Arno Schmidt / Hans Wollschläger: Der Briefwechsel

Aficionados aller Lager vereinigt euch!

Denn dies ist ein Buch für Aficionados. Und nur für Aficionados.

Wobei … selbst diese …

Der Reihe nach: Seit Jahren, ja seit Jahrzehnten warten die Aficionados dreier Schriftsteller auf die Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Arno Schmidt und Hans Wollschläger. Da sind – natürlich – einmal die Fans von Arno Schmidt und die von Hans Wollschläger. Vor allem erwartete aber die Karl-May-Gemeinde diese Publikation, wusste man doch, dass dieser Autor eine nicht unbeträchtliche Rolle darin spielen musste.

Das tut er denn auch. Und wie! Vor allem in den Jahren von 1957 (dem Einsetzen des Briefwechsels) bis 1965 (der ersten Publikation von Hans Wollschlägers Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens als Rowohlt Monographie N° 104) dominiert May den Briefwechsel in grossem Mass. Und das heisst hier nicht 20% oder 50%; nein, es sind wohl 90% bis 95% des Umfangs, die sich um May drehen, den Karl-May-Verlag oder Wollschlägers Tätigkeit alldorten als freier Mitarbeiter. Das darf nicht verwundern, waren doch die beiden überhaupt erst in Kontakt gekommen, als Schmidts Essay Vom neuen Grossmystiker am 10. August 1957 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen war. Hans Wollschläger schrieb eine Art Berichtigung an die FAZ, die er ebenfalls dort veröffentlicht sehen wollte. Offenbar aber hatte die Redaktion der Zeitung keine Lust, diesen Nebenschauplatz der Literaturgeschichte weiter auszuleuchten und leitete Wollschlägers Brief und Artikel an Schmidt weiter.

Dass Karl May den Briefwechsel derart dominiert, wäre ja noch zu verkraften. Aber die beiden diskutieren ja eigentlich nicht einmal May selber. Darüber, dass von diesem sächsischen Lügenbold allenfalls sein Spätwerk wirklichen literarischen Wert habe, sind sich die beiden nämlich rasch einig. Und wo sich zwei einig sind, kann keine Diskussion entstehen. Im Briefwechsel selber wird nicht einmal dargelegt, wie und warum die beiden zu diesem Schluss kamen. Schmidt war offenbar der Meinung, das anderweitig (u.a. in oben genanntem Artikel) zur Genüge ausgeführt zu haben, und Wollschläger… Ja, Wollschläger…: Vor allem in den ersten 10 Jahren des Briefwechsels, vor allem, wenn es um May geht (und es geht, wie bereits gesagt, praktisch nur um May), ist Wollschläger eigentlich nur das Echo Arno Schmidts. (Was auch nicht verwundern darf: Er war zum Beginn des Briefwechsels gerade mal 22 Jahre alt.) Also keine Diskussion über die Qualitäten Karl Mays? Worüber diskutierten denn die beiden seitenlang? Die Antwort ist so simpel wie gähnend langweilig: Über (wie Arno Schmidt geschrieben hätte) filologisches. Schon der erste Essay Schmidts enthält nämlich eine ungeheure Breitseite gegen den Ustad-Verlag (wie der Karl-May-Verlag in Bamberg 1957 gerade noch hiess) wegen dessen Bearbeitungen der May-Texte. Schmidt (der sich ein paar Erstausgaben hatte besorgen können) wies darin nach, dass die Bearbeitungen den Original-May in grossem Stil verfälschen, die literarische Qualität des Originals (literarische Qualität zumindest aus der Sicht Schmidts – die Begründung seiner diesbezüglichen Urteile, die wie gesagt ausserhalb des Briefwechsels mit Wollschläger zu suchen ist, ist meiner Meinung nach durchaus anfechtbar; ich komme darauf) – die literarische Qualität des Originals also beträchtlich minderte. Darüber nun können die beiden seitenweise konferieren und Bearbeitungsstufen vergleichen.

