Mit den 200 Jahren Abstand, die wir ziemlich genau zu dieser Komödie haben, ergibt sich auch eine perspektivische Täuschung. Was aus unserer Sicht nämlich ganz ähnlich aussieht, wie die romantische Komödie eines Ludwig Tieck, mit einem kolossalen Durchbruch der vierten Wand, ja mit einem Auftritt des Autors Grabbe selber, den seine Figuren zuerst gar nicht auf auf die Bühne lassen wollen – was also aussieht wie eine romantische Komödie war für eben diesen Tieck der Grund, mit seinem vormaligen Protégé Grabbe zu brechen. Tieck fühlte sich nämlich – und nicht zu Unrecht – mit dieser Komödie einigermaßen unsanft durch den Kakao gezogen. Denn, was formal daher kommt wie Tiecks Gestiefelter Kater, ist in Tat und Wahrheit – nämlich, wenn wir den agierenden Personen zuhören – grobianische Satire auf eben dieses Stück, auf die vermittelnd-ausbalancierende Ironie der späteren Romantik.
Vordergründig geht es um eine Liebesgeschichte, die beinahe tragisch endet. Um Männer, die um einer Frau willen ihre Seele dem Teufel verschreiben. (Keine wissensdurstige Gelehrten wie Faust, sondern einfach nur geile Böcke.) Neben der eigentlichen Handlung aber, und diese völlig überwuchernd, finden wir immer wieder Szenen, in denen die Protagonisten, allen voran der Schulmeister (er hat keinen eigenen Namen), Rattengift (der Poet) und der Teufel über die Tagesliteratur ebenso herziehen wie über die Klassiker – gerade jene, die die Romantiker so verehrten: Shakespeare, Calderón, Dante, Ariost, Horaz oder Goethe. Zugegeben: Grabbe verschont auch die bêtes noires der Romantik nicht, Schiller oder Klopstock. Aber dies vermochte Tieck, der dafür ein feines Gespür besaß, nicht mit der herben Kritik versöhnen, die Grabbe auch und gerade an dem vornimmt, das ihm so am Herzen liegt. Und wenn die zeitgenössische Literatur als Damenliteratur abgetan wird, so ist das heute zwar nicht mehr politisch korrekt, trifft aber das weichlich-süsslich-versöhnliche auf den Punkt, das das aufkommende Biedermeier signalisiert, worin die Romantik bereits abzugleiten beginnt. Tieck fühlte sich doppelt getroffen. (Er sollte erst viel später selber zum Realisten werden.) Und wenn der Schulmeister über alle neuesten Kritiken auf dem Laufenden ist, so deshalb, weil ihm sein Schwager, ein Fischhändler, die nicht mehr verkäuflichen faulenden Heringe um ein Geringes zustellt – eingewickelt in die Seiten der für nichts anderes brauchbaren Literaturzeitschriften. Der dritte Stoß in Tiecks literarisches Herz.
Und ja: Auch der Teufel kommt vor. Seine Großmutter veranstaltet in der Hölle gerade das jährliche Großreinemachen. Er ist deshalb auf die Erde geflüchtet, wo er aber erst einmal in der August-Hitze erfriert. Es ist dieser Teufel hier eher eine Art komischer Hanswurst. Übernatürliches vollbringt er nicht, wenn man davon absieht, dass der Erfrorene wieder lebendig wird. Eine Art umgekehrter Titan verliert er seine Kraft, wenn er mit nacktem Huf (denn er hat einen Pferdefuß) auf den Boden tritt, weshalb sein Huf sogar einmal im Stück beschlagen werden muss. Der Schulmeister ist in der Lage, ihn einzufangen und in einen großen Vogelkäfig zu sperren, in den er vorgängig als Köder die Werke Casanovas gelegt hat. (Und selbst dann zögert der Teufel, weil er im Schulmeister, der davon lebt, Kinder zu schlagen, gleich in der Nähe steht, weshalb der Teufel etwas noch viel Verdorbeneres als den alten Schwerenöter Casanova riecht.) Dieser Teufel ist, gerade dann, wenn er ebenfalls über die klassische oder die zeitgenössische Literatur herzieht, nachgerade ein Mensch wie du und ich. Oder zumindest ein Metakritiker wie du und ich.
Fazit: Das Stück wird meines Wissens auch heute noch von Zeit zu Zeit aufgeführt. Durchaus verständlich, denn es ist immer noch so destruktiv-witzig wie zu seiner Entstehungszeit – am Literaturbetrieb hat sich seit dem frühen 19. Jahrhundert wenig geändert.
„Eine Wiese. Tagesanbruch.
Der Freiherr Mordax geht spazieren, ihm begegnen dreizehn Schneidergesellen, er macht sich die Serviette vor und schlägt sie sämtlich tot.“