Jean-Paul Sartre: Le Diable et le bon Dieu [Der Teufel und der liebe Gott]

Schwarz-weißes Szenenfoto aus der Uraufführung des Stücks im Jahr 1951 (Regie: Louis Jouvet, Bühnenbild: Félix Labisse, Fotografie: Roger Viollet). Links die untere Gesichtshälfte des Schauspielers Pierre Brasseur (Goetz); rechts das Gesicht der Schauspielerin Maria Casarès (Hilda). Im Hintergrund die Kulissen eines gotischen Gewölbes. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Zum Kauf und zur Lektüre dieses Dramas von Jean-Paul Sartre hat mich zunächst einmal natürlich der Teufel im Titel verführt; er passte so schön in meine lockere Reihe von literarischen und theoretischen Werken, die sich mit diesem Thema befassen. Allerdings kommt der Teufel im Stück selber nur im übertragenen Sinn vor – was wiederum zwingend ist, wenn eine der Botschaften des Textes jene ist, dass es keinen Gott gibt. Dann kann es ja auch keinen Teufel geben.

Als Gymnasiast und noch als Student in den ersten Semestern habe ich einiges von Sartre gelesen. Dieses Stück hier allerdings nicht, was mich im Nachhinein doch erstaunt, betrachtete ich mich doch zu jener Zeit als eine Art letzten Existenzialisten. Allerdings neigte ich damals mehr zu Camus und dessen Theorie des Absurden als zu Sartre oder gar Jaspers oder Malraux – von Heidegger ganz zu schweigen. Allenfalls Kierkegaard (der ja auch Camus am nächsten stand) ließ ich mir gefallen.

Die Lektüre von Le Diable et le bon Dieu hat mir nun im reiferen Alter gezeigt, warum ich – sozusagen instinktiv – Sartre weniger mochte. Wir haben ein Lehrstück vor uns in der Nachfolge von Bertolt Brecht. Dessen beiden Stücke Der gute Mensch von Sezuan (1939) und Herr Puntila und sein Knecht Matti (1940) sind denn wohl auch die nächsten Verwandten dieses Dramas von 1951. Allen drei Stücken ist gemeinsam, dass sie dem Publikum eine Lehre erteilen wollen in Bezug auf das Verhältnis von Gut und Böse. Der gute Mensch kann nicht einfach nur gut sein, sondern muss einen ‚bösen‘ Teil von sich abspalten, damit er überhaupt überleben kann. (Dass Brecht den guten, aber schwachen Menschen als Frau, den bösen, aber starken Menschen als Mann darstellt, soll er mit seinem eigenen Gewissen ausmachen …) Der Herr Puntila zeigt diese Spaltung ebenfalls. Sobald er betrunken ist, wird er zum Freund seiner Bediensteten, was er bereut, wenn er wieder nüchtern ist. Zum Schluss zieht Matti weiter, weil er mit diesem Wankelmut nicht leben kann.

Sartre übernimmt nun (ob wissentlich oder nicht, kann ich nicht sagen) Aspekte beider Brecht-Stücke in sein eigenes. Die Handlung spielt zur Zeit der deutschen Bauernkriege, zunächst in und um Worms, später auf den fiktiven Ländereien des Protagonisten Goetz. Sartre wird den Namen wohl bei Goethe gefunden haben; sein Goetz hat aber weder mit dem Goethes noch mit dem realen viel gemein. Er ist, was man später einen Condottiere nennen würde, der Anführer einer Privatarmee, die er mal dieser, mal jener Seite im Krieg vermietet. Er wird als bâtard dargestellt, als Bastard – will sagen: außer- oder unehelicher Sohn einer adligen Mutter. Damit steht er zwischen den Fronten: weder vom Adel als seinesgleichen akzeptiert, noch von den Bauern als ihresgleichen. Der Adel nimmt in diesem Stück die Rolle der Kapitalisten im klassischen Marxismus ein, die Bauern stellen die Werktätigen dar. (Zu Beginn, in Worms, kommen zwar noch der Klerus vor und die Bürger der Stadt, aber Sartre ist nicht an einer historisch korrekten Darstellung der Ständegesellschaft des ausgehenden Mittelalters interessiert und lässt die Bürger und den Klerus von Worms zusammen mit der ganzen Stadt bald fallen. Seine Protagonisten sind Figuren eines ideologischen Schachspiels des 20. Jahrhunderts.)