Das war 1957 für die Karl-May-Philologie – so weit es eine Karl-May-Philologie gibt und braucht – wohl interessant. Und es mag für die Geschichtsschreibung der Karl-May-Philologie noch immer interessant sein. Aber in diesen minutiösen Details langweilt es den durchschnittlichen Leser, und der Karl-May-Aficionado weiss, dass Schmidt praktisch alles irgendwann und irgendwo mal veröffentlicht hat. Man kennt seine Argumente also. In den vergangenen 61 Jahren ist überdies eine kritische May-Ausgabe in die Gänge gekommen (an der sich unterdessen sogar der Karl-May-Verlag beteiligt, der sich zuerst sehr dagegen gewehrt hatte). Die einstigen Feindbilder – hie der tapfere Ritter Arno mit seinem Knappen (und Maulwurf im gegnerischen Lager) Hans, dort der rasende Roland (Schmid – der zusammen mit seinen Brüdern Joachim und Lothar den Karl-May-Verlag leitete) – haben sich unterdessen aufgelöst.

Wenn denn nun Karl May wenigstens der Schriftsteller von Hochliteraturrang wäre, für den ihn Schmidt (wenigstens, was das sog. Spätwerk betrifft) hält… Aber Arno Schmidt macht sein Urteil vor allem an zwei Dingen fest, die zumindest diskutabel sind: Da ist einerseits der Umstand, dass May in seinem Spätwerk seitenweise Passagen in Jamben geschrieben hat, was für Schmidt eine gelungene Imitation des Singsangs orientalischer Märchenerzähler ist; dass May andererseits seinen späten Roman Im Reiche des silbernen Löwen III/IV als Schlüsselroman abgefasst habe. (Arno Schmidt las auch James Joyce‘ Finnegans Wake als Auseinandersetzung James‘ mit seinem Bruder Stanislaus – das war für Schmidt offenbar tatsächlich ein Zeichen hoher Kunst!) Aber weder die Kunst des Schreibens in Jamben, noch das Verfassen dünn verschleierter Schlüsselromane sind – nicht einzeln, noch in Kombination – Zeichen literarischer Qualität, und anderes konnte Schmidt zeitlebens nicht beibringen, und sein Echo Wollschläger ebenfalls nicht.

Somit disqualifizieren sich grosse, ja grösste Teile des Briefwechsels für jemanden, der an anderem als an Karl May und philologischem Kleinkram bezüglich seiner Editionen interessiert ist. Wohl werden auch andere Themen angesprochen. Da ist zuerst Fouqué, dessen Monumental-Biografie Schmidt 1958 in erster Auflage veröffentlichen sollte. (Auch hier, wie bei May: Arno Schmidt gibt seine Urteile ex cathedra von sich, für deren eventuelle Rechtfertigung wird man und wird Wollschläger implizit auf die Biografie selber verwiesen.) Wollschläger seinerseits kennt Fouqué zu wenig, um mitreden zu können oder in grossem Stil zu wollen. Auf der andern Seite kann Arno Schmidt wenig mit Gustav Mahler anfangen, dem grossen Stern an Wollschlägers musikalischem Himmel. (Schmidt kann, so weit ich das überblicke, überhaupt mit Musik wenig anfangen.) Über Mahler kommt Wollschläger auch in Kontakt mit Adorno, ist aber feinfühlig genug, seine andere Übervater-Figur Schmidt gegenüber nur flüchtig zu erwähnen. Robert Kraft, Zeitgenosse Karl Mays und ebenfalls Verfasser überlanger Abenteuer-Schmonzetten (deshalb auch ein Konkurrent Mays), mit dessen Werken Wollschläger im Karl-May-Verlag in Kontakt gekommen ist, interessiert Schmidt nicht gross; Kraft verschwindet denn auch rasch praktisch vollständig aus dem Briefwechsel. Nietzsche wiederum, den Schmidt in den 1930er Jahren einmal in Mays Spätwerk abgebildet gesehen hat, vermag Wollschläger nicht zu interessieren.

