Briefe von und an Hegel 1785-1812

Herausgegeben von Johannes Hoffmeister. Hamburg: Felix Meiner, 1. Auflage 1952; 3., durchgesehene Auflage 1969. (= Philosophische Bibliothek 235) (Das Buch stammt aus einer Zeit, wo man seine Klassiker noch in Leinen mit Fadenheftung und farbigem Oberschnitt gebunden hat, und wo ein Lesebändchen noch nicht als nec plus ultra der Buchausstattung galt.)


Wer sich erhofft, aus Hegels Briefwechsel Informationen zu Genese seiner Philosophie zu ziehen, wird zumindest für den ersten Band (die Briefausgabe umfasst in 4 Bänden das gesamte Leben Hegels) enttäuscht. Obwohl in diesen Jahren schon die Phänomenologie des Geistes entstand, erfahren wir in den Briefen nur andeutungsweise von deren Inhalt (der deutet sich höchstens in einer gehäuften Nennung von Jacobi an), aber sehr viel über den Ärger, den Hegel ihretwegen mit seinem Verleger hatte.

Das ist, nach obiger negativer Überraschung, in gewissem Sinn die positive: Wir erfahren, bei aller diesbezüglicher Zurückhaltung Hegels zwar wenig über den Philosophen, dafür doch so einiges über den Menschen Hegel. Der frühe Freundschaftsbund mit Schelling und Hölderlin verblasste zwar schnell. Als Studenten des Tübinger Stifts bewunderten sie Kant für dessen Zertrümmerung der Philosophie, Fichte dafür, dass er diese Trümmer definitiv klein haute, und sahen ihre Bestimmung darin, ihrerseits Fichtes Werk zu vollenden. Philosophische Kleinarbeit steckte hinter diesen jugendlich-genialischen Worten noch keine: So wurde bei Fichte dieselbe pantheistische Grundhaltung vermutet, die sie bei Spinoza fanden und bewunderten. Die Freundschaft zwischen Hegel, Schelling und Hölderlin überdauerte noch die gemeinsame Hofmeister-Zeit (Hölderlin besorgte Hegel, als dessen Vertrag in Bern auslief, noch eine Hofmeister-Stelle in Frankfurt/M, wo er selber schon war); dann erkrankte Hölderlin und war bestenfalls noch Objekt besorgter Berichte oder Nachfragen der Tübinger Stifts-Kameraden. Schelling seinerseits liess die Hofmeister-Zeit relativ rasch hinter sich, und wurde bereits 1798 a.o. Professor in Jena, wo er gerade noch Fichtes Abgang im Atheismus-Streit miterlebte. Hegel, der langsamer Karriere machte, war zu der Zeit noch Hofmeister in Frankfurt; erst 1801 gelang ihm der Sprung an eine Professur in Jena. Doch Jena sollte mit dem Abgang zuerst Fichtes, dann auch Schellings, seinen kurzfristigen Ruhm wieder verlieren; Hegel blieb auf der schlecht bezahlten ausserordentlichen Professur sitzen. Die Briefe aus jener Zeit zeigen denn auch weniger den Philosophen, als den Mann, der im eigentlichen Sinn des Worts um sein tägliches Brot kämpft. Auch Eingaben an Goethe höchstpersönlich änderten wenig an Hegels unbefriedigender finanzieller Situation. Hegel wäre sogar bereit gewesen, Naturphilosophie zu lehren (immerhin hat er mit einer Arbeit über Keplers Weltsystem promoviert!) – es änderte sich nichts. (Es war dann auch nicht Goethe, schon gar nicht Schiller, mit denen Hegel den Kontakt aufrecht erhielt aus dem Dunstkreis der Weimarer Klassik, sondern Knebel.) Hegel ging als Chefredakteur der Bamberger Zeitung alldahin. (Woraus der einzige Brief an den Weimarer Herzog Carl August resultierte: Hegel bat um seine Entlassung als a.o. Professor.) Schon rasch geriet der Schwabe in Konflikt mit den bayrischen Pressegesetzen (auch darüber findet man Briefe). Sein Freund Niethammer vermittelte ihm einen Posten als Professor der (philosophischen) Vorbereitungswissenschaften und Rektor am Gymnasium Nürnberg. Dort sollte Hegel auch heiraten, und dort verlassen wir ihn mit dem Schluss von Band I des Briefwechsels.

Wie gesagt: Wenig genuin Philosophisches in diesen Jahren. Schelling und Hegel bestätigten sich gegenseitig die Lektüre der Werke des anderen (oder zumindest deren Einleitungen); inhaltlich vermieden sie jede Konfrontation. Fichte und Kant traten bei Hegel rasch zurück. Neben Jacobi trat am Ende der Nürnberger Zeit offenbar ein Lektüre der Werke Jacob Böhmes und eine Auseinandersetzung mit dem Magnetismus als Heilverfahren. Ebenfalls wurde Hegel über physikalische Forschungen eines Davy oder eines Ritter auf dem Laufenden gehalten. Am meisten noch das Fach Philosophie betrafen Hegels Gedanken zum Philosophie-Unterricht am Gymnasium, zu dem er in Nürnberg verpflichtet war (und die in seinen Briefen an Niethammer parallel zu Klagen darüber auftreten, dass seine Schüler keine – Abtritte hätten):

Mit der philosophischen Enzyklopädie in der Oberklasse verbinde ich, wie ich dies nach meinem Plane der Enzyklopädie sehr leicht kann, noch transzendentale und subjektive Logik, um so mehr, da diese Klasse so gut als keinen Unterricht darin hatte, dieser also für sie höchstes Bedürfnis ist. In der Mittelklasse gedenke ich gewissermassen Psychologie, nämlich mehr als Geisteslehre denn als Seelenlehre in der bisherigen, gleichsam naturgeschichtlichen, völlig unspekulativen oder durch keinen Begriff zusammenhängenden Weise vorzunehmen. Ich glaube, auf diese Weise die Intention des Normativs [i.e. der vom Königreich Bayern erlassenen Unterrichts-Richtlinien] sowohl der Materie nach, als der Form, die Schüler zum spekulativen Denken anzuleiten, nach, zu erfüllen und das zu leisten, was Sie mit der Hinweisung auf Carus und Kants Kritik beabsichtigen. Sie äußerten mir einst das Zutrauen, ein logisches Kompendium für die Gymnasien durch mich verfertigen zu lassen; Sie haben, indem Sie mich bei einem Gymnasium anstellten, mir zugleich ein Feld des Erfahrens und Lernens gegeben; beides, sowie die Breite, die das Normativ läßt, mag meine Lehrarbeit teils rechtfertigen, teils entschuldigen.

Hegel an Niethammer, 14. Dez. 1808

Die Wissenschaft der Logik sollte das Produkt dieser Gedanken werden; allerdings bedaure ich jeden Gymnasiasten, der nach dieser hätte Logik studieren sollen. (Diese Logik ist übrigens das einzige Werk, mit dem im Briefwechsel der Jahre 1785-1812 eine nennenswerte Auseinandersetzung stattfindet, indem sich ein gewisser Pfaff erlaubte, in drei Briefen eine Art Widerlegung an Hegel zu schreiben. Diese Widerlegung ist leider ihrerseits so wirr, dass sie kaum verständlich ist; man spürt höchstens heraus, dass es nicht nur eine Auseinandersetzung mit Hegels Logik sein soll, sondern auch eine Verteidigung der Newton’schen Optik gegen Goethes Farbenlehre, der Hegel anhing. Hegel hatte offenbar nie geantwortet.)

Hegels pädagogischer Elan sollte relativ rasch verpuffen; am Ende seiner Nürnberger Zeit, also nur knapp 4 Jahre später, bezweifelt er den Sinn jeden philosophischen Unterrichts am Gymnasium…

Ansonsten zwei oder drei Merkwürdigkeiten zum Privatmann Hegel, die ich vor der Lektüre dieser Briefe hier nicht kannte:

  • Hegel hat tatsächlich Gedichte geschrieben. (Von Schelling wusste ich es; der hat sie auch veröffentlicht.) Es sind genau deren drei: Eines, relativ früh, an Hölderlin; deren zwei in der Verlobungszeit an seine Braut Marie von Tucher.
  • Hegel, den wir meist nur mit Nachnamen nennen oder dann mit allen drei Vornamen ‘Georg Wilhelm Friedrich’, unterschrieb seine Briefe (auch die an die Freunde vom Tübinger Stift) mit Hegel oder auch nur Hgl. Einzig an Marie unterzeichnet er mit Vornamen – nämlich Wilhelm. Womit auch diese Frage geklärt wäre.
  • Hegel unterhielt vor Marie von Tuchner offenbar ein anderes kleines romantisches Techtelmechtel, nämlich von Frankfurt aus nach Hause in Stuttgart. Schon David Friedrich Strauß, der diese Briefe (mit-)gefunden hatte, schrieb an einen Freund: Schön ist der Satz, der in einem steht: ‘Ich bin den Bällen gar gut’ – Hegel! (Und mit den Bällen waren keine kugelförmigen Kinderspielzeuge gemeint…)

Obwohl also nicht, was ich erhoffte, so doch auf sein Art sehr interessant, dieser erste Band von Hegels Briefwechsel.

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