Im ersten der drei Akte sehen wir einen aus Prinzip bösen Goetz. (Ich verzichte darauf, ‚gut‘ und ‚böse‘ jedes Mal zwischen Anführungszeichen zu stellen, um darauf hinzuweisen, dass wir hier nur eine allenfalls höchst rudimentäre moralische oder ethische Diskussion führen, dass diese Begriffe hier bei Sartre nur Spielmarken sind.) Er geht Allianzen ein und bricht sie, wie andere ihr Frühstücksbrot brechen. Auf die Frage, warum er denn immer nur das Üble tue, gibt er zur Antwort: Weil das Gute schon getan sei, nämlich von Gott-Vater. So bleibe ihm nur die Erfindung – das Böse eben. Als man ihm am Ende des ersten Aktes begreiflich machen kann, dass er so immer nur dem Adel in die Hände spielt, der so oder so gewinnen wird, macht Goetz eine Kehrtwendung um 180°. Er wird nun der Gute, verschenkt seine Ländereien an seine Bauern und predigt Liebe. Es dauert einen Moment, bis er seine Bauern von seiner neuen Rolle überzeugt hat. Unterdessen geht der Krieg weiter; auch Goetz’ Bauern müssen Stellung beziehen und sich gegen ein Heer des Adels wehren. Goetz seinerseits bleibt bei seiner Position des Guten und weigert sich, die Bauern anzuführen. Es kommt, wie es kommen muss: Die in Kriegsführung und Taktik unerfahrenen Landleute werden zusammengehauen – es gibt 20‘000 Tote. Erst jetzt kommen Goetz Gewissensbisse. Er verzichtet auf die Rolle des Guten, weil Gott ja tot ist (er, Goetz, habe ihn umgebracht; womit Sartre wohl einen Gewissenskampf des Condottiere andeuten will). Man könne deshalb weder gut noch böse mehr sein. Statt dessen ergreift Goetz die Partei der Bauern und führt sie in die nächste Schlacht. Finis operis.

Man merkt es den Figuren größtenteils an, dass sie einfach Teile eines intellektuellen Schachspiels sind. Ich kann mir vorstellen, dass mein jüngeres Ich dieses Stück so weit gemocht hätte, denn seine ‚Moral‘ ist simpel und einleuchtend. Das Lavieren zwischen dem, was man traditionell gut und böse nennt, ist das einzige, das dem Menschen bleibt, das Handeln, der Einsatz für die Schwächeren im marxistischen Sinn.

Dass ich Sartre dennoch (ich möchte fast sagen: instinktiv) weniger rezipierte, liegt vielleicht daran, dass ich bei ihm etwas heraus spürte, das ich damals schon nicht mochte: Diese Schwächeren in marxistischen Sinn – und hier kommt Sartre in gefährliches Fahrwasser, was ich so auf die Schnelle aber nirgends beschrieben gefunden habe – brauchen offenbar zwingend einen starken Mann, der sie führt. (Ja, einen Mann, denn die Frauen sind in diesem Stück allesamt zu schwach – gleichgültig, ob sie gut oder böse sind: Sie sind immer Opfer.) 1951 schaute Sartre meines Wissens immer noch zu Stalin auf, und im Prinzip heißt er hier die stalinistische Form des Marxismus gut, den starken Anführer, der auch über Leichen zu gehen weiß. Das Stück hat einen üblen Beigeschmack und propagiert eine zu einfache Lösung, wie ich finde.

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