Natürlich gibt es auch Stellen, die diesen Briefwechsel menschlich interessant machen. Vor allem Schmidt gibt ja kaum etwas von sich selber darin preis. Selbst über Schmidts literarisches Schaffen erfährt Wollschläger erst etwas, wenn ihm Schmidt mal wieder die Veröffentlichung eines Buchs oder eines Essays mitteilt. Aber da ist die fast rührend zu nennende Art, wie sich Schmidt darum kümmert, dass die literarische Karriere Wollschlägers Fortschritte macht, nachdem sich dieser einmal als Autor ‚geoutet‘ hat. Schmidt empfiehlt Wollschläger Verlage, bei denen dieser seinen grossen Roman Der Fall Adams zur Veröffentlichung einreichen soll, ja er schreibt sogar seinerseits lange Empfehlungsschreiben an ihm bekannte Verleger und Lektoren. (Alles übrigens ohne Ergebnis: Wollschläger kann Herzgewächse oder Der Fall Adams, wie der Roman dann heissen wird, erst nach einer weiteren Überarbeitung und nach dem Tod von Arno Schmidt veröffentlichen – beim Diogenes-Verlag, den weder er noch Schmidt zur Zeit ihres Briefwechsels auf dem Schirm gehabt hatten.) Als Brotarbeit empfiehlt Arno dem Jüngeren Übersetzungen, hält ihm zu Beginn auch die eine oder andere Übersetzungsarbeit zu (vor allem von Werken, die er selber nicht machen will oder kann). Die beiden teilen sich sogar die Arbeit an der Übersetzung der Werke von Edgar Allan Poe, die zwischen 1966 und 1973 beim Walter-Verlag in Olten erscheint. Diese Übersetzer-Tätigkeit ist Anlass zu zwei oder drei mittellangen Exkursen zur Theorie des Übersetzens, vor allem des Übersetzens von US-amerikanischem Slang. Auch diese: Nicht von übermässigem Interesse.

Die Poe-Übersetzung sollte allerdings auch der Auslöser sein für die in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre einsetzende Entfremdung zwischen Schmidt und Wollschläger. Nicht nur, weil sich Wollschläger langsam traute, auch Schmidt gegenüber eine eigene Meinung zu vertreten, sondern vor allem auch, weil die Beschäftigung mit Edgar Allan Poe den Keim zu einem weiteren Werk Schmidts bildete, einem Werk, das ihn derart in Anspruch nahm, dass er praktisch den Kontakt mit der ganzen Welt abbrach. Auch darüber erfahren wir nur wenig im Briefwechsel selber, aber 1970 sollte Schmidts Monumentalwerk ZETTEL’S TRAUM erscheinen. (Da in der vorliegenden Briefedition auch Ausschnitte aus den Tagebüchern von Alice Schmidt enthalten sind, sowie die paar Briefe, die Hans Wollschläger und Alice Schmidt gewechselt haben, ist es übrigens faszinierend nachzuvollziehen, wie Alice – die in ihren Tagebüchern am Ehepaar Wollschläger und ihrem Lebensstil mäkelt, wie nur eine in der Provinz versauernde Frau am mondänen Lebensstil der Grossstädter mäkeln kann – und Bamberg, wo Wollschlägers wohnten, ist ja nun noch keine wirkliche Grossstadt! – wie Alice also, als Arno definitiv praktisch alle Verbindungen zur Aussenwelt kappt, sich echt über Wollschlägers Briefe an sie freut und versucht, die Verbindung zu Arno wieder herzustellen. Umsonst. Aber der Kontakt mit Wollschlägers wird auch nach Arnos Tod im Jahre 1979 weiter gehalten, bis Alice ihrerseits 1983 stirbt. Über Alice lernt Hans Wollschläger auch den letzten Mäzen Arno Schmidts, Jan Philipp Reemtsma, kennen und schätzen.)

