Wenn man das erste Kapitel dieses Buchs liest – es trägt völlig zu Recht den Titel Überdruss –, wird man das Gefühl nicht los, hier schreibt ein Getriebener, ein Gehetzter, ein Gejagter. Wer oder was ihn treibt, hetzt, jagt, wird aber nicht klar. Das legt sich ein wenig in späteren Kapiteln, aber eine gewisse Unruhe bleibt spürbar. Das kann auch daran liegen, dass dieses Buch nicht eine einzige Reise beschreibt, sondern von Maupassant zusammen gesetzt wurde aus größeren und kleineren Reise-Vignetten, die er zum Teil bereits früher in Zeitschriften veröffentlicht hatte. Er brachte diese Vignetten dann in eine Anordnung, die in etwa sogar eine Reiseroute darstellen könnte.
Kapitel 1 also sieht den gehetzten Autor auf der Flucht. Er flieht nämlich vor dem gerade erstellten Eiffelturm und der Weltausstellung aus Paris. Nun mochten auch andere Zeitgenossen weder den einen noch die andere, zum Beispiel die Goncourts. Die aber begnügten sich damit, sich in ihr Haus in der Vorstadt zurückzuziehen und dort das Ende des Rummels abzuwarten. Maupassant nun findet den Eiffelturm weder ästhetisch ansprechend (eigentlich findet er ihn hässlich), womit er nicht der einzige im damaligen Paris ist. Er findet ihn vor allem gesellschaftlich widerlich, weil er alte soziale Gepflogenheiten zerstört. Man trifft sich nicht mehr in einem Kaffeehaus oder Restaurant – man trifft sich ‚auf dem Eiffelturm‘. Man lädt seine Freunde nicht mehr zu sich zum Abendessen ein – man trifft sich dafür ‚auf dem Eiffelturm‘. Maupassant sieht einen ästhetischen Weltuntergang kommen:
Die Künste […] verschwinden. Selbst der Elite der Nation geht das Verständnis für sie verloren. Sie hat ohne Protest zugesehen, wie der Dom und einige benachbarte Gebäude in der haarsträubendsten Weise herausgeputzt werden. Der moderne italienische Geschmack ergreift von uns Besitz, und die Ansteckungsgefahr ist groß, daß die den Künstlern vorbehaltenen Ecken in diesem großen, eben zu Ende gegangenen Volks- und Bürgerbasar einen marktschreierischen, reklameartigen Anstrich bekamen.
Die Klage ist in ihren Grundtönen bekannt: Es ist die alte künstlerische Garde, die soeben abgelöst wird von einer neuen und nun der Entwicklung weder folgen kann noch mag. Jedenfalls nicht bewusst – interessanterweise werden wir in diesem „Reisebericht“ Kapitel finden, in denen der Naturalist Maupassant durchaus impressionistisch zu Gange ist.
Maupassant also flieht. Er flieht nicht nur aus Paris, er flieht gleich aus Frankreich. Er flieht auf sein Segelschiff Bel ami, das im Hafen von Cannes liegt und läuft aus – der Riviera entlang Richtung Italien. Das zweite Kapitel der Irrfahrten schildert, wie er in der ersten Nacht auf dem Schiff bereits die Ruhe des Meers wieder erfährt und sich sein ganzer aufgewühlter Organismus beruhigt.
In den folgenden Kapiteln spielt dann die Bel ami keine Rolle mehr, was ganz einfach daran liegt, dass Maupassant nun Vignetten aus anderen Reisen einfügt, bei denen er nicht im Schiff unterwegs war und mehr als nur ein paar Küstenorte besucht hat. Er erzählt von Besuchen in Florenz und in Venedig, dann in Neapel. Kein Wort hingegen über Rom. Als Reiseschriftsteller ist Maupassant nur bedingt brauchbar. Er sieht zwar die Architektur der Städte, sieht auch deren Einwohner – aber er schildert vorwiegend die Impressionen, die diese bei ihm hinterlassen. Landschaften – wenn es nicht die Weite und Bläue des Meeres ist – lassen ihn kalt; er spricht kaum darüber. Im Grunde genommen ist er doch nur (ein hoch empfindsamer zwar, aber dennoch nur) ein Tourist, der Land und Leute zur eigenen Ergötzung besucht und seine Impressionen auch gern mit Angelesenem anderer ‚Dichter und Denker‘ unterfüttert. Das ändert sich auch nicht bei seinem Besuch Siziliens. Und in Algier bzw. in einigen Städten Tunesiens sind es die Bordelle, die ihn interessieren (natürlich rein wissenschaftlich) und eine Irrenanstalt, in der Männer gehalten werden, die sich mit dem Rauchen von Haschisch (er präzisiert: Kif, die stärkste Form von Haschisch) um den Verstand gebracht haben.
In diesen Schlusskapiteln ist er offenbar wieder mit seinem Segelschiff unterwegs, aber die wichtige Rolle einer Seelentrösterin hat die Bel ami hier nicht mehr. (Auch wenn man den Verdacht nicht los wird, dass er sein Schiff mehr liebte als je eine Frau …)
Alles in allem erfährt man mehr über Maupassant selber und über den Zustand der französischen Literatur um 1890, als über die Städte und Länder, die der Autor besucht hat. Vielleicht ist der Text aber gerade deswegen interessant.