Claude Cueni: Script Avenue

Auf hellem Hintergrund in der Mitte des Bildes ein Schaf, in der linken oberen Ecke das Wort "roman". - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Claude Cueni wurde zuerst bekannt als Drehbuchautor für diverse Folgen von deutschen TV-Kriminal-Serien. Daneben schrieb er (zumindest das Drehbuch, vielleicht programmierte er auch selber, so genau weiß ich das nicht) frühe interaktive Computer-Spiele. Später schrieb er drei historische Romane, die sich im weitesten Sinn alle mit dem Thema ‚Geld‘ befassten, und von denen schon der erste zu einem Welt-Bestseller wurde. Weitere historische Romane folgten. Dann starb seine erste Frau und bald darauf wurde bei ihm Leukämie diagnostiziert. 2014 veröffentlichte er Script Avenue, das (auch) diese beiden Ereignisse thematisiert. Script Avenue gilt als autobiografischer Roman, und tatsächlich sind die oben genannten Eckdaten auch für den Ich-Erzähler des Romans gültig. Ob und wie weit der Roman autobiografisch ‚korrekt‘ ist, kann ich nicht entscheiden; ich weiß zu wenig über Cueni. Deshalb werde ich im Folgenden immer zwischen dem Autor Cueni und seiner Figur des Ich-Erzählers unterscheiden.

Dieser Ich-Erzähler kam in einem kleinen Dorf im (damals noch zum Kanton Bern gehörenden, aber französischsprachigen) Jura zur Welt. Es war eine triste Welt, auf die der Junge da kam. Die Dorfgemeinschaft schottete sich gegen alle Einflüsse von außen ab. Man war stockkatholisch, so katholisch, dass man die Reform der Messe ablehnte und die lateinische Version beibehielt. So katholisch, dass alle irgendwie gearteten Zeichen von körperlicher Begierde oder gar deren Befriedigung tabuisiert wurde. Das Resultat dessen war, so lässt der Ich-Erzähler durchblicken, dass die Männer nicht nur ihre Schafe penetrierten, sondern auch ihre Cousins oder ihre jüngeren Brüder. (Frauen, außer der eigenen, ließ man(n) hingegen in Ruhe, denn eine Schwangerschaft hätte ein Problem auch für den Schwängerer bedeutet.) Die Kinder wuchsen in einer Atmosphäre ohne Liebe auf, dafür mit viel Schlägen. Vor allem die Väter kamen und gingen, wie es ihnen passte – und wenn sie einmal da waren, bedeutete das nicht nur noch mehr Schläge sondern auch viel Alkoholkonsum. (Den wird der Ich-Erzähler denn auch sein Leben lang nicht los. Nicht nur, dass er selber recht viel trinkt, auch seine Umgebung besteht vorwiegend aus trinkfreudigen Männern.) Dass diese Erziehung zu einer sexistischen (und rassistischen – aber das spielt im Roman eine geringere Rolle) Haltung führen muss, wird von Ich-Erzähler zwar nicht ausgeführt, aber seine Haltung, seine Äußerungen über die Frauen bestätigt meine These. (Wobei Cueni die schlimmsten sexistischen und rassistischen Bemerkungen an einen französischen Professor ausgelagert hat, den sein Ich-Erzähler in Schanghai trifft. Der Ich-Erzähler scheint den Professor aber eher zu bewundern als sich an seinem Sexismus zu stören. Was mich persönlich nun nicht wundert, denn Cueni ist politisch wohl auf auf einer fast schon extrem rechten Seite einzuordnen.)

Wäre das Obige nun alles, könnte man den Roman getrost vergessen. Aber wir finden zwei Dinge, die ihn doch noch interessant machen.

Da ist zum einen die schonungslose Schilderung dessen, was eine Krebserkrankung aus seiner Frau macht. Die Schmerzen, die sie erleidet, aber auch die psychischen Veränderungen, die mit ihr vorgehen – Stimmungsschwankungen bis hin zu einem abgrundtiefen Hass auf die ganze Welt, Mann und Sohn inklusive. Auch die Schilderung seiner eigenen Erkrankung, die der Ich-Erzähler uns gibt, ist von solcher Schonungslosigkeit geprägt. Der Roman endet denn auch damit, dass er erfährt, dass auch die letzte Therapie nicht angeschlagen hat und man sie nun absetzen muss, weil sie den Körper des Patienten völlig zerstören würde, was allerdings auch seinen sicheren Tod bedeuten würde. Dass er (und hier meine ich Cueni) damals nicht wusste, dass er die Erkrankung überleben würde (er lebt noch heute), macht das Ende umso unheimlicher.

Last but not least und zum anderen: die Script Avenue. So nennt der Ich-Erzähler von Beginn an seinen mentalen Rückzugsort. Schon der kleine Junge imaginiert eine Straße in der Prärie, auf der er seine Freunde treffen kann. Das sind zunächst einmal seine lebendig gewordenen Spielzeugfiguren, später auch Gestalten aus den Abenteuer-Cartoons und den Romanen, die er liest. Später treten auch ‚echte‘ Menschen ein (einige auch erst nach ihrem Tod, wenn der den Ich-Erzähler aus irgendeinem Grund beschäftigt), noch später sind es Autoren (ja, es sind nur Männer!), die ihm denn auch Ratschläge zu seinem Leben und seinem Schreiben geben. (Sein Haupt-Mentor in späterer Zeit ist Henry Miller – vielleicht ist ein Teil von des Ich-Erzählers Sexismus auch auf dessen Einfluss zurück zu führen.) Viele Kinder (und wohl auch ein paar Erwachsene) werden solche mentalen Rückzugsorte haben oder gehabt haben. Was des Ich-Erzählers Script Avenue speziell macht, ist der Umstand, dass er nicht immer bewussten Einfluss darauf hat, was sich dort ereignet – und die Tatsache, dass dieser Rückzugsort zwar immer derselbe ist, aber wie eine richtige Stadt (oder eine Städtebau-Simulation, um bei den Computer-Spielen zu bleiben) im Lauf der Zeit wächst. Es kommen Gebäude und Menschen hinzu, einige verschwinden auch im Lauf der Zeit. (Die Script Avenue wird dann durch die radikalen Behandlungsmethoden seiner Leukämie komplett ausradiert werden …)

Es gäbe noch mehr zu erzählen: über die Referenzen zur Pop-Musik, an Hand derer er sich beim Schreiben in der Zeit orientiert oder die Filme, die eine ähnliche Funktion inne haben; das Tourette-Syndrom, dem der Ich-Erzähler zuschreibt, dass er sich nur vor ein leeres Blatt hinzusetzen braucht, um eine Geschichte aus sich heraus fließen zu lassen; dem er zuschreibt, dass er ohne Problem zwölf Stunden da sitzen und tippen kann, ja nicht einmal aufstehen wird, um aufs Klo zu gehen, sondern gleich unter den Schreibtisch pinkelt. (Solche Leute gibt es; ich kenne selber jemand – nein, nicht mich, ich bin auch kein Touretter.)

Cueni kann schreiben und er vermag sein Publikum zu fesseln. So ganz empfehlen kann ich das Buch aber trotzdem nicht – wegen der manchmal doch heiklen Aussagen seiner Figuren.


Claude Cueni: Script Avenue. Gockhausen: Wörterseh Verlag, 2014.

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