Barthold Heinrich Brockes: Irdisches Vergnügen in Gott. Siebenter und Achter Teil. (= Werke, Band 5)

Nach beinahe fünf Jahren Pause erschien nun dieses Jahr endlich der nächste, der fünfte Band der kritischen Ausgabe der Werke des Hamburger Senators Barthold Heinrich Brockes. Eine Erklärung für die lange Pause wird nirgends gegeben; rein inhaltlich will mir nicht scheinen, dass eine kritische Edition der Teile 7 und 8 des Irdischen Vergnügens in Gott so viel komplexer gewesen sein könnte als die vorher gehenden Teile. Im Gegenteil: Da wir uns nun dem Lebens- und somit dem Schaffensende von Brockes nähern, sollte es im Grunde genommen einfacher sein, die Ausgabe letzter Hand mit ihren Vorgängern zu vergleichen, und Handschriften existieren offenbar sowieso keine mehr. Ja, im Grunde genommen gab es gar keine Vorgänger der Ausgabe letzter Hand (die für den Herausgeber Jürgen Rathje die jeweils maßgebende ist), denn Teil 7 erschien 1743, Teil 8 dann 1746; und von beiden Teilen gab es zu Brockes’ Lebzeiten (er starb 1747) nur je eine Ausgabe, wenn auch von Teil 8 offenbar in zwei von einander abweichenden Drucken, wovon Rathje dann die erste nimmt).

Nun wir wollen uns nicht allzu lange über diese mangelnde Information aufhalten: Es ist ja schön zu sehen, dass es noch kritische Werkausgaben gibt, die nicht einfach verschwinden oder ihre kritische Mission ablegen müssen, um überhaupt noch erscheinen zu können. Und Rathje hat auch in diesem Band seiner Brockes-Ausgabe philologisch einwandfreie Arbeit geleistet.

In den Teilen 7 und 8 nun sehen wir den Hamburger zusehends unter dem Einfluss englischer Autoren: ein heute unbekannter Thomson, aber auch Pope und Shaftesbury (die er beide übersetzt hat), auch Isaac Newton und dessen neue Physik nehmen eine prominente Rolle ein. Allerdings scheint er letztere durch ein ‘Abstract’ von Voltaire kennen gelernt zu haben.

Thomson hat den Hamburger auch dazu verführt, diesmal seine Naturlyrik konsequent nach den vier Jahreszeiten zu ordnen und ihnen diese als eine Art Kapitelüberschriften beizulegen. Erst ganz am Schluss folgen jeweils noch ein paar Seiten vermischter Gedichte. Teil 7 unterscheidet sich von 8 dadurch, dass Brockes hier sein Leben als Amtmann in Ritzebüttel (heute, wenn ich mich nicht täusche, ein Stadtteil von Cuxhaven, damals hamburgisches Hoheitsgebiet, das von einem lokal residierenden, aber aus der Hamburger Senatorenschaft stammenden Amtmann geführt wurde) zum Vorwurf seiner Gedichte hat. Diese unterscheiden sich denn auch signifikant von den vorhergehenden und auch von denen in Teil 8. Zum einen ist natürlich der Raum des Amtsmanns größer. Dieser war ja auch eine Art Gutsherr und hatte als solcher die Aufsicht über einen landwirtschaftlichen Betrieb. Das fließt in Brockes’ Gedichte ein, wo nun nicht nur ein Garten die Natur repräsentiert, sondern ein ganzer Bauernbetrieb. Dementsprechend gehen auch Brockes’ Sujets ins Große: Äcker, Felder, Wälder, Pflüge, Pferde etc. Ja, zum praktisch ersten und einzigen Mal kommen auch Menschen in größerer Zahl und Regelmäßigkeit vor. Dies und die zeitliche Anordnung der Gedichte machen, dass wir in Teil 7 schon fast eine Art Handlung vor uns haben. (Ich vermute, dass Arno Schmidt, der an Brockes rühmte, dass er der einzige wahre Naturalist gewesen sei, weil in seinem Werk keine Menschen und keine Handlung vorkomme, dessen Irdisches Vergnügen in Gott nie bis Teil 7 gelesen hat.)

Außerdem ist noch in keinem Teil die physikotheologische Seite seines Denkens so herausgekehrt worden, wie hier. Praktisch in jedem Gedicht wird betont, wie gut es doch der liebe Gott mit dem Menschen meint, wie dieses und jenes zu seinem Besten angeordnet ist. (Ich vermute, dass dies von Brockes’ Seite her ein wenig kontrafaktisches Sich-Selber-Überreden war. Er erlebte in Ritzebüttel nicht nur einen der kältesten Sommer seines Lebens, was vor allem natürlich den Ertrag seines Gutshofs beträchtlich minderte; auch seine geliebte Frau starb dort – was ihm wohl, so der Herausgeber Rathje, den Aufenthalt dort definitiv vergällte.)

Im 8. Teil ist Brockes dann jedenfalls wieder zurück in Hamburg, und eines seiner ersten Gedichte gilt seinem dortigen Garten, den er seit sechs Jahren nicht mehr gesehen hat, und der immer noch in bester Ordnung steht. Zwar sind dann auch hier die Gedichte nach Jahreszeiten geordnet, aber etwas penetrant predigende Ton der Gedichte aus Teil 7 wird deutlich gemildert. So oder so aber haben wir in keinem der beiden Teile ganz große Gedichte von ihm. Das Irdische Vergnügen in Gott war nun wohl doch etwas ausgelaugt …

Zumindest, was die Biografie des Barthold Heinrich Brockes betrifft, aber immer noch lesenswert.


Bartold Heinrich Brockes: Irdisches Vergnügen in Gott. Siebenter und achter Theil [im Original: Siebender!]. Herausgegeben und kommentiert von Jürgen Rathje. [= Ders.: Werke. Band 5]. Göttingen: Wallstein, 2021

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert