Robin Dunbar: Klatsch und Tratsch. Wie der Mensch zur Sprache fand

Schon seit Aristoteles zerbrechen sich Philosophen den Kopf über Ursprung und Entstehung der Sprache – aber erst seit sich Anthropologen und Ethologen dieses Themas angenommen haben, sind die Überlegungen auch substantiell: Ansonsten hatte zumeist der liebe Gott seine Finger im Spiel oder aber die Sprache war der Spiegel der Seele (was immer das auch sei). Immer aber wurde die Sprache als etwas ganz spezifisch Menschliches aufgefasst – eine Ansicht, die trotz der offenkundigen Verbundenheit des Menschen mit dem Tierreich und seiner Abkunft aus demselben noch häufig vertreten wird. Und auch der Entwicklungsgedanke wird in Bezug auf die Sprache nicht selten vernachlässigt: Da soll dann plötzlich ein Sprachmodul vor 40000 Jahren aufgetaucht sein, das uns erst zu allem kulturellen Tun befähigt habe.

Von solch vereinfachender Darstellung unterscheiden sich Dunbars Theorien angenehm: Aber auch er verfällt in apodiktisch anmutende Hypothesen und manchmal meint man bei ihm eine Art Finalismus wahrzunehmen, eine teleologische Herangehensweise. Doch dazu später.

Dunbar sieht die Entstehung der Sprache eng mit der Gruppengröße der Primaten und deren Fähigkeit, soziale Beziehungen zu pflegen, verbunden. Diese Beziehungspflege wird bei Schimpansen (und unausgesprochen nimmt Dunbar an, dass dies auch bei unseren Vorfahren der Fall war) hauptsächlich über die Fellpflege, das „Groomen“, Kraulen ausgeübt. Doch die Gruppengröße setzt einer solchen Beziehungspflege enge Grenzen: Es steht dann einfach nicht genug Zeit zur Verfügung, um auf diese Weise mit allen anderen in Kontakt zu bleiben, selbst bei günstiger Ernährungslage ist es unmöglich, mehr als 20 % der Zeit auf diese Weise zu verbringen.

Hier nun kommt bei Dunbar die Sprache ins Spiel: Zum einen waren die Australopithecinen aufgrund der prekären Ernährungslage gezwungen, ihre Wohngebiete an den Urwaldrand bzw. in die Steppe zu verlagern, was die Steigerung der Gruppengröße zu einem überlebenswichtigen Faktor machte, um sich gegen Fressfeinde zu verteidigen, zum anderen war die Fellpflege bei dieser Anzahl von Individuen pro Gruppe eine zeitliche Unmöglichkeit. Die Sprache übernimmt nun diese Funktion – und sie weist gegenüber körperlichen Berührungen einige Vorteile auf: Man kann sich gleichzeitig an mehrere Gruppenmitglieder richten, der Informationsaustausch ist präziser (und erleichtert das Erkennen des Nassauertums, das in größeren Gruppen eine nicht unerhebliche Gefahr für den Zusammenhalt darstellt) und sie erleichtert die Selbstdarstellung (die fast immer der Anbahnung der Fortpflanzung dient*).

Doch auch der Gruppengröße sprachfähiger Primaten ist eine Grenze gesetzt: Sie liegt nach Dunbar bei etwa 150 Personen, größere Gruppen bedürfen spezieller hierarchischer Gliederung, um den Zusammenhalt nicht zu gefährden. Dies ist eine etwa drei mal so große Zahl wie bei den untersuchten Primaten und darauf zurückzuführen, dass auf sprachlichem Wege etwa drei Mal so viele Gruppenmitglieder erreicht werden können. Wobei die Gruppengröße mit der Größe des Neokortex korreliert werden kann (nicht mit der Gesamtgröße des Gehirns): Ein Zusammenhang, den Dunbar bei den verschiedenen Klein- und Menschenaffen statistisch nachweisen kann.

Das alles klingt plausibel und durch Daten recht gut gestützt: Trotzdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er mit seinen Zahlenspielereien und seiner Instrumentalisierung der Sprache übers Ziel hinausschießt. Er scheint einen typisch philosophisch-(un-)wissenschaftlichen Fauxpas zu begehen, indem er eine Theorie entwirft und allüberall nach Bestätigungen für dieselbe sucht (und dann auch findet). Aber Sprache ist bekanntlich verräterisch. So liest man auf S. 96: „Nachdem mir die Bedeutung dieser Erkenntnis [über die maximale Gruppengröße und ihren Zusammenhang mit der Größe des Neokortex] klargeworden war, fand ich überall weitere Beispiele dafür.“ Hier darf man zu Recht an Popper erinnern und daran, dass es der Wissenschaft (auch) darum gehen sollte, Gegenbeispiele zu finden, die als Widerlegung der Theorie gelten können. In Dunbars Fall bin ich der Überzeugung, dass er – hätte er seine Energie auf die Suche nach solchen Widerlegungen verwendet – ebenso fündig geworden wäre. Ein Gegenbeispiel führt der Autor im übrigen selbst an, ohne aber sich der Konsequenzen bewusst zu werden: Er schreibt über die von ihm beobachten Descheladas (Blutbrustpaviane), dass sie in Gruppen von 100 bis zu 250 zusammenwohnen würden. Eigentlich – nach seiner Theorie – nur möglich, wenn sie sich ausgezeichnet auf Pavianisch austauschen könnten.

Zum anderen neigt er – wie oben erwähnt – zu teleologischen Formulierungen, die mit der Evolutionstheorie in Widerspruch stehen. So stellt er ganz apodiktisch fest, dass „sie [die Sprache] nach meiner Ansicht entstand, um durch den Austausch sozialer Informationen die Bindungen zu erleichtern“ (S. 187) oder später: „Die Sprache […] entstand in der Evolution, um diese Lücke [die Unmöglichkeit, soziale Konatke durch Kraulen aufrecht zu erhalten] zu füllen […].“ (Meine Hervorhebungen) Das ist schlicht Unsinn: Nichts entsteht in der Evolution auf ein bestimmtes Ziel hin, hingegen werden Möglichkeiten genutzt, die zur Verfügung stehen und die häufig am Beginn ihrer Entwicklung zu gänzlich anderen Zwecken benutzt wurden. (Unser Sprachzentrum scheint ursprünglich dem Spurensuchen, Spurenlesen gedient zu haben, jedenfalls wird bei Primaten dieser Bereich aktiviert, wenn sie solche Spuren auf der Jagd auswerten (ebenso bei indigenen Völkern). Ob die Sprache anfangs Warnfunktion hatte, ob sie zur Darstellung von Sachverhalten diente oder als Appell wird kaum entschieden werden können: Dass sie aber für all diese Funktionen ganz hervorragend geeignet war (und selbstverständlich auch für Klatsch und Tratsch), liegt auf der Hand. Die sich mit der Sprachfähigkeit auftuenden Möglichkeiten waren eindeutig ein Selektionsvorteil – aber keinesfalls entstand Sprache, um die Gruppengröße zu stabilisieren, Erkenntnisse weiterzugeben (oder damit ich hier diese Sätze in den Laptop tippen kann).

Trotz all dem ist das Buch aber die Lektüre wert: Denn man kann vielen Überlegungen und Gedanken Dunbars die Plausibilität nicht absprechen. Außerdem ist das Thema der Sprachentstehung bei Anthropologen und Ethologen in besten Händen: Von dieser Seite sind Erkenntnisse zu erwarten – nicht von der Sprachphilosophie. Würde Dunbar seinen eigenen Hypothesen ein wenig kritischer gegenüberstehen – das Buch wäre uneingeschränkt zu empfehlen.

*) In den letzten Kapiteln kann Dunbar anhand aktueller psychologischer Untersuchungen zeigen, dass dies auch heute noch der Hauptzweck der Unterhaltung – wo auch immer – zu sein scheint. (Meine Beobachtungen stimmen mit dieser Ansicht überein.)


Robin Dunbar: Klatsch und Tratsch. Wie der Mensch zur Sprache fand. München: Bertelsmann 1998.

1 Reply to “Robin Dunbar: Klatsch und Tratsch. Wie der Mensch zur Sprache fand”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert