Mit dem Titel der „unwissenschaftlichen Essays“ fordert Braitenberg bewusst die einseitig orientierten Geistes- und Naturwissenschaftler heraus (in der damaligen Zeit war das Überschreiten der Grenzen seines eigenen Fachgebietes ein Sakrileg: Zumeist bezog man Prügel von beiden Seiten). Die drei zentralen Beiträge dieses Buches (über das Gehirn bzw. „Gehirnwissenschaft als Geisteswissenschaft“ und den Bezug unserer Denkeinheit zur Information) sind keiner Fachrichtung zuordenbar, es sind kluge Betrachtungen dessen, was denn „Geist“ überhaupt ist und in welcher Beziehung er zu unserem Gehirn steht. Für ihn als Neurologen war es faszinierend, in der gebündelten Faserstruktur das mit „Seele“, Gefühlen und Intelligenz ausgestattete Organ zu sehen, das ganz offenkundig die materielle und funktionale Realisation des Geistes darstellt. Und er verweist auf die faszinierenden Parallelen, die sich aus Betrachtung von Gehirn und Computern ergibt, aus der er auch die optimistische Hoffnung ableitet, dass uns ein sehr viel besseres, vielleicht sogar vollständiges Verständnis unseres Denkens gelingen könnte.
Dazu gehören auch erkenntnistheoretische Überlegungen als auch eine Analyse dessen, was wir auf welche Weise als Information aus unserer Umwelt aufnehmen bzw. worin Information als solche besteht, wobei er drei Arten von Informationsflüssen unterscheidet: Jenen, der über den Evolutionsprozess in die Gene mündet, dann den embryologischen Vorgang, der diese genetische Information in einen Organismus umsetzt und schließlich den Informationsfluss von der Umwelt über die Sinne ins Gehirn und wieder zurück in diese Umwelt. Das Gehirn betrachtet er dabei als Symbolverarbeitungsapparat, der aus dem Kontinuum an Eindrücken die be-deutenden (also informativen) Elemente herausfiltert, um adäquate Reaktionen zu erzeugen. (Das ist dann nach Braitenberg der vierte Informationsfluss: Das Lernen, die Erfahrung des Individuums im Laufe eines Lebens.)
Es macht Spaß, diese Essays zu lesen – auch jene, die sich der Wissenschaft (und deren Abgrenzung) wie auch den wissenschaftstheoretischen Belangen widmen (und es ist ganz offenkundig, dass der Autor keine allzu hohe Meinung von diesen Theoretikern hat – ob sie nun Feyerabend oder Popper heißen). Daneben gibt es auch Persönliches, Literarisches (die Darstellung des Höhlengleichnisses mit neuen Mitteln fand ich allerdings weniger gelungen). Immer aber ist es lohnend, den Ausführungen zu folgen (unabhängig davon, ob man ihnen zustimmen kann); denn dass hier jemand am Werk ist, der sich in jeder Hinsicht auf’s Denken versteht , lässt sich nicht bestreiten. Geistreiche Unterhaltung, wie sie nicht allzu oft zu finden ist.*
*) Im übrigen hatte ich den Eindruck, dass dieser Autor seine Ausführungen zur Intelligenz aus einem der Braitenbergschen Essays abgeschrieben hat. Zumindest ist die Ähnlichkeit der Argumentation frappant.
Valentin Braitenberg: Gescheit sein und andere unwissenschaftliche Essays. Zürich: Haffmans 1987.