Julius von Soden: Doktor Faust. Volks⸗Schauspiel

Holzschnittartiges, auf dicker brauner Pappe (dem Bucheinband) gedrucktes Bild, das von links nach rechts einen kugelförmigen Vogelkäfig zeigt (allerdings leer), einen Mann mit altmodischer Kopfbedeckung, Kleidung und Vollbart (= Faust, der ein Buch in der linken Hand hält; die rechte mit einem Stock sieht man nur teilweise), dahinter eine Art zweiflügeliges Butzen-Fenster, auf einem an der Wand befestigten Brett einen altmodischen Reisekoffer und einen mit seltsamen Zeichen gefüllten Ring, darunter hängt ein Kruzifix. Der Teufel, den Faust soeben beschworen hat, ist im gewählten Ausschnitt des Buchcovers nicht zu sehen. Das Bild wurde ursprünglich 1631 bei der ersten Ausgabe des Schauspiels «The Tragicall History of the Life and Death of Dr Faustus» von Christopher Marlowe verwendet. – Ausschnitt aus dem Buchcover.

Auf dieses Drama hat mich Gerhard Kaiser in seiner Geschichte der deutschen Literatur von der Aufklärung bis zum Sturm und Drang hingewiesen. Das geschah bei ihm im Zusammenhang mit Goethes Götz von Berlichingen bzw. der auf dessen Erfolg einsetzenden Flut von Ritterdramen in Deutschland. Unter diesen Sekundär- und Tertiärrittern befindet sich auch einer des Julius von Soden. Als Anhängsel zu Sodens Rittertragödie erwähnt Kaiser dann den nun hier vorliegenden Doktor Faust. Das Drama erschien 1797; mehr erfährt man darüber in Kaisers Buch ansonsten nicht.

Da ich eine Zeitlang den Teufelsgestalten in der Literatur nachgegangen und dabei natürlich auf viele Versionen der Faust-Geschichte gestoßen bin, hat mich der Hafer gestochen und ich ging auf die Suche. Noch einen Mephisto in meiner Sammlung zu haben, wäre doch spannend. Die Suche gestaltete sich aber nicht ganz einfach. Zum einen war Soden ein Vielschreiber, der viele und völlig unterschiedliche Themen behandelt hat. So befindet sich unter seinen Werken auch einiges zur Nationalökonomie. Im Buchhandel gibt es seinen Doktor Faust selbstverständlich nicht mehr, aber selbst antiquarisch ist er kaum noch zu finden. Das mag auch daran liegen, dass der Name des Autors in verschiedenen Varianten geführt wird und er zusätzlich noch einen Namensvetter hat, der vor allem als Kolonialpolitiker und -theoretiker auftrat. Dies erschwert eine Suche ziemlich. Jedenfalls brauchte ich mehrere Anläufe. Schließlich hatte ich aber Glück und fand für nicht allzu viel Geld das vor mir liegende Büchlein. Es erschien 1931 als N° 1 in der Reihe Fränkische Neudrucke der Dichtung und der Erzählung bei Ph. E. W. Schmidt in Neustadt a. d. Aisch. (Meines Wissens ist die Reihe nie über die N° 1 hinausgekommen.)

Das Erscheinungsjahr des Büchleins ist nicht umsonst gewählt. Der 12. Juli 1931 war nämlich der 100. Todestag des Autors – jedenfalls gemäß Titelblatt des Herausgebers Dr. Christoph Beck (Wikipedia gibt ein anderes Sterbedatum an). Dieser Herausgeber hat im Übrigen noch eine litteraturgeschichtliche Einleitung verfasst, und mein Exemplar enthält sogar eine handschriftlich mit Tinte eingeschriebene Widmung an einen verehrten Amtsgenossen des Herausgebers, dessen Namen ich trotz der ansonsten sauberen Sütterlin-Schrift nicht entziffern kann.

Nun aber zu unserem Drama.

Soden gibt sich wirklich Mühe. Obwohl unser Herausgeber vor allem eine gewisse Abhängigkeit vom Faust-Roman Friedrich Maximilian Klingers behauptet (hauptsächlich weil Soden wie Klinger den Tausendkünstler Faust mit dem Buchdrucker Fust in einen Topf wirft), muss er zugeben, dass Sodens Werk auch weitere Einflüsse verarbeitet. Tatsächlich sind da sehr viele festzustellen – von Autoren ganz unterschiedlicher Provenienz und Ausrichtung: Aufklärung, Sturm und Drang, ja selbst die frühe Romantik haben ihre Spuren hinterlassen.

Dennoch ist Soden eine gewisse Originalität nicht abzusprechen.

  • So führt er zum Beispiel einen Gegenspieler ein zum teuflischen Mephistopheles, einen guten Schutzgeist namens Ithuriel. Das ergibt zwei oder drei Konfrontationen der beiden Mächte, die mehr erwarten lassen. Weil aber Faust unterzugehen hat (von Goethes Methode der Rettung wusste Soden 1797 noch nichts), verschwindet Ithuriel gegen Schluss mehr oder weniger in der Versenkung.
  • Oder dann lässt Soden seinen Faust den Teufelspakt eingehen, damit er – gute Werke tun kann. Doch die guten Werke sind nur auf den ersten Blick gut. Auf Dauer führen sie zu noch größeren Katastrophen für die Leute, die Faust gerettet glaubte, weil halt der Teufel seine Finger in den vermeintlich guten Taten hatte. Ein Gedanke, der vertieft ausgeführt hätte werden können.
  • Sodens Faust sodann hat nicht nur eine Geliebte, die er verlassen hat, er hat sogar einen praktisch erwachsenen Sohn. Das gäbe bei Licht betrachtet gewisse Probleme in der Zeitlinie (so müsste seine Geliebte wohl nicht das unschuldige junge Mädchen sein, als das wir sie sehen, sondern eine reife, vielleicht sogar verbitterte Frau), aber Soden geht darüber stillschweigend hinweg.
  • Faust beschwört drei Geister der Vergangenheit herauf, darunter Sokrates. Aber die Ratschläge, die Sokrates ihm geben kann, sind trivial.
  • Zum Schluss wird Faust gar einer der Rädelsführer des Bauernaufstandes. Allerdings gehen dann seine Ansichten und die der Bauern rasch auseinander, und nur der Teufel kann ihn davor retten, vom Volk gelyncht zu werden. (Ob Eisler diese Version kannte?)
  • Fausts Rettung vor dem Mob aber dient dann nur dazu, dass Faust im folgenden Aufzug in seinem alten Studierzimmer vom Teufel geholt werden kann, und man fragt sich: Warum so kompliziert, mein Freund?

Anders gesagt: Soden hat einige nicht üble Ideen – im Grunde genommen sogar deren zu viele. Sie behindern sich gegenseitig, indem sie einander keine Zeit zu einer gehörigen Ausführung lassen. Letzteres liegt aber auch daran, dass Sodens dichterisches Können nicht ausreicht, selbst einzelne Szenen in sich geschlossen und fertig auszuführen. Er tönt an und – springt weiter.

Summa summarum: Als literaturgeschichtliche Rarität ganz interessant. Aber man versteht, warum – trotz der vorliegenden Festschrift – Soden als Dichter vergessen ging.

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 14

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