Anthony Burgess: Shakespeare

Burgess ist im deutschen Sprachraum vor allem bekannt durch seine Dystopie Clockwork Orange (vgl. hier und hier). Wahrscheinlich kennen die meisten sogar nur dieses Werk von ihm – und auch das erst seit der Verfilmung durch Stanley Kubrick. Im englischen Sprachraum, vor allem natürlich in England selber, ist seine Shakespeare-Biografie wohl mindestens ebenso bekannt.

Burgess hat auch einen – weniger erfolgreichen – Roman über Shakespeare geschrieben, 1964 hastig zusammen gesudelt, um auch von den Feiern zum 400. Geburtstag Shakespeares profitieren zu können: Nothing like the Sun: A Story of Shakespeare’s Love Life. Schon der reißerische Titel verrät die Intention des Autors. Dieser Roman ist hier nicht gemeint, sondern die 1970 erschiene, bedeutend seriösere Biografie, die einfach nur Shakespeare heißt und nun vor mir liegt.

Nun ist es so, dass wenig gesicherte historische Daten über Shakespeare vorliegen. Somit wäre die Versuchung, die Lücken mit Erfundenem zu füllen, groß. Ich bin kein Shakespeare-Spezialist, und muss daher dem Verfasser des Vorworts zu meiner Ausgabe (London: Folio Society, 2015), Stanley Wells, glauben, wenn er versichert, Burgess habe dieser Versuchung im Großen und Ganzen widerstanden. (Immerhin ist Wells Professor emeritus für Shakespeare-Studien der Universität Birmingham.)

Dennoch hat Burgess, wie jeder gute Romancier es tut und jeder gute Biograf auch, Shakespeares Leben sozusagen unter ein Motto gestellt. Es stellt es dar im Lichte des Aufstiegs eines jungen Manns aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, der zunächst praktisch von der Hand in den Mund lebt; dessen Vater dann allerdings schon den Aufstieg ins (Groß-)Bürgertum schafft durch Erlangung eines erblichen Familienwappens. Die Nutzlosigkeit dieses Strebens musste Shakespeare schon zu Lebzeiten einsehen – alle seine Söhne waren vor ihm gestorben…

Burgess versteht es, die Atmosphäre im London der Zeit von Königin Elisabeth I. äußerst plastisch darzustellen, dieser Epoche, die man – nicht zuletzt um Shakespeares Willen – im Nachhinein das Goldene Zeitalter der Englischen Literatur nennen sollte. London war eine für damalige Verhältnisse riesige Stadt. Trotz der Auseinandersetzungen Englands mit Spanien und Frankreich, trotz der darauf folgenden Feldzüge in Irland, wo die Katholiken den Anglikanern gegenüber aufsässig wurden, trotz der Tatsache, dass für solche Kriege eigentlich gar kein Geld vorhanden war (jedenfalls nicht bei Elisabeth!), trotz verschiedener Typhus- oder Pest-Epidemien ging es der Stadt gut. (Das Wort „Atmosphäre“ kann man im vorliegenden Fall wörtlich nehmen: Burgess beschreibt, wie der Dampf des überall gebrauten und ausgeschenkten, starken Ale sozusagen zur Grundausstattung Londons gehörte. Bier wurde schon zum Frühstück getrunken. Bier wurde auch warm, z.B. als Suppe, zu sich genommen. Ganz einfach, weil Wein nur für die Allerreichsten war, und der Genuss von Wasser tatsächlich lebensgefährlich sein konnte.)

Die verschiedenen rivalisierenden Schauspieltruppen brachten in London auch einen Christopher Marlowe hervor – eine zwiespältige Figur, eventuell ein Agent oder Doppelagent, der bei einer Messerstecherei ums Leben kam. Oder einen Ben Jonson, der im Duell einen anderen Schauspieler umbrachte, dessen Witz (so Burgess) schärfer war als der Shakespeares, der aber dadurch mehr seiner Zeit verhaftet blieb als dieser. Dennoch waren die beiden befreundet. Shakespeares Lebenswandel jedenfalls muss im Vergleich mit dem seiner Rivalen als tugendhaft und frei von großen Skandalen bezeichnet werden.

