Die Horen. Jahrgang 1795. Drittes Stück

Erstes Stück ohne einen Beitrag von Goethe oder Schiller. Den Anfang macht Herder mit

Das eigene Schicksal

Seinen Artikel leitet er folgendermassen ein:

Man hört so oft die Worte: „der Mensch hat doch ein eignes Schicksal“ „sein Schicksal verfolgt ihn; es hat ihn ereilet“ oder: „das ist nun einmal mein Schicksal; ich muß mich drein ergeben;“ man hört sogar diesen Ausdruck von Familien, Königreichen, von Ständen und Geschäften brauchen, daß es wohl der Mühe werth schein, zu untersuchen, was diese Wort, an denen Trost und Schrecken, Furcht und Beruhigung, die kühnsten Unternehmen, oder die starre Verzweiflung haftet, bedeuten.

Damit hat Herder den Ton seiner Abhandlung vorgegeben. Wir haben es nicht mit einer philosophischen Untersuchung des freien Willens zu tun (was von einem lutheranischen Theologen und hohen Kirchenfunktionär zwar interessant gewesen wäre, aber wohl nicht zu erwarten), nicht einmal mit einer philosophiegeschichtlichen Untersuchung (obwohl Herder mit seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit erst vor kurzem eine bahnbrechende philosophiegeschichtliche Arbeit abgeschlossen hatte). Wir haben ganz simpel eine Predigt vor uns. Die offenbar auch fürs ganz simple Volk gedacht war. So kann denn Herder getrost Sprichwörter u.ä. zitieren, um zum Schluss zu kommen:

Sey, wer du seyn sollt [sic!], und thue das Deine; so wird dich das Glück, dein gutes Schicksal ungesucht finden; die schärffste Waage deines, keines fremden Schicksals ist in dir.

Amen. Die noch folgende Drohung („Jetzt sollte ich noch vom eignen Schicksal ganzer Nationen reden, von dem in der Geschichte vortreffliche Sybillenblätter vorhanden sind; einer anderen Hora können sie werden.“) hat Herder zum Glück nicht wahr gemacht.

Dante’s Hölle

Nacherzählend, Teile aber auch übersetzend, das Ganze hin und wieder mit gelehrten Fussnoten versehend, bespricht August Wilhelm Schlegel den ersten Teil von Dantes Divina Commedia. Der Übersetzer Schlegel gibt hier eine schöne Probe seines Könnens, der Literaturkritiker Schlegel ebenfalls. Hier zeigt sich ein Meister in beiden Fächern. Aus zwei Gründen mutet es etwas seltsam an, dies in der Programmzeitschrift der deutschen Klassik zu finden:

Dante ist – ausser, dass er das volkstümliche Italienisch für sein Epos gewählt hat und nicht das gelehrte Latein – im Grunde genommen noch dem Mittelalter und der Scholastik verhaftet. Um die Zeit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert hatte aber Goethe die Begeisterung für die Gothik, die den Stürmer und Dränger bewegt hatte, bereits abgelegt; und dass die Brüder Boisserée ihn wieder dafür begeistern könnten, stand noch in den Sternen. Schiller seinerseits war wohl nie am Mittelalter interessiert. (Sein Wilhelm Tell beschreibt ja keineswegs eine spezifische Epoche.)

Auch der Name des Autors überrascht. Selbst wenn August Wilhelm sich nie mit Schiller so überworfen hatte, wie sein Bruder Friedrich, wurde er doch der romantischen „Partei“ zugerechnet. Allerdings stehen wir 1795 erst zu Beginn dieser Querelen. Somit ist die Aufnahme dieses Artikels auch ein Zeichen dafür, dass die aktuellen Grenzen zwischen „Klassik“ und „Romantik“ selbst für die Beteiligten sehr schwer zu ziehen waren.

Fortsetzung folgt. Was in diesem Fall ein Versprechen, keine Drohung ist.

Entzückung des Las Casas oder: Quellen der Seelenruhe

Der Jesuit Bartolomé de Las Casas wurde bekannt durch seinen Einsatz für die Rechte der Indios und seine detaillierten Aufzeichnungen über die frühen Jahre der spanischen Konquista, deren Augenzeuge er war. Die vorliegende kurze Erzählung geht allerdings nur indirekt darauf ein; dass Las Casas‘ Einsatz für die Indios auch aus recht tiefgründigen philosophischen Erwägungen über das Wesen der Person entstanden ist, entgeht dem Autor, Johann Jacob Engel. Er schildert den im hohen Alter sterbenden Las Casas, geplagt von Gewissensbissen, hatte er doch, um den Indios die Versklavung zu ersparen, den transatlantischen Handel mit schwarzen Sklaven ins Leben gerufen. Doch Gott ist dem Jesuiten in dessen letztem Traum gnädig, und Las Casas stirbt beruhigt.

Auch dieser Text kommt im Grunde genommen unerwartet. Einerseits, weil er de facto eine hagiografische Schrift (und dann noch über einen Jesuiten!) darstellt, andererseits, weil sein Autor ursprünglich der mit der deutschen Klassik verfeindeten Gruppe der Berliner Aufklärer angehörte.

Es ist zu sagen, dass Engel erzählen kann. Ein guter Stil, ein sauber konstruierter Höhepunkt der Novelle, eine gehörige Coda. Schiller wird bedeutend Schlimmeres servieren.

Ueber die männliche und weibliche Form

Den Abschluss macht Wilhelm von Humboldt, noch einmal mit einer Auseinandersetzung über das Männliche und das Weibliche. Wir haben vorläufig einen ersten Teil vor uns, der mich etwas ratlos zurücklässt. Es wird nicht klar, worauf Humboldt hinauswill. Der schon fast frauenemanzipatorische Ton seines Beitrags im Zweiten Stück der Horen, Ueber den Geschlechtsunterschied und dessen Einfluß auf die organische Natur, ist praktisch verschwunden. Auch hier heisst es: „Die Fortsetzung folgt“ – und ich werde mir ein definitives Urteil über die Männliche und weibliche Form daher aufsparen.

Fazit: Es ist eine wahre Ironie des Schicksals ;-), dass in diesem Dritten Stück des Jahrgangs 1795 gerade die Autoren die besten Beiträge liefern, die im Grunde genommen gar nicht zum Kreis der deutschen Klassik gehören.

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