Edward Brooke-Hitching ist der Sohn eines Antiquars und Sammlers alter Landkarten. Er scheint die Vorliebe seines Vaters für Ausgefallenes – und für Landkarten jeder Art! – geerbt zu haben. Seit 2015 veröffentlicht er in regelmäßigen Abständen Bücher zu abgelegenen Themen oder dann zur Kartografie mehr oder weniger seltsamer Orte:
- Fox Tossing, Octopus Wrestling and Other Forgotten Sports.
- The Phantom Atlas: The Greatest Myths, Lies and Blunders on Maps.
- The Golden Atlas: The Greatest Explorations, Quests and Discoveries on Maps.
- The Sky Atlas: The Greatest Maps, Myths and Discoveries of the Universe.
- The Madman’s Library: The Greatest Curiosities of Literature.
- The Devil’s Atlas: An Explorer’s Guide to Heavens, Hells and Afterworlds.
Das (vorläufig?) letzte Buch in dieser Reihe ist das hier vorliegende, auf Deutsch Der Atlas des Teufels. Ich bin mit diesem Titel nicht ganz glücklich. Das liegt für einmal nicht an der Übersetzung; schon der englische Titel weist die von mir monierten Probleme auf.
Da ist zum ersten der Umstand, dass „ein Atlas von einer Person“ eine zumindest sehr seltsame Redewendung darstellt, denn wenn ein Atlas eine irgendwie grafisch gestaltete Repräsentation eines geografischen Ortes ist (und so verwendet man heute den Begriff meistens), dann kann ich mir einen Atlas von einer bestimmten Person so gar nicht vorstellen. Ein Atlas von Franz Josef Strauß zum Beispiel (obwohl es da genug zu kartografieren gegeben hätte!) ist schlicht ein sprachliches Unding. Allenfalls könnte ich mir einen Atlas des Rindes vorstellen – in dem Sinne nämlich, wie schon vor dem Internet überall stilisierte Silhouetten von Rindern existiert haben und noch existieren, in denen die einzelne Körperteile eines Rinds markiert und mit den Namen versehen werden, die ein Metzger dafür verwendet bzw. die das Fleisch des Rinds im Verkauf trägt. Aber beim Teufel geht das irgendwie ja auch nicht.
Problem N° 2 betrifft dann den Zusammenhang von Titel und Inhalt. Das Buch handelt nämlich von den Vorstellungen, die verschiedene Kulturen bzw. Religionen darüber haben und hatten, was mit dem Menschen (seiner „Seele“) nach seinem Tod passiert. Der Teufel ist da nur eine von vielen Figuren, die Kulturen in aller Welt mit dem Jenseits verbunden haben. Besser wäre es schon von der Hölle zu sprechen – und wenn man im Titel präzise und nicht marktschreierisch hätte sein wollen, hätte man den Untertitel zum Haupttitel machen müssen: Eine Erkundigung des Himmels, der Hölle und des Jenseits. (Und man merkt, dass hier der Himmel nicht mehr im astrologischen Sinne gemeint ist, wie es im Atlas des Himmels noch der Fall war.
