Robert Musil: Bücher II

Band 8 der Werkausgabe von Walter Fanta. Der Band ist dieses Jahr bei Jung und Jung in Wien und Salzburg erschienen – und den Titel empfinde ich wie schon bei Bücher I als … nun ja, sagen wir: ungelenk. So hätte mein 10-jähriger Neffe – wenn ich denn überhaupt einen hätte – genannt, was ursprünglich Selbständige Veröffentlichungen hätte heißen sollen. Genug des Formalen, gehen wir zum Inhalt über.

Band 8 enthält Musils Veröffentlichungen von 1921 bis 1937. Das ist die Zeit, in der ihn mehr und mehr sein Großroman Der Mann ohne Eigenschaften in Beschlag nimmt, die Zeit auch, in der Musil – der beschlossen hatte, von seiner Schriftstellerei zu leben – zusehends darum kämpfte, ob seiner Arbeit am Mann ohne Eigenschaften bei Publikum und Verlagen nicht ganz in Vergessenheit zu geraten. Wir wissen heute, dass ihm das nur unzureichend gelang. Offen gestanden, überrascht mich das auch nicht bei dem, was Musil hier so neben dem Mann ohne Eigenschaften lieferte.


Da sind zunächst zwei Dramen:

Die Schwärmer (1921)

Die Schwärmer, das ist eine Gruppe nicht mehr ganz junger, aber auch noch nicht alter Leute, Männlein wie Weiblein. Die Handlung ist komplex aufgebaut, da die verschiedenen Personen in immer wechselnden Beziehungen zu einander stehen. Die Handlung spielt in einem Landhaus, das Thomas und Maria geerbt haben, in der Nähe einer Großstadt. Ein Bäumchen-wechsle-dich-Ehebruchs-Drama, in der die Personen – allen voran der schon genannte Thomas – offenbar zu viel Sacher-Masoch gelesen haben, und nun versuchen, sich gegenseitig oder auch sich selber so viele Schmerzen wie möglich zuzufügen. Nicht körperliche zwar, geistig-seelische. Das Hauptvergnügen ziehen die Figuren daraus, einander bei ihren Qualen zuzuschauen und das Leiden (vor allem das eigene Leiden) zu analysieren.

Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer (1924)

Noch eine Ehebruchgeschichte, diesmal als Komödie gestaltet. (Sie wurde – im Gegensatz zu den Schwärmern – noch zu Lebzeiten Musils ein paar Mal einigermaßen erfolgreich aufgeführt.) Auch hier viel Zeittypisches: Der Ennui einer gewissen Haute volée, der in mehr oder weniger bewussten, feinen, sadistischen Spielen mündet. Neben Sacher-Masoch stand hier wohl auch Hugo von Hofmannsthal Pate – immerhin heißt der Titelheld gleich wie der Titelheld von dessen Drama Der Schwierige.

Ob Musils Dramen heute noch aufgeführt werden, entzieht sich meiner Kenntnis. An und für sich könnten sie es jederzeit, denn ich empfinde sie zwar beide als einigermaßen langweilig und wirr, aber Lesedramen im eigentlichen Sinn des Wortes sind es nicht. (Denn auch beim Lesen, wo ich ja vor- und zurückblättern kann, erschließt sich in den Handlungen der Personen kein eigentlicher Sinn jenseits des geistigen Masochismus der Personen.)


Es folgen drei Novellen. Leider schlüsselt das Inhaltsverzeichnis am Ende von Band 8 den Inhalt einer solchen Sammelveröffentlichung nicht weiter auf, ist in dieser Form also nicht brauchbar. Die drei Erzählungen waren schon einzeln erschienen, bevor sie Musil – eben, um sich im Publikum präsent zu halten – 1924 unter dem Sammeltitel Drei Frauen noch einmal veröffentlichte. Bei den drei Frauen handelt es sich um:

Grigia

Noch eine Ehebruchgeschichte. Der Protagonist, ein introvertierter Stadtmensch, reist im Rahmen einer Expedition auf der Suche nach Gold in die Berge der österreichischen Provinz. Dort trifft er Grigia. Teils Langeweile, teils Trieb und daraus folgender Besitzanspruch auf diese Frau verleiten den verheirateten Mann, die ebenfalls verheiratete Grigia zu verführen. Das geht eine Weile lang so gut, wie so etwas eben gehen kann. Doch Grigias Mann ist Bauer, kein Städter. Er kennt die verfeinerten städtisch-masochistischen Regeln des Ehebruchs nicht und bringt die beiden Ehebrecher kurzerhand um.

Die Portugiesin

Diese Erzählung soll wohl das Thema ‚Fremdheit‘ (sowohl geografische wie überhaupt im ganzen Leben) präsentieren. Ich habe sie nicht verstanden, der Handlung nicht folgen können. Zumindest findet, wenn ich das richtig gesehen habe, diesmal kein Ehebruch statt.

Tonka

Wie oben. Offenbar versuchte Musil später den Stoff in den Mann ohne Eigenschaften einzubinden.


Rede zur Rilke-Feier (1927)

Eine der wenigen Reden, die Musil gehalten hat. Anlass war der kürzlich erfolgte Tod Rilkes. Resultat ist ein vorläufiges Résumé der Position der Lyrik in der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart (Musils Gegenwart von 1927). Nicht uninteressant, aber schwierig, zusammenzufassen.


Der Vorstadtgasthof (1931)

Eine – gelinde gesagt – bizarre Erzählung. Einmal mehr mischt sich Sacher-Masoch in eine Liebesgeschichte. Und – in dieser nachdrücklichen Weise einzigartig bei Musil – der Expressionismus.


Nachlass zu Lebzeiten (1935)

Der Versuch Musils, aus vorhandenen Fetzen literarischer Produktion selber noch Kapital zu schlagen, bevor es seine Erben tun würden (tun müssten). Einige nicht ungelungene Vignetten und Beobachtungen, einiges an Kitsch, einiges zum Vergessen.


Über die Dummheit (1937)

Musils letzte selbständige Publikation zu Lebzeiten. Vielleicht – mit Ausnahme des Törleß und des Mannes ohne Eigenschaften – seine interessanteste. Wiederum eine Rede, gehalten 1937 im großen Vortragssaal des Österreichischen Ingenieur- und Architektenvereins, einer der letzten roten Hochburgen im bereits dem Austrofaschismus anheim gefallenen Wien. Musil musste den Vortrag zwei Mal halten, was wohl – wie er selber wusste und zugab – einem Missverständnis, bzw. einer falschen Erwartungshaltung des Publikums zuzuschreiben war, das – durch Titel und Veranstaltungsort irre geführt – Auslassungen Musils zu eben diesem Austrofaschismus erhoffte. Was Musil lieferte, war – mit einer Referenz vor Erasmus‘ Lob der Torheit – eine Theorie der Gefühle, wie er sie zur selben Zeit (in Ulrichs Tagebuch) im Mann ohne Eigenschaften versuchte. Wegen eben dieser Nähe dann nicht uninteressant. Auch die Publikationsgeschichte ist für den späten Musil typisch. Der Vortrag erschien im Bermann-Fischer-Verlag (zu der Zeit im Prinzip Musils Hausverlag) in der Reihe Ausblicke. Den Beginn der Reihe machte 1936 Thomas Mann mit einem Essay Freud und die Zukunft, danach sollte Musils Dummheit folgen, wiederum danach Paul Valérys Politik des Geistes. Warum auch immer: Bermann hielt die Publikationsreihenfolge nicht ein, verzögerte Musil und veröffentlichte ihn schließlich gleichzeitig mit Valéry. Was den Österreicher – warum auch immer – heftigst erboste. Bei aller Erfolglosigkeit des späten Musil: Er war deswegen keineswegs ein einfacher Partner seiner Verleger. Im Gegenteil.


Alles in allem, wie bei einer Werkausgabe nicht anders zu erwarten, einige Goldkörner neben viel Geröll.

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