Manfred Spitzer, Wulf Bertram (Hrsg.): Hirnforschung für Neu(ro)gierige

Rund 20 Beiträge zum Thema Neurobiologie: Von Philosophen, Psychologen, Medizinern bis hin zum Physiker und Kabarettisten Vince Ebert, dessen Beitrag zum Unterhaltsamsten des Buches gehörte. Ein im Großen und Ganzen interessanter Überblick über die verschiedenen Forschungsbereiche, zumeist leicht lesbar (was denn auch in der Absicht der Herausgeber lag).

Einer der besten Beiträge stammt von Vittorio Gallese und Giovanni Buccino über die Spiegelneuronen: Ein mehr als gelungener Überblick über diese erstmals von der Gruppe um Giacomo Rizzolatti entdeckten Neuronen, die den Begriff der Empathie (aber auch des Lernens, Nachahmens) neu definierten. Endlich kann man von der Couch aus Sport betreiben und sich dabei auch noch – ganz ohne Training – verbessern, denn die Hirnareale, die bei Ausführung oder aber der bloßen Vorstellung einer bestimmten Handlung aktiviert werden, sind dieselben. Andere Beiträge, wie etwa der von Joram Ronel über Mesmers animalischen Magnetismus ließen mich hingegen ein wenig ratlos zurück: Da wird über die methodologischen Voraussetzungen von Studien räsoniert und jene Überprüfung Mesmers durch die französische Akademie geschildert, ohne dass auch nur ansatzweise klar würde, was der Autor denn damit zu sagen beabsichtigt.

Der Aufsatz von Michael Pauen, einem Philosophen (der hier schon mal besprochen wurde), machte trotz des explizit gegenteiligen Anspruchs (dass es nicht darum ginge, die Berechtigung der Philosophie gegenüber den Naturwissenschaften zu verteidigen), genau diesen Eindruck. Er teilt die Aufgabengebiete in der Form auf, dass die Wissenschaft „das, was ist“, zu untersuchen habe, die Philosophie hingegen all das, „was sein soll“. Schon diese Unterscheidung allein ist höchst problematisch, wenn sie mehr sein will als eine Warnung vor dem naturalistischen Fehlschluss; dass aber beim Sollen Experimente nicht helfen würden, sondern man sich auf rationale Argumente stützen müsste (das ja) und begriffliche Analysen (ebenfalls, aber hier ist die Fragwürdigkeit mindestens so groß wie bei den Experimenten), scheint eine eher hilflose Verteidigung philosophischer Besitzansprüche. Denn das was ist, hat einen enormen Einfluss auf das Sollen, ohne eine solche Bestandsaufnahme des Seins neigen Moralphilosophen zu hanebüchenen (und zum Scheitern verurteilten) Ver- und Geboten (wie in den Religionen üblich). Und auch der Exkurs über die Willensfreiheit (in Verbindung mit dem Begriff der Schuld) ist fragwürdig, in dem oben verlinkten Artikel habe ich dazu bereits Stellung genommen.

Wenig wissenschaftlich wirkt der Beitrag von Rafaela von Bredow über das „gewollte Klischee“. Hier versucht sie den Mythos vom Unterschied zwischen Mann und Frau zu analysieren (grosso modo ist sie der Meinung, dass alle Differenzen auf soziale, gesellschaftliche Konventionen zurückzuführen seien). Allerdings kann diese Absicht durch die vorgebrachten Argumente nicht wirklich gestützt werden, da sie im Grunde fast alle Untersuchungen, die zu gegenteiligen Auffassungen gelangen, als durch die gesellschaftlichen Umstände beeinflusst diskreditiert (einzig die wiederholt festgestellte Affinität von Buben im Kleinkindalter zu Feuerwehrautos (und dgl.) im Gegensatz zur Bevorzugung von Puppen durch Mädchen nimmt sie zur Kenntnis, ein Phänomen, das ich im übrigen mit empirischen Daten seitens meines eigenen Nachwuchses belegen kann). Mich langweilen und enervieren solche Ansätze prinzipiell, wobei es zwei feministische Herangehensweisen gibt: Jene, die jeglichen Unterschied leugnen (was Unsinn ist, schon in der Medizin müsste etwa bei der Erprobung von Medikamenten sehr viel stärker auf den Geschlechtsunterschied geachtet werden), und die anderen, die ganz enorme Differenzen, spezifisch weibliche Eigenschaften und Verhaltensweisen meinen feststellen zu können. Mir persönlich blieb eine derartige Erkenntnis bislang verwehrt, es verhält sich hier ähnlich wie mit den vermeintlichen Intelligenzunterschieden verschiedener Ethnien: Selbst wenn solche nachweisbar wären, sind die Unterschiede innerhalb einer Gruppe ungleich größer als die Unterschiede zwischen den Gruppen. Heißt: Selbst wenn (bei aller Fragwürdigkeit von Intelligenztests) sich herausstellen würde, dass etwa Frauen im Durchschnitt besser abschneiden würden als Männer, wäre das völlig bedeutungslos (denn jeder kennt saudumme und hochintelligente Vertreter der jeweiligen Geschlechter). Und so verhält es sich auch mit allen anderen Eigenschaften: Hier werden marginale Unterschiede konstruiert, welche völlig belanglos sind und nur der einen oder anderen Gruppe dazu dienen, das Gegenüber zu diskreditieren. Wichtig sind einzig zwei Dinge: Die bereits (auf dem Papier) verwirklichte Rechtsgleichheit der Geschlechter und die freie Entfaltungsmöglichkeit für jeden einzelnen – egal ob Männlein oder Weiblein. Was impliziert, dass der Staat für jemanden, der seine ihm vorgegebene männliche oder weibliche Rolle (oder was immer man darunter versteht) nicht zu erfüllen die Absicht hat, die Möglichkeit schaffen muss, entsprechend seinen Vorstellungen sich verwirklichen zu können. (In dieser Hinsicht ist noch einiges zu tun.)

Da war ich dann froh, einen klugen und witzigen Artikel von Vince Ebert über das religiöse Denken zu lesen. Nicht, dass hier völlig neue Kenntnisse präsentiert würden (so viel gibt es zur religiösen Einfalt auch nicht zu sagen): Die humor- und geistvolle Darstellung hatte aber einiges für sich. – Alles in allem ein angenehm zu lesendes Buch, informativ, anregend, unterhaltend.


Manfred Spitzer, Wulf Bertram (Hrsg.): Hirnforschung für Neu(ro)gierige. Stuttgart: Schattauer 2013.

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