Werner Schneiders: Deutsche Philosophie des 20. Jahrhunderts

Werner Schneiders ist ein emeritierter Philosophieprofessor (Uni Münster), der sich insbesondere mit der Philosophie der Aufklärung auseinandergesetzt hat und – u. a. – ein Lexikon dieser Aufklärung herausgegeben hat. In diesem Buch analysiert er die deutschsprachige Philosophie des 20. Jahrhundert, wobei er – berechtigterweise – bis auf Kant zurückgeht, um die Linien über den Deutschen Idealismus oder auch den Neukantianismus bis in die Gegenwart nachzuzeichnen.

Etwa ein Drittel ist dieser die Strömungen vorbereitenden Untersuchung gewidmet; es werden sowohl Feuerbach als auch Marx und Engels behandelt, natürlich auch Nietzsche und Kierkegaard, dessen Denken für die späteren existentialistischen Philosophen von großer Bedeutung war. Dann werden die schon teilweise ins 20. Jahrhundert gehörenden Philosophen wie Scheler, Husserl und Dilthey besprochen, die allesamt für die hermeneutischen und existenzialistischen Richtungen wegweisend waren. Wobei eigentümliche Brüche zutage treten: Wenn Husserl noch „zurück zu den Dingen selbst“ wollte, hat Heidegger diesen Ansatz fundamentalontologisch umgedeutet, um schließlich zu einer Art Heilserwartung durch das Sein zu gelangen.

Drei Richtungen sind es, die Schneiders als für das 20. Jahrhundert maßgeblich betrachtet: Die existenzialistische bzw. transzendenzorientierte Richtung (im Buch durch Jaspers und Heidegger vertreten), die gesellschaftskritische (Adorno, Horkheimer, in Ansätzen Habermas) und die wissenschaftsorientierte (der Wiener Kreis mit Carnap und Schlick, Popper aber auch Wittgenstein und die Anfänge der analytischen Philosophie werden hier subsumiert). Dem Autor ist durchaus klar, dass eine solche Zuordnung ein wenig gewaltsam erscheint und diverse Überschneidungen beinhaltet; vorgestellt werden die Strömungen anhand der einzelnen (erwähnten) Philosophen. Das bedeutet allerdings, dass wichtige Vertreter gar nicht oder nur am Rande erwähnt werden: So werden weder Herbert Marcuse für die Frankfurter Schule noch Hans Albert für den Kritischen Rationalismus auch nur einer Fußnote gewürdigt. Das hat aber auch mit dem beschränkten Umfang des Buches zu tun: Auf etwas mehr als 200 Seiten ist die Geschichte eines ganzen Jahrhunderts nicht unterzubringen, eine Auswahl musste getroffen werden.

Die Vorstellung der einzelnen Philosophen fand ich ausnehmend gelungen: Auch die einer verständlichen Darstellung nur schwer zugänglichen Programme eines Heideggers oder Horkheimers werden sehr gut aufbereitet, Schneiders scheut auch nicht davor zurück, manches als unklar und nebulös zu bezeichnen bzw. zurückzuweisen. Einzig die wissenschaftlich geprägte Philosophie erfährt eine verkürzte und vereinfachte Darstellung, die den tatsächlichen Aussagen nicht immer gerecht wird: Schneiders betrachtet den Wiener Kreis, den Kritischen Rationalismus und auch die analytische Philosophie unter einem positivistischen Standpunkt und suggeriert eine Wissenschaftsgläubigkeit, die so von keiner dieser Richtungen vertreten wird. Er erwähnt kurz Feyerabend und Thomas Kuhn und glaubt anhand der Aussagen dieser Philosophen feststellen zu können, dass die Programmen gescheitert sind: Was selbstredend unsinnig ist. Gerade diese relativistischen Angriffe haben zu einer Präzisierung der Philosopheme beigetragen, weshalb man die wissenschaftliche Philosophie nicht in einer postmodernen Beliebigkeit ausklingen lassen kann.

Im Grunde sieht Schneiders alle drei Strömungen als gescheitert an: Dies kann er vor allem deshalb tun, weil er an einer fundierenden Letztbegründung philosophischer Erkenntnisse festzuhalten scheint. So heißt es im Schlusskapitel: „Sollte […] die unbestreitbare, alles erklärende wissenschaftliche Weltformel dereinst gefunden werden, so würde die Philosophie vermutlich wirklich überflüssig werden – aber dann wäre es auch nicht schade um sie.“ Das zeugt von einem tatsächlich positivistischen Ansatz, der von einer „Weltformel“ absolute Gewissheit erwartet, etwas, das gerade die wissenschaftliche Philosophie (Münchhausen-Trilemma) als unsinnig ausgewiesen hat. (Im übrigen bliebe trotz Weltformel der Bereich des moralischen Denkens und Handelns nach wie vor ungelöst, ethische Dilemmata lassen sich durch eine solche Formel nicht auflösen.) Schon aus diesem Grund bleiben philosophische Überlegungen notwendig und wichtig, technische Vollkommenheit an sich vermag über den Einsatz dieser Technik rein gar nichts auszusagen. Trotz dieser etwas seltsamen Conclusio, die aber der Behandlung der wissenschaftlichen Philosophie im Buch weitgehend entspricht, ist dieser Band über weite Strecken ausgezeichnet zu lesen und besticht durch konzise und kluge Zusammenfassungen zu den einzelnen Philosophen. Lesenswert.


Werner Schneiders: Deutsche Philosophie des 20. Jahrhunderts. München: Beck 1998.

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