Was Shakespeares Werk betrifft, konzentriert sich Burgess in seiner Biografie auf den Verfasser von Dramen für seine eigene Truppe. Womit er die bei einer Beschäftigung mit Shakespeares Sonetten immer auftauchende Frage nach einer eventuellen homosexuellen Veranlagung des Autors nur ganz nebenbei streifen muss, wenn er Shakespeare zwar einen ungeheuren „Sex-Drive“ (wie wir heute sagen würden) attestiert, der aber allenfalls nebenbei auch gleichgeschlechtlich ausgelebt wurde. Im Übrigen stellt Burgess ganz klar, dass er keineswegs als Literaturwissenschaftler oder -kritiker schreibt. Tatsächlich finden wir keine einzige Analyse eines Stückes – während er allerdings oft als wertender Kritiker zu Gange ist.

Nach frühen Stücken, die sich in der Tragödie an Seneca orientieren, in der Komödie an Plautus, im drastischen Humor an Rabelais, und Stoffe aus Ovids Metamorphosen verarbeiten, stößt Shakespeare dann rasch einmal auf die Chroniken des Raphael Holinshed, aus der er Stoff nimmt für so manches seiner historischen Dramen. (Jedenfalls, so lange es erlaubt war, aus der englischen Geschichte zu schöpfen. Es gab eine Zeit, wo dies als zu gefährlich für die Ruhe und Sicherheit der Nation betrachtet und demzufolge verboten wurde. Da wich man halt aufs Altertum aus.) Als Höhepunkt des dramatischen Schaffens Shakespeares gilt Burgess sein Hamlet. Die zögerliche Hauptfigur orientiert sich gemäß Burgess an den Maximen des großen Pessimisten Montaigne. (In Falstaff haben wir dann die zum Clown gewendete Version des Zögerers und Pessimisten.)

Shakespeare kann es sich im Alter erlauben, dem Theater den Rücken zuzuwenden. Burgess schildert ihn zurück im heimatlichen Stratford, wo er wieder mit Frau und Kindern zusammen lebt – Frau und Kinder, die er jahrelang alleine in Stratford ließ, während er in London nicht nur hart arbeitete (das auch!), sondern auch das Leben genoss. Und andere Frauen. Nun aber zeigt Burgess uns einen nachdenklichen alten Mann, der sich noch den letzten Traum bürgerlichen Lebens erfüllen will: den Aufbau einer eigenen Bibliothek. Neben Montaigne sind für ihn Bacon und Donne gegeben. Boccaccios Decamerone, das ihn beinahe wieder dazu verführt, erneut Dramen zu schreiben. Es ist in der Tat ein verführerisches Bild, sich Shakespeare so in seiner eigenen Bibliothek zu denken…

Alles in allem eine vergnügliche Lektüre, bei der sich sicher auch das eine oder andere über Shakespeare und das erste elisabethanische Zeitalter lernen lässt. Burgess liebt es, mit der Sprache zu spielen, wie es auch Shakespeares Zeit tat. Ob man ihn deswegen, wie es Wells in seinem Vorwort tut, in die Nähe von James Joyce rücken darf oder soll, bezweifle ich. Burgess‘ Spiel mit der Sprache bleibt ein Spiel. Oder, um es anders zu formulieren: Was beim Iren aus dem Kopf kam und Hunderte von Seiten dominiert, kommt bei Burgess aus dem Bauch und stellt immer nur einen kurzen Blitzer im Text dar.

Das Buch ist für Laien geschrieben, enthält aber einen erschließenden Index und eine kurze Liste weiterführender bzw. verwendeter Literatur. So stelle ich mir ein gutes Sachbuch vor.

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