Auch bei Problem N° 3 geht es um eine Diskrepanz zwischen Titel und Inhalt. Hier nun meine ich das Wort Atlas. Ja, die Menschen haben Karten gemacht, wie sie sich die Topografie des Jenseits in ihrer Kultur, in ihrer Religion, vorstellen, oder vorgestellt haben: Brooke-Hitching stellt solche Gedanken über sämtliche Kontinente hinweg und viele Jahrhunderte, ja Jahrtausende zurück vor (er setzt im alten Ägypten ein). Nur sind in vielen Fällen die Jenseitsvorstellungen, die da existier(t)en, topografisch mit Absicht sehr vage gehalten. Auch Dichter helfen diesbezüglich meist nicht viel weiter. Selten genug gibt es einen Autor wie Dante Alighieri, der in seiner Divina Commedia die Hölle, den Läuterungsberg und das Paradies so präzise schildert, dass man danach Karten zeichnen könnte, ja, wirklich auch Karten angelegt hat. (Dante ist nebenbei gesagt, nicht nur der schlagende Beweis, dass sich schon ‚das Mittelalter‘ die Erde als Kugel vorgestellt hat, er hat auch etwas ganz anderes im Bewusstsein der Christenheit zementiert: den eben genannten Läuterungsberg. Zugegeben, dass er ihn (bzw. das Fegefeuer) nicht erfunden hat, aber dank seines Werks drang dieser Idee tief ins Denken der Christen ein. Die katholische Kirche, die sehr wohl wusste, dass es dafür keine Belegstellen in der Bibel gibt, nahm den Glauben ans Fegefeuer dankbar an, erlaubte der ihr doch, durch den Handel mit Abläßen einen schönen Batzen Geld zu verdienen. Erst im 20. Jahrhundert hat Papst Johannes Paul II. zaghaft öffentlich zugegeben, dass es keine Hinweise auf die Existenz eines Fegefeuers gebe. Was nicht ausschließe, dass es ein solches doch geben könnte. Aber ich bin abgewichen.) Zurück zum eigentlichen Thema, dem Problem N° 3. Was Brooke-Hitching an der Stelle von Karten nun liefert, sind bildliche Darstellungen des Paradieses, der Hölle und deren Äquivalente in anderen Religionen. Da sind knallbunte hinduistische Repräsentationen des Jenseits, aber auch, um in unserem Kulturkreis zu bleiben, zum Beispiel William Blakes geniale Illustrationen zu Miltons Paradise Lost, oder Gustave Dorés Illustrationen zur Divina Commedia. (Wobei hier, S. 213 der deutschen Ausgabe, ich weiß nicht wem, ein kolossaler Lapsus passiert ist. Es heißt in der Bildbeschreibung nämlich: Dieser romantische Stahlstich von Gustave Doré zu Gesang 34 des Paradiso zeigt den Moment, als Dante und Vergil ins Empyrion, den höchsten Himmel und Wohnsitz Gottes blicken dürfen. Nur, dass Vergil als Heide nicht ins Paradies eintreten durfte, und dessen Rolle als Führerin Dantes fürs Paradies von Beatrice übernommen worden war …)
Je nun. Man kann nicht alles kennen und nicht alles wissen. Dass allerdings der Engländer Brooke-Hitching den Engländer John Bunyan und dessen Pilgrim’s Progress from This World, to That Which Is to Come mit keinem Wort erwähnt, erstaunt dann doch – um so mehr, als Bunyan einer der wenigen ist, der sehr genaue topografische Angaben zum Weg seines Christian gemacht hat, Angaben, nach denen auch Landkarten gezeichnet worden sind.
Last but not least finde ich es problematisch, wenn – und damit bin ich bei Problem N° 4, dem letzten – die christlichen Begriffe von Hölle, Fegefeuer oder Paradies auch auf die Jenseitsvorstellungen anderer Kulturen und Religionen übertragen werden. Aber der Limbo Dantes zum Beispiel, in dem die tugendhaften Heiden sitzen, ist zwar ganz ähnlich ausgestaltet wie der Hades der alten Griechen – ganz identisch sind die beiden aber nicht. Brooke-Hitching deutet das zwar an – aber nur ganz zart und nicht in jedem Fall. Hier fehlte dem Autor offenbar der Platz oder das kritische Bewusstsein, um präzisere Erläuterungen zu geben. Schade.
Man sieht: Ich freue mich bedeutend weniger über den Atlas des Teufels als über den des Himmels. Was das Buch herausreißt, sind die großzügigen Illustrationen aus aller Herren Länder und aller Herren Zeiten. Insofern kann ich das Buch sehr wohl empfehlen. Für eine Geschichte des Teufels aber verweise ich nach wie vor auf Gustav Roskoff.
Edward Brooke-Hitching: Der Atlas des Teufels. Aus dem Englischen von Lutz-W. Wolff. München: Knesebeck, 2022.