnen würde. Die meisten Gedichte sind in dem gehalten, was wir hierzulande als ‚Schriftdeutsch‘ bezeichnen, also die Sprache, in der wir schreiben – das ist nicht unbedingt die, in der wir reden oder denken. In einem Abschnitt allerdings finden sich Gedichte in Mundart, und zwar im Heimatdialekt der Autorin, dem Aargauerdeutsch aus der Region Aarau. Bei zwei oder drei dieser Gedichte steht eine ‚schriftdeutsche‘ Version dabei, die – entnehme ich einer Bemerkung der Autorin – auch schon mal zuerst gewesen sein kann.

Es ist vielleicht dem Umstand zu verdanken, dass ich selber auch im Dialekt sprachlich sozialisiert wurde, aber ich empfinde die Schweizerdeutschen Gedichte als melodiöser, stimmiger. So kann ich gleich zugeben, dass dieser Abschnitt in Mundart mein liebster ist.

Ich habe oben gesagt, dass die Gedichte oft unterschiedlichen Inhalt aufweisen. Vielleicht sollte ich besser davon sprechen, dass ähnliche Inhalte auf (oft nur wenig, aber signifikant) verschiedene Art angegangen werden. Es gibt sogar phantastische bzw. an Science Fiction erinnernde Strophen. Die Gedichte thematisieren vielfach die Themen des Alterns und des Sterbens – immer aus weiblicher Sicht. Oft wird in den Gedichten an den Tod von Angehörigen erinnert; aber auch das Thema ‚Sterbehilfe‘ wird nicht ausgelassen. Das ergibt für das ganze Buch eine gewisse melancholische Grundstimmung. Erinnerungen an die Kindheit (oder allgemein an ‚früher‘) gehören wohl auch zum weiteren Umkreis des Themas ‚Altern‘. In diesen Erinnerungen wird die Vergangenheit keineswegs verklärt, aber sie wird stehen gelassen, wie sie gerade durch den Kopf des jeweiligen lyrischen Ich schießt. Bei vielen Gedichten bin ich versucht, von Naturlyrik zu sprechen, denn gerade die Erinnerungen an ‚früher‘ sind oft auch Erinnerungen an eine unberührte (oder vielleicht auch nur weniger stark durch Umweltverschmutzung und Industrialisierung beeinträchtigte) Natur. Gärten, vor allem Bauerngärten, sind ein zentrales Motiv Schmids. Sie bzw. das lyrische Ich hält die Veränderungen in Erinnerungen fest, ohne rational zu reflektieren; es gibt keine Schuldzuweisungen, keine Lösungsvorschläge. Gerade das macht Eindruck. Von Lösungsvorschlägen könnte man allenfalls im letzten, mit Iris überschriebenen Abschnitt sprechen. Doch da sind es Gedanken, die eine Mutter an ihre Tochter weitergibt, untermischt aber auch mit Erinnerungen an die Großmutter. Das wiederum nimmt dem (ich nenne es jetzt mal) emanzipatorischen Teil seine Schärfe. So steckt in Iris sehr viel weibliches Erinnern, weibliches Sein im Allgemeinen – aber nicht nur dort, dieses Thema zieht sich durch alle Abschnitte.

Melancholisches Erinnern, aber dennoch realistisch. Natur, aber keine verklärte – obwohl und vielleicht gerade weil die Iris (a.k.a. ‚Schwertlilie‘) oft mit der ‚blauen Blume‘ der Romantik identifiziert wird. Eine dezidiert weibliche Sicht auf die Welt – auch und vielleicht gerade weil die Iris (a.k.a. ‚Schwertlilie‘) in der Heraldik von großen herrschenden Häusern verwendet wurde.

Was bleibt beim Zuklappen des Buchs: ein leises Zittern der eigenen Gedanken und Erinnerungen an die eigenen Gärten der Kindheit. Und, ähnlich wie z.B. auch bei Iris, der Wunsch, das eine oder andere anders gemacht zu haben, ohne sich für seine früheren Taten und Unterlassungen aber schuldig zu fühlen.

Leider verkauft sich Lyrik schlecht. Lyrik in Dialekt verkauft sich außerhalb des Sprachraums, in dem der Dialekt verstanden wird, wohl gar nicht mehr. Es wäre schade, ließe man (bzw. frau) sich in Deutschland oder Österreich von der kleinen Sprachbarriere abhalten.


Nathalie Schmid: Ein anderes Wort für einverstanden. Gedichte. Berlin: Gans Verlag, 2025 (= Buchreihe Gegenwarten, Band 21)

Wir danken dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 5

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