Dann ist da noch die Geschichte mit Arno Schmidts Sitara und der Weg dorthin (1963), eine Abhandlung, in der Arno Schmidt unter schwerem, aber völlig verzerrendem Einsatz Freud’scher Psychoanalyse den Versuch unternimmt, in Karl Mays Texten unterschwellige-versteckte Motive homosexueller Erotik nachzuweisen. Ich war mir bislang nicht sicher, ob Schmidt dieses Buch nicht (wie die Engländer sagen) ‚tongue in cheek‘ geschrieben habe; neudeutsch gesagt, ob es sich hier nicht um eine riesige Verarsche des Publikums handle. Hier hat mich der Briefwechsel eines anderen belehrt: Es war Arno Schmidt wirklich ernst damit; er glaubte tatsächlich, einen grossen und wichtigen Fund getan zu haben. Und Knappe Hans sekundierte ihn auch hierin tapfer. (Wie die beiden überhaupt mit ihrer Lektüre ‚ad hominem‘ die nachfolgende Karl-May-Philologie zwar überhaupt erst in Gang gesetzt, aber zugleich auch in einen toten Seitenarm des grossen Meers der Literaturwissenschaft gelotst haben, aus dem sie erst im 21. Jahrhundert ganz langsam und vorsichtig wieder herausfindet – zu spät wohl, um May beim neutralen Beobachter noch zu literarischem Nachruhm verhelfen zu können. Die Karl-May-Gemeinde wird eine relativ kleine Gemeinde bleiben. Da ihr vorwiegend ältere Herrschaften – Frauen sind darin in der Minderheit – angehören, wohl auch eine aussterbende Gemeinde. Habent sua fata auctores.)

Faszinierend (im Sinne und mit dem Unterton, in dem mein Lieblings-Alien dieses Wort zu verwenden pflegte) ist Arno Schmidts Verbissenheit in Sachen Karl May und Karl-May-Verlag. Immer und immer wieder veröffentlicht er Essays in Zeitungen und Zeitschriften, im Rundfunk, die sich um Karl May und den seinen Namen tragenden Verlag drehen. Der Verlag wurde in jener Zeit von den drei Söhnen des Verlagsgründers Euchar Albrecht Schmid geführt: Joachim, Lothar und Roland. Davon treten in diesem Briefwechsel hier Joachim kaum und Lothar nur am Rande auf (letzterer vor allem, weil Arno Schmidt sich gerne seiner eigenen Fähigkeiten im Schachspiel rühmt – Lothar war nicht nur Verleger, sondern auch Schachgrossmeister). Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht aber Roland, den v.a. Wollschläger auch gern den Rasenden Roland nennt. In der Briefedition figurieren auch ein paar Dokumente über einen Besuch Rolands bei Arno Schmidt. Auf die Gefahr hin, dass ich es nun meinerseits ebenso mit dem Karl-May-Verlag verderbe wie seinerzeit Arno Schmidt: Ich kann Arno Schmidts Aversion gegen Roland Schmid sogar verstehen. Decouvrierend in Bezug auf Roland Schmids Persönlichkeit ist zum Beispiel, wenn Roland von Arno Schmidt nicht nur Änderungen seiner Aussagen über Karl May und den Ustad-Verlag verlangte, sondern auch einen Nebensatz über Chemnitz abgeändert wünschte, das Arno Schmidt mit der Zusatzbemerkung für heutige Leser: Karl-Marx-Stadt versehen hatte, was Roland Schmid gestrichen wünschte. Abgesehen von der Ungeheuerlichkeit, in den Text eines ihm ansonsten in keiner Weise verpflichteten Autors eingreifen zu wollen, war diese Bemerkung allerdings durchaus im Geist der Zeit, der die DDR und die dort geschaffenen realen Verhältnisse völlig ignorierte (schon immer ignorierte, zur Wendezeit ignorierte, bis heute ignoriert – und die Ernte davon in Form einer vor allem im Osten ungeheuer starken faschistischen Bewegung in Form der AfD einfährt).

Alles in allem also nicht unbedingt ein Buch, das die grosse Leserwelt nun braucht, auch wenn Teile davon es seit Jahrzehnten sehnlichst erwartet haben. Das soll die grosse und ausgezeichnete Arbeit des Herausgebers Giesbert Damaschke in keiner Weise schmälern. Zusätze, Anhang, Wort- und Sacherklärungen sind in der nötigen Ausführlichkeit vorhanden und gut gemacht. Die Edition als solche kann nur gelobt werden.


Arno Schmidt: Der Briefwechsel mit Hans Wollschläger. Herausgegeben von Giesbert Damaschke. Eine Edition der Arno Schmidt Stiftung im Suhrkamp Verlag. 1. – 2,5. Tausend, Herbst 2018.

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